Wefox-Gründer Julian Teicke (Bild: Unternehmen)

Wefox-Star Julian Teicke: Chronik eines steilen Auf- und Abstiegs

Julian Teicke baute mit Wefox nicht bloß einen Digitalversicherer auf – die Firma zählt auch zu den wertvollsten Startups in Deutschland. Doch fragwürdige Geschäftspraktiken ließen ihn und sein Unternehmen zuletzt straucheln. Nun musste Teicke seinen Chefposten räumen. Wie kam es dazu?

Es ist unbestritten die Personalie der Woche: Julian Teicke, Gründer und Gesicht des Berliner Digitalversicherers Wefox, ist nicht länger Chef seiner eigenen Firma. Neuer CEO wird der 60-jährige Mark Hartigan, wie das Unternehmen mitteilte. Hartigan war erst im Oktober vergangenen Jahres in das Führungsteam von Wefox gerückt. Zuvor war der Brite in den oberen Etagen des Schweizer Versicherungsgiganten Zurich unterwegs. In ihm soll manch Wefox-Angestellter schon damals einen „Aufpasser für Julian“ gesehen haben, wie das Manager Magazin berichtete.

Das Unternehmen selbst widersprach dieser Darstellung zwar. Angesichts zahlreicher Berichte um mindestens fragwürdige Geschäftspraktiken, die sich in den letzten Jahren im Bezug auf Wefox und Julian Teicke anhäuften, kommt die Ablösung aber nicht allzu überraschend. Wie hat Teicke das Unternehmen groß gemacht? Und wie geriet er in die Kritik? Eine Chronik.

November 2014: Julian Teicke, Sohn des Ex-AWD-Managers Hartmut Teicke, gründet Wefox – damals noch unter dem Namen Financefox – gemeinsam mit Fabian Wesemann, Dario Fazlic und Teodoro Martino. Ihr Ziel: Ein Versicherungsunternehmen, das Policen technologiebasiert und in Minutenschnelle an Kunden vermittelt. Wie viel Tech tatsächlich in der Firma steckt, wird später noch strittig werden. Erst einmal geht es für das Unternehmen aber rasch bergauf.

Oktober 2015: Zunächst nur in der Schweiz gestartet, bietet das Insurtech seine Versicherungen nun erstmals auch in Deutschland an. Offenbar mit Erfolg: Bereits anderthalb Jahre später verweist das Unternehmen auf mehr als 110.000 Kunden.

Januar 2016: CEO Teicke gelingt es, einen ersten namhaften Investor für sein Startup zu gewinnen. Der US-Softwareriese Salesforce steigt im Zuge einer Seed-Finanzierung als Investor bei Wefox ein – es fließen insgesamt 5,5 Millionen Dollar.

September 2016: Die nächste Geldspritze folgt. Target Global und der chinesische Milliardär Li Ka-Shing stecken gemeinsam mit weiteren Investoren rund 28 Millionen Dollar in der Series A in das Versicherungs-Startup. Zu diesem Zeitpunkt arbeiten nach Firmenangaben bereits 80 Beschäftigte für Wefox. Teicke gibt sich selbstbewusst: Er wolle das Unternehmen zum größten Versicherungsanbieter in Europa machen – und kündigt die Expansion nach Österreich an.

März 2017: Es folgt ein umfangreiches Rebranding, aus Financefox wird offiziell Wefox. Dahinter steht laut Teicke die Erkenntnis, dass der bisherige Name nicht massentauglich genug gewesen sei. „Der Community-Gedanke, der in Wefox zum Ausdruck kommt, ist der stärkere Identifikationsanker für unsere Zielgruppen“, heißt es vom Unternehmen.

Juni 2017: Agierte das Startup bislang als technischer Vermittler zwischen Maklern und Versicherungsnehmern, bietet es nun erstmals eigene Versicherungen an. Dazu gründet Wefox die Versicherungssparte One aus. Im Portfolio: Hausrat- und Haftpflichtdeckungen. Diese sollen Kunden in wenigen Minuten auf ihrem Smartphone abschließen und verwalten können. Wefox spricht von 125.000 Kunden, die es bereits gewonnen habe.

Mai 2018: Erstmals in der jungen Firmenhistorie werden Geschäftszahlen bekannt. Im Jahr 2017 hat das Startup laut Gründerszene einen Umsatz von 13 Millionen Euro erzielt. Abzüglich der 30-prozentigen Provision, die das Insurtech für vermittelte Policen einbehält, bleiben Wefox rund vier Millionen Euro.

September 2018: Wefox gibt an, 230.000 Kunden zu haben – also fast doppelt so viele wie ein Jahr zuvor.

März 2019: Die nächste Finanzierungsrunde folgt. In der sogenannten Series B kommen insgesamt 125 Millionen Dollar für Wefox zusammen, im wesentlichen aus der Kasse des arabischen Staatsfonds Mubadala. Dazu teilt das Startup um neue Geschäftszahlen mit: 40 Millionen Euro Umsatz und „über 400.000 Kunden“ stehen per Ende 2018 zu Buche.

Dezember 2019: Schon wieder gibt es Geld. Dieses Mal sind es 110 Millionen Dollar, eine Erweiterung der Series B, wie Teicke mitteilt. Nach Informationen von Finance Forward bewerten die Geldgeber das Startup jetzt mit mehr als einer Milliarde Dollar – Wefox steigt also zum Unicorn auf.

September 2020: Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt sichert sich Wefox eine weitere Geldspritze, rund 100 Millionen Euro. Öffentlich macht Gründer Julian Teicke indes seine ambitionierten Finanzpläne: Für 2021 peilt das Berliner Insurtech nämlich einen Umsatz von 300 Millionen Euro an.

Juni 2021: Der Geldrausch setzt sich ungehindert fort. Zu einer Bewertung von drei Milliarden Dollar nimmt das Versicherungs-Startup neues Kapital auf und plant wieder die große Expansion. „Erst soll es in andere europäische Länder wie Frankreich gehen, danach stehen Asien und die USA auf dem Plan“, sagt Teicke. Dazu baut Wefox sein Sortiment an Policen aus: Zu den Haftpflicht-, Hausrat und Kfz-Versicherungen kommen nun auch Tier- sowie Kranken- und Lebensversicherungen. Bemerkenswert: Obwohl die Versicherungstochter One knapp profitabel arbeitet, stampfen Teicke und seine Manager die Marke wieder ein. Die eigenen Versicherungen laufen nun auch unter dem Namen Wefox.

März 2022: Wefox gibt neue Geschäftszahlen bekannt. Seine hochgesteckten Ziele für 2021 hat das Unternehmen demzufolge übertroffen. Unterm Strich stehen 320 Millionen Euro Umsatz – ein Plus von knapp 170 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Per Ende 2022 werden es sogar 600 Millionen Euro sein.

Juli 2022: Es folgt der vorläufige Höhepunkt in Teickes steiler Gründerkarriere: Er kann den arabischen Staatsfonds Mubadala überzeugen, noch einmal viel Geld in das Insurtech zu stecken. Gemeinsam mit bestehenden Investoren fließen 400 Millionen Dollar – zu einer Bewertung von 4,5 Milliarden Dollar.

Januar 2023: Das Bild des Insurtech-Highflyers beginnt zu bröckeln. Nach Recherchen von Finance Forward basieren die augenscheinlich glänzenden Geschäftszahlen auf fragwürdigen Deals. Konkret: Wefox nutzte etwa umstrittene Vertriebskooperationen und hat den Großteil seines Umsatzes über den Zukauf diverser Maklerunternehmen generiert. Die Umsatzzahlen der Deutschland-Tochter von Wefox – die im Prinzip das Kerngeschäft des Startups abbilden soll – sind indes gering geblieben.

Februar 2023: Wie viel Technologie steckt wirklich hinter dem Geschäft von Wefox? Auch daran gibt es inzwischen Zweifel. Das Manager Magazin berichtet, dass viele Wefox-Makler firmenfremde Software für den Vertrieb nutzen würden. Diese seien laut Insidern der von den Wefox-Programmierern entwickelten Lösung in vielen Bereichen überlegen; etwa bei der algorithmusgestützten Schadensregulierung.

Oktober 2023: Wefox fährt das eigene Versicherungsgeschäft herunter – so werden etwa Haftpflicht- und Autoversicherungen beendet. Mit dem Strategiewechsel will es das Startup schaffen, künftig profitabel zu arbeiten.

Oktober 2023: Wenige Tage später baut Wefox seinen Führungszirkel um. Der erfahrene Versicherungsmanager Mark Hartigan übernimmt die Leitung des firmeneigenen Aufsichtsgremiums. Vorerst bleibt Gründer Julian Teicke CEO.

Januar 2024: Die Negativschlagzeilen reißen nicht ab, was vor allem Teicke als Gesicht der Firma schadet. Einem Bericht des Manager Magazins zufolge soll Wefox „systematisch und in großem Umfang“ Kundenbewertungen bei Google manipuliert haben. Das Magazin beruft sich auf interne Dokumente. Die beteiligten Mitarbeiter bestreiten die Vorwürfe.

März 2024: Es folgt, was Branchenbeobachter insgeheim wohl schon erwartet haben: Wefox-Gründer Julian Teicke gibt seinen Chefposten an Mark Hartigan ab – das vorläufige Ende einer steilen Gründerkarriere. Immerhin: Beim Umsatz konnte Wefox im vergangenen Jahr noch mal zulegen. Er soll bei 800 Millionen Euro gelegen haben  – ohne Zukäufe.