Fintech-Deal-Bilanz 2020: Droht Deutschland abgehängt zu werden?
Großbritannien und Schweden beherbergen die Funding-Gewinner des vergangenen Jahres, wie eine neue Auswertung zeigt. Nur zwei deutsche Fintech-Startups befinden sich unter den Top-20-Deals 2020. Kann Deutschland wieder aufholen?
Die brasilianische Neobank Nubank gilt schon länger als Paradebeispiel der globalen Fintechszene. Vor wenigen Tagen unterstrich das Unternehmen einmal mehr seine Ausnahmestellung – es konnte eine Finanzierungsrunde über 400 Millionen Dollar vermelden, zu einer Bewertung von 25 Milliarden Dollar. Nubank ist damit mehr wert als seine wichtigsten europäischen Konkurrenten zusammen.
Bei Europas Neobanken ist derzeit eher Katerstimmung angesagt, trotz großer Finanzierungen im vergangenen Jahr. Monzo hat seinen charismatischen Gründer verloren und musste eine Abwertung hinnehmen, Revolut steht unter verschärfter Beobachtung und N26 versucht, seine Verluste in den Griff zu bekommen.
Der Fintech-Boom findet zurzeit woanders statt – so konnten gerade Payment-Startups große Deals im vergangenen Jahr sichern. Das zeigt die Statistik der 20 größten Fintech-Finanzierungen 2020, die der Wagniskapitalgeber BlackFin für Finance Forward ausgewertet hat.
Natürlich besitzt es nur eine begrenzte Aussagekraft, die Größe der Finanzierungsrunden zu betrachten. Doch es ist ein Signal, wer einen starken Expansionskurs anstrebt, in fast allen Fällen auch über die eigenen Landesgrenzen hinweg. Die Runden verdeutlichen außerdem, welche Fintech-Themen unter Geldgebern als große Zukunftsthemen gelten – und welche Firmen einfach Geld bekommen.
Hier geht es erst einmal zur Liste:
Sieben Payment-Firmen haben es in die Top-20 geschafft. Die Rallye ging zum Jahresanfang gleich weiter. Im Januar erhielt Checkout.com noch einmal 450 Millionen Dollar und ist jetzt mit einer 15-Milliarden-Bewertung mit Abstand das wertvollste Fintech Europas. Klarna gilt außerdem als heißer Börsenkandidat.
Deutschland hat in dem Segment nicht viel zu bieten. Sofort und Billpay gehören zu Klarna, Ratepay wurde von Private-Equity-Investoren gekauft. Wirecard ist an seinem Bilanzskandal zerbrochen. Übrig bleiben die Hoffnungen Unzer, das Geld von KKR erhalten hat, und die Berliner Firma Sumup, um die es nach einem Kredit im vergangenen Jahr erst einmal ruhig geworden ist. Eine Nachfolger-Generation deutet sich nicht an, für viele Payment-Themen ist es zu spät.
Großbritannien hält seine Stellung als Fintech-Hochburg, für Deutschland sieht es schlechter aus, es rutscht in dem Ranking auf den dritten Platz: Zum ersten Mal konnten französische Fintechs mehr Finanzierungsrunden vermelden.
Droht Deutschland als Fintech-Standort abgehängt zu werden? In einigen Segmenten steht der deutsche Fintech-Markt gut da.
Diese Anbieter sind für einen großen europäischen Aufschlag positioniert:
– Die Zinsplattformen Raisin und Deposit Solutions sind bereits in vielen Ländern aktiv, beide starten in den USA. Große Finanzierungsrunden dürften in den kommenden zwölf Monaten anstehen.
– Die Berliner Solarisbank will auch in diesem Jahr in Europa stärker expandieren.
– Die Neobroker gehören ebenfalls zu den heißen Kandidaten: Trade Republic, das gerade mit einem Ansturm und folgenden Shitstorm zu kämpfen hat, ist kürzlich in Frankreich gestartet, weitere Märkte folgen sicherlich. Scalable Capital ist mit seinem Angebot für Geschäftskunden bereits international unterwegs. Das Krypto-Startup Bitpanda hat ebenfalls kürzlich noch einmal viel Geld aufgenommen.
– Wefox (100-Millionen-Runde im Herbst) und Clark sind Hoffnungsträger der Versicherungs-Startups
– Doch neuer Star ist der Kernbanken-Software-Anbieter Mambu aus Berlin, der gerade 110 Millionen sichern konnte.
Sie haben das Potential in die europäische Spitzengruppe aufzusteigen. Das Marktumfeld ist gut, auch weil mehrere internationale Fintech-Börsengänge anstehen. Zum Beispiel Robinhood und Coinbase sind kurz vor einem IPO. Gleichzeitig diskutieren einige Fintech-Gründer schon, ob sie mit einem Spac an die Börse gehen sollen (Finance Forward berichtete).
Weitere Erkenntnisse zur Funding-Situation:
– Der Corona-getriebene E-Commerce-Boom hat den „Buy-Now-Pay-Later“-Trend weiter befeuert: Zehn Prozent aller europäischen Fintech-Deals richteten sich an die Lending-Fintechs, im Vorjahr lag der Anteil bei lediglich fünf Prozent.
– Europäische Fintechs hatten ein besseres Krisenjahr als alle anderen. Laut einem Report der Marktforschungsfirma Forrester, der Finance Forward vorab vorliegt, konnten Fintechs im vergangenen Jahr global weniger Kapital einsammeln als in den Vorjahren. Demnach ist das Volumen der weltweiten Fintech-Investments im vergangenen Jahrzehnt von einer Milliarde Dollar in 2010 auf 41 Milliarden Dollar 2019 gestiegen. 2020 hat sich der Betrag jedoch wieder um 31 Prozent in Vergleich zum Vorjahr gesenkt.
– In Europa sieht das etwas anders aus: Trotz eines schwächeren zweiten Quartals lag das Fundingvolumen 2020 mit dem von 2019 nahezu gleich auf. Zudem wurde das Kapital besser verteilt. 2020 haben die 20 größten Deals 3,1 Milliarden Euro des Gesamtvolumens von 6,95 Milliarden Euro ausgemacht (44 Prozent), im Vorjahr waren es satte 4,7 Milliarden von insgesamt sieben Milliarden Euro (67 Prozent).
– 2020 hat sich die Zahl der Finanzierungsrunden für Insurtechs in Europa um 50 Prozent gesteigert.
– Januar 2021 war mit 40 Deals und 742 Millionen Euro an Fundingvolumen ein starker Monat.