„Riesiger Flop“ – Wie Vanguards Anlageroboter zum Millionengrab wurde
Exklusiv: Viel Geld nahm der mächtige US-Vermögensverwalter Vanguard in die Hand, um seinen Robo-Advisor in Deutschland zu starten. Doch das Projekt wurde zum Rohrkrepierer. Zurück bleiben enttäuschte Manager und verbrannte Millionen.
Es sollte der große Überraschungsangriff werden. Als Finance Forward im Sommer 2020 erstmals über die Pläne von Vanguard berichtete, einen Robo-Advisor in Deutschland zu starten, hielt sich der US-Vermögensverwalter bedeckt. Man habe „derzeit keine Pläne, unser Geschäft auszubauen“, hieß es vom Unternehmen.
Die Geheimniskrämerei hatte gute Gründe: Das Geschäft mit den automatisierten Anlagedepots in Deutschland wurde damals zur Hälfte vom Marktführer Scalable Capital dominiert. Mit Blackrock ist zudem der weltweit größte Vermögensverwalter an dem Münchner Fintech beteiligt. Die Konkurrenz aufschrecken? Wohl nicht im Sinne von Vanguard.
Wenige Monate später wurden die Pläne dann doch konkreter: Mit Jesper Wahrendorf und Andreas Bittner verpflichtete Vanguard gleich zwei Fintech-Promis für die Leitung des Projekts. Die digitale Beratungseinheit der Boston Consulting Group, BCG Digital Ventures, unterstützte beim Aufbau. Bis zu 70 Personen sollen zwischenzeitlich an dem Robo-Advisor gearbeitet haben. Anfang 2022 ging das Angebot an den Start.
Kaum Kundeneinlagen
Neue Zahlen zeigen nun, wie sehr das Projekt wirklich floppte. In einem Geschäftsbericht, den Finance Forward einsehen konnte, weist die für das Deutschland-Geschäft zuständige Vanguard Group Europe GmbH für 2022 lediglich verwaltete Vermögensbestände in Höhe von rund vier Millionen Euro aus. Zum Vergleich: Der Münchner Anbieter Scalable Capital erreichte Ende 2016 – elf Monate nach dem Launch – bei den Kundeneinlagen bereits die Schwelle von 100 Millionen Euro.
Eine ähnliche Summe habe auch Vanguard angestrebt, wie mehrere mit der Angelegenheit vertraute Personen gegenüber Finance Forward berichteten. Die Kundeneinlagen (Assets under Management) sind ein wichtiger Indikator für die Größe und den Erfolg eines Vermögensverwalters. „So gesehen war das Projekt ein riesiger Flop“, sagt ein Branchenkenner. Dass mit Andreas Bittner ein wichtiger Manager das Projekt schon kurz nach dem Launch im Frühjahr 2022 bereits wieder verließ, überrasche ihn daher nicht.
Vanguard gilt als Pionier im Handel mit passiven Indexfonds (ETFs) und ist nach Blackrock der zweitgrößte Vermögensverwalter der Welt. In den USA verwaltet Vanguard mehr als sieben Billionen Dollar. Dazu betreibt der Vermögensverwalter den mit Abstand größten Robo-Advisor, er verwaltet rund 200 Milliarden Dollar an Kundengeldern. Das Geld legt der Robo automatisiert in die eigenen Vanguard-ETFs an.
Millionen-Honorare für Berater
Ähnlich viel Dominanz versprach sich Vanguard offenbar im deutschen Markt. Zwar vertreibt der Vermögensverwalter seine Anlageprodukte hierzulande bereits seit 2018, allerdings über Partner wie Direktbanken oder Neobroker. Vanguard selbst blieb im Hintergrund. Der Direktvertrieb sollte das ändern. Er stärkt meist die Marke und senkt die Kosten.
Für die Entwicklung des Robo-Advisors hatte Vanguard die digitale Beratungseinheit der Boston Consulting Group, BCG Digital Ventures, beauftragt. Dafür soll das Beraterhaus einen Betrag zwischen 40 und 60 Millionen Euro erhalten haben, wie Finance Forward aus dem Unternehmensumfeld erfahren hat. Vanguard selbst wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern.
Schon in der Entwicklungsphase sei es zu Problemen gekommen, berichten Beteiligte. Dem Produkt der BCG-Berater hätten grundlegende Features und Schnittstellen gefehlt, auch von einem zu teuren Kernbankensystem ist die Rede. Es speichert wichtige Kundendaten und wickelt die Transaktionen ab. „Letztlich musste man alles neu bauen“, sagt ein Manager, der in das Vorhaben involviert war. Auch deshalb habe sich der Start des Angebots um Monate verzögert.
Diese Fehler hat Vanguard gemacht
Der Launch am 22. Februar 2022 erfolgte letztlich zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Nur zwei Tage danach brach der Krieg in der Ukraine aus. Anleger hielten sich mit Aktienkäufen zurück. Seine groß angelegte Marketing-Kampagne habe Vanguard daraufhin zurückgezogen, wie Manager Jesper Wahrendorf später erklärte. Viele Verbraucher hätten so gar nicht erst von dem Angebot erfahren.
Für Branchenbeobachter hat das Scheitern aber noch andere Gründe. So habe Vanguard die Relevanz seiner Marke außerhalb der USA überschätzt. Eben weil in Deutschland viele Finanzprodukte über gängige Direktbanken vertrieben würden, sei es schwer, mit unbekanntem Namen neue Kunden zu gewinnen, sagt ein Branchenkenner.
Obendrein seien Robo-Advisor zwar ein bewährtes Finanzprodukt, bei Anlegern anders als noch vor einigen Jahren aber längst nicht mehr so gefragt. Dies habe auch mit den Kosten zu tun, wie der Finanzmarktexperte Christian Röhl erklärt: „Diejenigen, die sich nicht klassisch von der Bank beraten lassen, sondern in irgendeiner Weise ihre Finanzen in die eigene Hand nehmen, sind in der Regel sehr kostenbewusst – nicht zuletzt durch Literatur wie von Gerd Kommer“, so Röhl.
Und wer einmal verstanden habe, dass man ein eigenes ETF-Portfolio mit einer Gesamtkostenquote von 0,25 Prozent sehr einfach selbst aufsetzen könne, frage sich: „Warum soll ich bei einem Robo nur für eine schicke Oberfläche 0,75 bis 1 Prozent zusätzlich zahlen?“ Eine Frage, die Vanguard offenbar nicht überzeugend beantworten konnte.
Intern versuchte die Führung noch umzulenken: Anfang des Jahres startete ein Feature, mit dem man sich ETFs selbst zusammenstellen konnte – doch das kam wohl zu spät. Das Ende kommt trotzdem überraschend, denn im Firmenumfeld hieß es stets, Vanguard plane in Zehn-Jahres-Zeiträumen.