Die Scalable-Gründer (von links): Erik Podzuweit, Florian Prucker und Stefan Mittnik (Bild: PR)

Scalable Capital stoppt ursprüngliche Robo-Anlagestrategie

Exklusiv: Als Robo-Advisor gestartet, stieg das Geldanlage-Startup Scalable Capital schnell zum Marktführer auf. Doch seit vier Jahren liegt der Fokus der Münchner stärker auf dem Geschäft als Neobroker. Nun stellt das Fintech seine ursprüngliche Anlage-Strategie für Neukunden ein – warum?

Es war ein Vorbote für den Hype um Künstliche Intelligenz. Vor zehn Jahren starteten in Europa die ersten Robo-Advisor. Ihr Versprechen lautete, Kundengelder automatisiert anzulegen. „Die Robos kommen“, schrieb die Wochenzeitung Zeit. Mehr als 20 Unternehmen starteten damals. Zu den aussichtsreichsten Teams gehörten schon zu der Zeit die zwei ehemalige Goldman-Sachs-Manager Erik Podzuweit und Florian Prucker, die mit ihrem Professor Stefan Mittnik gestartet waren und das Unternehmen Scalable Capital gründeten.

Mit geschicktem Marketing und einer Partnerschaft mit der Direktbank ING gelang es, als erster deutscher Anbieter die Milliarden-Grenze zu knacken. Wichtiges Verkaufsargument in der Anfangszeit war das Anlagemodell von Scalable Capital, das der Professor im Team verantwortete. Es beruhte auf dem Konzept „Value at Risk“, dabei schichtet das Startup je nach Risiko-Neigung der Kundinnen und Kunden die verschiedenen Anteile von Aktien und Anleihen häufig um. Im Gegensatz zu anderen Robos, die beispielsweise einen Mix an ETFs gekauft haben und einmal pro Jahr ein sogenanntes Rebalancing vornahmen, um das ursprüngliche Risikoprofil des Kunden wieder herzustellen.

Kunden werden an Alternative verwiesen

Scalable Capital wuchs in den folgenden Jahren stark, doch gerade in der Coronakrise litt die Performance des „Value at Risk“-Ansatzes. Das Fintech holte weitere Anlage-Modelle wie eine ESG-Strategie in das Portfolio. 2020 folgte eine grundlegende Entscheidung: Scalable startete als Neobroker. Seitdem kann man dort auch selbst Aktien, Anleihen, ETFs oder Krypto kaufen. Die Vermögensverwaltung mit dem Robo-Advisor läuft zwar weiter, allerdings ist sie strategisch stärker in den Hintergrund gerückt – auch wenn das Unternehmen mit mehreren Milliarden „Assets under Management“ immer noch Marktführer in dem Robo-Advisor-Markt ist. 20 Milliarden Euro verwaltet das Fintech mittlerweile insgesamt.

Im Stillen hat sich Scalable Capital nun von seinen ursprünglichen Wurzeln verabschiedet, wie aus einer Nachricht an Kunden hervorgeht. Die „Value at Risk“-Strategien werden für Neukundinnen und Neukunden künftig nicht mehr angeboten, und das Fintech weist seine bestehenden Kunden auf Alternativ-Angebote hin. „Alles weitere ist Stand heute noch nicht entschieden“, sagt eine Sprecherin. Doch warum stellt das Fintech sein erstes Robo-Advisor-Modell überhaupt ein?

Wird auch bei Profi-Anlegern verwendet

Dafür muss man den Hintergrund des Konzepts verstehen: „Value at Risk“ kommt aus der Portfoliotheorie – und ihr Einsatz als Kennziffer zur Steuerung eines Kundendepots soll helfen, die oft unerwünschten Schwankungen zu reduzieren und allzu hohe Rückschläge zu vermeiden. Klassischerweise wird „Value at Risk“ mit einer Prozentzahl und einem Zeitraum (meist ein Jahr) angegeben. Die entsprechende VaR-Kennzahl gibt dann an, dass das entsprechende Portfolio mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent nicht mehr als diesen VaR-Wert verliert.

Wer zum Beispiel sein Geld in der VAR 22 Prozent bei Scalable Capital angelegt hat, bei dem sollte das Portfolio mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht mehr als 22 Prozent pro Jahr verlieren. Konkret wird dann in ruhigen Börsenphasen mit steigenden Kursen mehr in Aktien allokiert, in Krisenphasen wiederum mehr in Anleihen, um das „Reißen“ der Maximalverluste zu verhindern.


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Dieses System ist zwar zur Portfoliosteuerung und Schwankungsreduzierung auch bei Profi-Anlegern üblich – es hat aber auch Nachteile, denn ansonsten würde es ja jeder einsetzen. Konkret kann die Steuerung über „Value at Risk“ nur mit Wahrscheinlichkeiten und dem Rückspiegel arbeiten – das Restrisiko, dass die Verluste auch einmal größer ausfallen, bleibt.

Und: Das System ist per se prozyklisch, denn in ruhigen Phasen unterstellt es, dass die ruhige Phase anhält und allokiert mehr in Aktien; in Phasen von Marktpanik wiederum fließt mehr in sichere Anlagen und erst wieder zurück in Aktien, wenn sich die Dinge beruhigt haben. Das verursacht Transaktionen – und ist keine gute Strategie, denn eigentlich müsste man in Phasen von Panik eher zukaufen und in solchen mit Partystimmung vorsichtig werden.

Corona-Kurskapriolen brachten Modell an Grenzen

Die Kursbewegung zu Beginn der Corona-Pandemie führte die Steuerung über „Value at Risk“ an seine Grenzen: Binnen weniger Tage brach Panik an den Aktienmärkten aus – und die über VaR gesteuerten Systeme rotierten ebenso panisch raus aus Aktien. Die Erholung erfolgte aber ebenso schnell – schneller, als die VaR-gesteuerten Portfolios wieder höhere Aktienpositionen aufbauen konnten. Entsprechend brauchten sie recht lange, um die Prä-Corona-Kurse wieder zu erreichen.

Das hatte zur Konsequenz, dass die Strategie „VaR 3 Prozent“ seit dem Start 2017 insgesamt um 8,2 Prozent gesunken ist. „VaR 25 Prozent“ liegt immerhin bei 11,4 Prozent im Plus. Doch der Gesamtmarkt ist in der Zeit stark gestiegen: Im gleichen Zeitraum hat etwa der breitgestreute ETF MSCI World um 77 Prozent zugelegt.

„Roadshows und ein Sales-Team waren unerlässlich“

Die schlechte Perfomance dürfte deswegen sicherlich ein Grund für die Neuausrichtung sein. Ein weiterer ist der neue Fokus der Firma: „Die aktive VaR-Strategie war erklärungsbedürftig – Roadshows und ein Sales-Team waren unerlässlich bei der Umsetzung“, teilt eine Sprecherin mit. „Wir gehen von aktiven, erklärungsbedürftigen Strategien, die in bestimmten Marktphasen ihre Stärken und in anderen, wie zu Corona, ihre Schwächen haben, weg, hin zu einfach-nachvollziehbaren Strategien – unabhängig von der Performancefrage“, heißt es weiter.

Dazu zählen beispielsweise Strategien wie „Weltportfolio“ oder „ESG“. Dabei sucht Scalable Capital noch immer die verschiedenen ETFs aus und managt sie, doch die Zusammensetzung soll den Markt eher abbilden als ihn schlagen. Und es wird nicht ständig umgeschichtet, stattdessen findet ein Rebalancing statt, wenn die Aktienquote zu stark vom festgelegten Zielwert abweicht. Eine Sprecherin betont, „die Vermögensverwaltung ist ein integraler Bestandteil der Investmentplattform und unserer zukünftigen Wachstumsstrategie“. Für Scalable Capital, dessen Brokerage-Geschäft weiter stark wächst, dürfte der Schritt nicht allzu sehr schmerzen. Doch für den Robo-Advisor-Markt ist es ein weiterer Rückschlag.

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