Silvr will aus Paris heraus Europa erobern (Bild: John Towner/Unsplash)

Boom vorbei? So steht es um die Revenue-based-Finance-Fintechs

Umsätze teilen, Kredit erhalten: Mit diesem Finanzierungsmodell haben sich knapp ein Dutzend Fintechs als Alternative zu Venture Capital positioniert. In der Hochphase floss zeitweise viel Geld in den Markt – doch wie steht es um die Anbieter heute?

Wenn es ums Geldauftreiben für das eigene Startup geht, ist Venture Capital die ungebrochene Königsdisziplin. Dennoch – oder gerade deshalb – greifen einige Gründerinnen und Gründer lieber zu Krediten. Sie wollen ihre Firmenanteile nicht an Investoren abtreten oder haben keine Zeit für monatelanges Fundraising. Gleichzeitig haben es defizitäre Startups mit schwankenden Umsätzen schwer, einen Kredit bei klassischen Banken zu erhalten.

In den vergangenen Jahren haben sich daher zahlreiche Fintechs formiert, um alternative Finanzierungslösungen anzubieten. Bei „Revenue-Based-Finance“ (kurz: RBF) vergeben Anbieter in der Regel kurz- bis mittelfristige Kredite – typischerweise zwischen wenigen Zehntausend bis zehn Millionen Euro – die über einen festgelegten Prozentsatz vom Umsatz zurückgezahlt werden.

Die Besonderheit: Die Kreditnehmer überlassen den Fintechs zuvor weitreichende Daten zu ihren Unternehmen, etwa zu Umsätzen, Bankgeschäften und Rechnungen. Auch Budgets für Marketingkampagnen gehören dazu. Aus den Daten ermitteln die RBF-Anbieter dann einen Bonitätsscore, der Aufschluss über die Erfolgswahrscheinlichkeit liefert. Je höher die Kreditwürde ausfällt, desto flexibler kann der Finanzierungsplan ausfallen. Ein Vorteil gegenüber Banken.

Für eine Weile boomte dieses Geschäft geradezu: Bislang gingen laut der Datenplattform Dealroom mehr als 50 RBF-Startups an den Start. Allein 2021 flossen über 1,8 Milliarden Dollar an Eigen- und Fremdkapital in die Branche. Doch seitdem hat sich der Markt gedreht – Inflation, Rezession und gestiegene Zinsen bereiten den Kreditgebern Probleme. Werden Darlehen plötzlich teurer und Umsatzströme flachen ab, droht das Modell in Schieflage zu geraten. Wie geht es den RBF-Fintechs also heute?

Rückzug nach wenigen Monaten

Einer der großen US-Player, Capchase, kam vor circa zwei Jahren nach Deutschland. Der ehemalige Mollie-Manager Frank Bertele sollte das hiesige Geschäft aufbauen. Kurz zuvor sammelte das Unternehmen noch 400 Millionen Dollar an Fremdkapital für Kredite ein. Der Plan ging aber offenbar nicht auf: Wie das Unternehmen mitteilt, hat sich Capchase erst einmal wieder aus dem deutschen Markt zurückgezogen. Man habe repriorisiert, heißt es in einer Mittelung gegenüber Finance Forward. Aktuell wolle man sich auf neue Produkte in den Bereichen Buy-Now-Pay-Later und Ratenzahlungen fokussieren, bevor man im Laufe 2024 wieder zurück nach Deutschland komme. Bertele hat das Unternehmen derweil bereits verlassen.

Clearco ist ein bereits älterer internationaler RBF-Anbieter. 2021 kam das kanadische Unternehmen auch nach Deutschland und Europa. Allein 500 Millionen Euro sollte in deutsche Online-Unternehmen fließen. Doch offenbar lief es nicht so erfolgreich, wie geplant: Ein Jahr später zog sich der Finanzierer schon wieder vom Kontinent zurück: „Angesichts der makroökonomischen Bedingungen weltweit und insbesondere in der EU kündigte Clearco Ende August 2022 unseren Ausstieg aus den internationalen Märkten an“, teilt das Unternehmen mit. Nach einem turbulenten Jahr, in dem mehr als 30 Prozent der Beschäftigten gehen mussten und Gründerin Michele Romanow aus dem Unternehmen ausschied, fokussiert sich das Unternehmen nun auf ein neues Invoice-Funding-Modell für E-Commerce-Startups.

Besser zu laufen scheint es derweil beim schwedischen Anbieter Gilion (ehemals Ark Kapital). Das 2021 gegründete Fintech setzt auf KI-gestützte Datenanalysen, um die Kreditwürdigkeit seiner Kunden zu bestimmen. Im Schnitt zahlen Startups zehn bis 15 Prozent Zinsen, erklärte die Deutschland-Chefin Mariam Koorang im FinanceFWD-Podcast. Mit dem Modell befindet sich das Unternehmen aktuell auf Wachstumskurs. Darauf vorbereitend führte es erst kürzlich ein Rebranding zu Gilion (ein Kofferwort aus „Giga“ und „Million/Billion) durch. Mit mehr als 400 Millionen Euro an Kapital, unter anderem von Creandum, soll nun auch der Sprung nach Großbritannien und in die USA gelingen.

Berliner Anbieter meldet Insolvenz an

Remagine startete 2021 ursprünglich mit einem RBF-Modell – speziell für „nachhaltige Startups“, hieß der Claim. Partner war im Hintergrund die Berliner Raisin Bank. Wenige Monate später folgte aber bereits die Kehrtwende: Fortan wollte Remagine auf nachhaltiges Business Banking umstellen bevor man irgendwann wieder zum alten Kreditmodell zurückkehren würde, wie die Geschäftsführung damals mitteilte. Dazu kam es allerdings nicht mehr: Ende 2022 meldete das Fintech Insolvenz an. Nur ein knappes Jahr nach einer 20-Millionen-Fundingrunde sind weitere Investorengespräche offenbar gescheitert.

Recap gab sich zuletzt entspannt, was das schwierige Umfeld von Kredit-Startups betraf. Trotz hoher Zinsen sei die Nachfrage sogar gestiegen – ohne höhere Ausfallraten, verriet Co-Gründer Paul Becker gegenüber Finance Forward. Im November gab das Fintech seine Partnerschaft mit der HSBC bekannt, um sein Produktportfolio auszuweiten und neues Kapital für die Kreditvergabe zu bekommen. Zuvor hatte das Startup eine 100-Millionen-Kreditlinie von der nun insolventen Silicon Valley Bank erhalten.

Das französische Silvr bewegt sich seit 2020 im RBF-Markt und hat insgesamt mehr als 300 Millionen Euro an Kreditlinie, unter anderem von Citi und Channel Capital Advisors, eingesammelt. Ende 2022 startete das Fintech durch eine Kooperation mit Deutsche Firmenkredit Partner (DFPK) auch in Deutschland. Wenige Monate später übernahm Silvr dann den Berliner Konkurrenten Uplift1. Der wurde 2019 vom WHU-Absolventen Ariyan Seyed Nassir gegründet. Kapital bekam er unter anderem von den Audibene-Gründern Marco Vietor und Paul Crusius.

„Keine RBF-Darlehen mehr von Uncapped“, titelt das britische Fintech in einer Pressemitteilung. Stattdessen hat das Unternehmen laut eigenen Angaben schon über die vergangenen Jahren einen schleichenden Wechsel zum Darlehensmodell mit festgelegter Laufzeit vollzogen. Uncapped hält es für die sinnvollere Variante: Im klassischen RBF-Modell würden Kunden mit schlechter Qualität begünstigt, während jene, die ihren Kredit aufgrund hoher Umsätze schnell zurückzahlen könnten höhere Schuldenkosten hatten. Mit 200 Millionen Pfund an neuem Fremdkapital will das Unternehmen sein Wachstum nun weiterführen. Auch durch Zukäufe: Im Juni 2022 übernahm das Unternehmen den britischen Konkurrenten Sugar, der sich auf Kredite für Gaming- und App-Anbieter spezialisiert hatte.

Das US-amerikanische Riverside Acceleration Capital gehört zur bereits 1988 gegründeten Investmentplattform Riverside und hat neben New York und San Francisco auch einen Standort in Köln. Von dort aus mischt das Team auch im europäischen RBF-Markt mit. Zahlen zur Fondsgröße teilt das Unternehmen nicht – Finance Forward schätzte diesen aber bereits auf mindestens 100 Millionen Euro. Auf Anfrage teilt das Unternehmen allerdings mit, dass es im vergangenen Jahr 50 Prozent mehr Geld an umsatzbasierten Krediten im europäischen Markt investiert hat als im Vorjahr.

Kritik nach Kreditvergabe an Krypto-Firmen

Das US-amerikanische Pipe diente vielen europäische RBF-Nachfolgern als Inspirationsquelle: 2019 gegründet, schaffte das Startup innerhalb eines Jahres die Milliardenbewertung und war eines der bekannteren Fintechs der Zeit. Schauspieler und Investor Ashton Kutcher und Siemens mit seinem Fonds Next47 finanzierten es unter anderem. Ende 2022 gab es dann einen umfangreichen Führungswechsel: Die drei Gründer schieden aus, um „einem erfahreneren CEO“ Platz zu machen. Zur gleichen Zeit war das Team mit Kritik wegen vergebener Kredite an Krypto-Mining-Unternehmen konfrontiert. Seit knapp einem Jahr führt der ehemalige Block-Manager Luke Voiles das Unternehmen. Bislang ist das Unternehmen nur in den USA aktiv.

Auch das irische Waylfyer kam Ende 2022 nach Deutschland und hatte weitere Pläne für Schweden, Dänemark und Belgien im Gepäck. Wenige Monate vorher bekam das Fintech 150 Millionen Dollar an Eigen- und über 500 Millionen Dollar Fremdkapital. Ein Jahr später gab es eine weitere Kapitalspritze in Höhe von einer Milliarde Dollar vom Vermögensverwalter Neuberger Berman. Insgesamt 200 Millionen Dollar wollte es innerhalb eines Jahres in diesen vier Märkten als Kredite vergeben. Auf Anfrage teilt Wayflyer mit, dass das europäische Geschäft seit Start stark gewachsen sei und das Unternehmen die 200 Millionen fast gänzlich investiert hat. Für 2024 sei weiteres Wachstum geplant, auch das deutsche Team soll vergrößert werden.

Ebenfalls in Großbritannien ansäßig ist Vitt, das Anfang 2022 live ging. Es wollte vor allem schnell-wachsenden Startups, die mindestens 100.000 Pfund wiederkehrenden Jahresumsatz machen, Finanzierungslösungen anbieten. Finanziert wurde das Fintech unter anderem von Speedinvest. Nun hat Vitt allerdings einen Pivot vollzogen: Auf seiner Website wirbt das Startup mit seinem neuen Treasury-Produkt. Von umsatzbasierten Finanzierungslösungen ist dort keine Rede mehr. Auf Anfrage bestätigt das Unternehmen, RBF nicht mehr anzubieten.