Kurseinbruch trotz starken Wachstums: Warum Mercado Libre kräftig in sein Fintech-Geschäft investiert
Mercado Libre ist die beherrschende E-Commerce-Plattform Südamerikas. Doch daneben investiert das Unternehmen seit Jahren in sein stark wachsendes Fintech-Geschäft. Trotz kurzfristiger Gewinneinbußen dürfte sich diese Strategie für die Plattform bezahlt machen.
Sieben Millionen Neukunden, 35 Prozent mehr Umsatz, elf Prozent mehr Gewinn – die neuen Quartalszahlen der südamerikanischen E-Commerce-Plattform Mercado Libre stellten die Vorjahreszahlen ziemlich in den Schatten. Trotzdem sank die Aktie nach der Veröffentlichung der Ergebnisse diesen Monat zunächst um 16 Prozent.
Denn trotz des starken Wachstums hatten sich Analysten vor allem eine bessere Marge erhofft. Um fast 30 Prozent verfehlte der E-Commerce-Riese ihre Erwartungen für den Gewinn vor Steuern (EBIT). Ein Grund dafür waren die umfangreichen Investitionen in das Finanzgeschäft. Denn auch wenn Mercado Libre als „Amazon Südamerikas“ gilt, hat das Unternehmen in den vergangenen Jahren ein beachtliches Finanzgeschäft aufgebaut. Rund 40 Prozent des Umsatzes kommen mittlerweile aus dem Segment mit Krediten, Zahlungsdiensten und Anlageprodukten.
1,5 Millionen Kreditkarten in drei Monaten
Allein für die Skalierung des Kreditkartengeschäfts hat Mercado Libre im dritten Quartal 76 Millionen Dollar ausgegeben. Der Großteil dürfte ins Marketing geflossen sein – die Gesamtausgaben stiegen hier um 50 Millionen Dollar im Vergleich zum Vorquartal.
Und die hohen Ausgaben zeigten Wirkung: Innerhalb eines Jahres hat das Unternehmen sein Geschäft mit Kreditkarten fast verdreifacht und allein im vergangenen Quartal 1,5 Millionen neue Karten ausgegeben. Mittlerweile machen sie vom gesamten Kreditportfolio, neben Konsumenten- und Händlerkrediten, einen Anteil von fast 40 Prozent aus.
Doch die vollen Kreditbücher – das gesamte Kreditportfolio liegt nun bei circa sechs Milliarden Dollar – wurden kurzfristig zum Problem. Denn die Kreditvolumina sind deutlich überproportional zur Kundenzahl gewachsen. Gleichzeitig muss das Unternehmen für die ausgegebenen Kredite schon im Voraus Rückstellungen bilden. Im vergangenen Quartal waren das mehr als 500 Millionen Dollar. Und das drückte als Folge deutlich auf die Margen. Was erhofft sich das Unternehmen also vom Kartengeschäft?
Kreditkarte fördert Kundenbindung
Bislang bietet Mercado Pago, die Fintech-Tochter von Mercado Libre, seine Kreditkarte in Brasilien und Mexiko an. Weitere Märkte dürften bald folgen. Denn die Durchdringung an Kreditkarten ist auf dem Kontinent noch vergleichsweise gering. In den meisten Ländern liegt sie unter 20 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland und seinen Nachbarländern haben in der Regel mehr als 50 Prozent der Bevölkerung eine Kreditkarte. Mercado Libre sieht hier noch großes Potenzial und hat durch seine enorme Präsenz im E-Commerce-Bereich eine gute Einstiegstür in seine weiteren 16 Bestandsmärkte, etwa Kolumbien, Argentinien oder Peru.
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Außerdem sind die Kreditkarten für viele Kunden ein Einstieg in die erweiterte Produktpalette von Mercado Libre. Auch wenn es strukturell eine geringe Marge aufweist als andere Kreditprodukte seien Kreditkarten für das Kunden-Engagement entscheidend, wie Finanzchef Osvaldo Gimenez im Earnings-Call mitteilte. Demnach beobachte das Unternehmen, dass Kreditkartenkunden mehr im Online-Marktplatz einkauften und weitere Finanzprodukte von Mercado Pago nutzten. „Die Investitionen sind von strategischer Bedeutung, da die Kreditkarte die Akzeptanz von Mercado Pago als Hauptkonto fördert und ein positives Ökosystemverhalten bewirkt“, so Gimenez.
Dabei beflügeln sich verschiedene Geschäftsbereiche gegenseitig: Mercado Libre verzeichnete zuletzt auch einen Boom beim Absatz der Kartenlesegeräte. Anreize dafür schaffte es zum Beispiel damit, dass es Händlern, die die Geräte nutzen, Kredite anbietet. Das wiederum dürfte Kreditkartenzahlungen langfristig verbreiteter und damit attraktiver machen.
Das Aus für europäische Super-Apps?
Konkurrenz bekommt der das Unternehmen derweil vom brasilianischen Fintech Nubank. Das hat sich neben den Traditionsbanken in Brasilien, Mexiko und Kolumbien bereits eine starke Position aufgebaut und zählt mittlerweile zu den größten Kreditkartenemittenten. Daneben könnten auch E-Commerce-Plattformen, wie Aliexpress, Temu oder Shein in den Markt drängen. Letzteres hat vor kurzem bereits mit einem lokalen Player eine Kreditkarte in Mexiko gestartet.
Auch europäische Fintechs zog es aufgrund der attraktiven Wachstumsaussichten in den dortigen Markt. Die Neobanken Revolut und N26 starteten etwa im vergangenen Jahr ihr Angebot in Brasilien. Letzteres stampfte das Geschäft allerdings nach wenigen Monaten wieder ein.
Langfristig könnte sich Mercado Libre mit seiner Fintech-Strategie also zum „Aliexpress Südamerikas“ weiterentwickeln. In Europa scheinen derartige Ambitionen mittlerweile überkommen. Vor zwei Jahren träumte auch Revolut-Gründer Nik Storonsky noch von der Super-App-Idee. Mittlerweile beschränkt sich der Claim eher auf den Finanzbereich. Auch Konkurrent Vivid kassierte das Ziel der Super-App zuletzt.
Fondsmanager Jan Beckers hält vor allem den saturierten europäischen Markt und die regulatorischen Anforderungen für große Hürden. „In sehr großen Märkten wie den USA, China oder Europa gibt es in jedem der Teilmärkte bereits starken Wettbewerb“, sagte er im Finance-FWD-Podcast. „Es ist daher viel schwieriger, überhaupt noch in so eine dominante Position zu gelangen.“