Das Futu-Büro in Shenzhen (Bild: IMAGO / ZUMA Wire)

Futu – das bessere Robinhood aus China

Der chinesische Neobroker Futu gehört zu einem der globalen Vorreiter. In der westlichen Welt flog die Firma lange Zeit unter dem Radar, dabei ist das Fintech mit Wachstumszahlen und Produkt seinen Wettbewerbern weit voraus. Wie ist der Aufstieg gelungen?

Schon vor Jahren bewarb sich der damals 23-jährige Ingenieur Leaf Hua Li bei einem chinesischen Startup. Als ihn die Firma wegen mangelnder Erfahrung ablehnte, marschierte er ins Büro des Gründers – und redete so lange auf ihn ein, bis dieser ihn einstellte. Er war damit Mitarbeiter 18 von Tencent.

Seit 2000 baute er die chinesische Tech-Firma mit auf, die über die Jahre mit ihrem Messenger Wechat und Apps zu den erfolgreichsten Tech-Firmen der Welt aufstieg.

Sieben Jahre später kündigte er und gründete eine Trading-App mit dem Namen Futu, noch vor dem Start von Robinhood. Der amerikanische Neobroker wird bald einen Börsengang hinlegen – das internationale Interesse ist groß. Futu ist bereits seit 2019 an der US-Börse Nasdaq gelistet und ohne viel Aufmerksamkeit zu einem schnell wachsenden Broker-Startup aufgestiegen: Der Umsatz stieg im vergangenen Jahr um 212 Prozent auf 427 Millionen Dollar, die Nutzerzahl stieg sogar um 231 Prozent.

Wohlhabende Kunden verwenden die Futubull-App

Gerade dieses Wachstum hat die Investoren beeindruckt, denn der Trading-Hype schwappte auch nach China. Die Zahl der Kunden ist dabei sogar vergleichsweise klein: Die Futubull-App zählt um die 790.000 aktive Nutzer.

Umso imposanter ist der Blick in die Kundenstruktur von Futu. Die Trader sind im Durchschnitt nämlich wohlhabender als bei den hierzulande bekannten Konkurrenzfirmen. Insgesamt verwaltet die Firma ein Vermögen von 36,8 Milliarden Dollar, ein durchschnittlicher Futu-Kunde hat also 46.555 Dollar im Depot.

Zum Vergleich: Selbst beim deutschen Broker Flatexdegiro, der mit seinem Kernprodukt eher erfahrene Investoren anspricht, sind es nur 29.580 Dollar pro Kunde – und beim US-amerikanischen Ausnahmebroker Robinhood lediglich 4.496 Dollar. Ein Grund für den Erfolg von Futu ist demnach eine überdurchschnittlich wohlhabende Kundengruppe, die vor allem aus jungen gutverdienenden Ingenieuren und Technikern besteht.

Soziales Netzwerk trifft Trading-App

Auch mit seinem Produkt ist Futu weiter, es hat die App weiterentwickelt – hin zu einer Trading-Super-App. Es hat neben der Trading-Funktion in den vergangenen Jahren das soziale Netzwerk NiuNiu aufgebaut. NiuNiu hat circa 670.000 aktive Nutzer und wird von Branchenbeobachtern als das Wallstreetbets-Forum – also das zentrale Börsenforum – chinesischer Anleger bezeichnet. Junge Trader diskutieren dort Anlage-Tipps, es sind aber auch Livestreams von Hauptversammlungen und digitale Weiterbildungskurse zu Finanzthemen integriert.

Das NiuNiu-Netzwerk ist direkt in der Futubull-App integriert. Während sich die Anleger über ihre neuesten Investmentideen austauschen, können sie die jeweiligen Wertpapiere auch sofort in der App kaufen. Außerdem brauchen Nutzer einen Futubull-Account, um auf NiuNiu zugreifen zu können.

In manchen Kreisen gilt das NiuNiu-Forum mittlerweile als unentbehrlich. Ein Hedgefonds-Manager aus Singapur beschrieb NiuNiu in einem Interview mit der Financial Times als das „YouTube of E-Trading“. Wer beim Trading keinen Zugriff auf die Plattform und die dortigen Inhalte habe, sei mit einem Soldaten ohne Patronen im Gewehr zu vergleichen. Selbst Experten setzen mittlerweile auf die Inhalte von NiuNiu.

Günstiges Marketing

Bis heute ist der Futu-Gründer Leaf Hua Li eng mit seinem ehemaligen Arbeitgeber verbunden. Tencent ist auch mit 21 Prozent an Futu beteiligt und damit der zweitgrößte Aktionär nach dem Gründer selbst, der 34 Prozent von Futu kontrolliert. Anders als bei Tencent reicht es bei Futu allerdings nicht aus, ein erfolgreiches soziales Netzwerk aufzubauen.

Schlussendlich bleibt die entscheidende Frage, wie stark sich der Erfolg von NiuNiu auf die Umsätze und Gewinne im Kerngeschäft als Neobroker auswirkt. Schließlich ist eine Super-App nur dann sinnvoll, wenn sich die einzelnen Teile der App gegenseitig befruchten. Es stellen sich also zwei Fragen:

1. Sorgt die Integration von NiuNiu tatsächlich für mehr Trading-Aktivität der Nutzer?

2. Kann man durch die Anziehungskraft von NiuNiu vergleichsweise günstig Kunden gewinnen?

Der Marketing-Effekt scheint sich bei dem Blick auf die Kosten zu bestätigen. Im vergangenen Jahr hat der Neobroker 50 Millionen Dollar für Marketing ausgegeben, also circa zwölf Prozent des Umsatzes. Das israelische Pendant eToro hingegen hat 2020 circa 38 Prozent der Umsätze in die Werbung von Neukunden reinvestiert. Dabei ist eToro mit nur 148 Prozent gewachsen, deutlich schwächer als Futu.

Selbst Robinhood hat 2020 19 Prozent der Umsätze für Marketing ausgegeben, obwohl der US-amerikanische Neobroker zum Sinnbild des Trading-Hypes wurde und dadurch sehr viel mediale Aufmerksamkeit beziehungsweise kostenfreie Reichweite erhalten hat.

Und auch in Bezug auf die Trading-Aktivität scheint NiuNiu sich positiv auf die Zahlen von Futubull auszuwirken, denn der chinesische Broker macht deutlich mehr Umsatz pro Kunde als die Konkurrenz.

Der große Unterschied zu Robinhood ist vor allem damit zu erklären, dass eToro und Futu ihr Geld mit Trading-Gebühren verdienen, während Robinhood mit dem sogenannten Payment-for-order-flow Modell arbeitet. Robinhood leitet die Orders der Kunden an Börsenhändler weiter und bekommt dafür eine kleine Provision von den Händlern.

Doch auch im Vergleich zu eToro verdient Futu noch einmal deutlich mehr Geld pro Nutzer. Das liegt zum einen daran, dass ein aktiver Nutzer von NiuNiu 38 Minuten pro Tag in der Futubull-App verbringt und dementsprechend häufig Aktien kauft und verkauft, was die Gebühren nach oben treibt.

Außerdem bietet der chinesische Neobroker seinen Kunden Finanzierungslösungen an. Die Kunden können sich bei Futu Geld leihen, um Aktien zu kaufen und die Aktien dienen als Sicherheit für den Kredit. Im Schnitt haben diese Kredite eine Verzinsung von 6,8 Prozent. Das führt dazu, dass im vergangenen Jahr nur mehr 60 Prozent der Umsätze auf die klassischen Broker-Gebühren zurückzuführen waren. Der Rest kommt aus anderen Quellen und eben vor allem aus den Zinserträgen des Kreditgeschäfts.

Finanziert hat Futu dieses Geschäft ursprünglich aus eigener Kasse, mittlerweile greift die Firma aber großteils auf andere Banken zurück, die das Geld für die Kredite zur Verfügung stellen. 2020 wurden um die 69 Prozent aller Kredite über institutionelle Partner finanziert.

Die hohen Umsätze pro Kunde führen zu außerordentlich hohen Gewinnmargen. Während eToro noch Geld verliert, hatte Futu im vergangenen Jahr einen Jahresüberschuss von 172 Millionen Dollar, was einer Marge von 40 Prozent entspricht. Zum Vergleich: Bei Robinhood betrug die Gewinnmarge letztes Jahr lediglich 0,8 Prozent und lag damit nur knapp über der schwarzen Null. Selbst bei einem etablierten Player wie Flatexdegiro lag die Gewinnmarge im letzten Jahr bei nur 19 Prozent.

Außerdem fällt auf, dass der Gewinn von Futu deutlich stärker gestiegen ist als der Umsatz, um 721 Prozent nämlich. Hintergrund ist ein Phänomen, das in Fachkreisen als operativer Hebel bezeichnet wird und auf alle Broker zutrifft. Broker – ob klassisch oder neo – haben erst einmal hohe Fixkosten, um die gesamte Handelsinfrastruktur zu bauen und die nötigen Lizenzen zu erhalten. Dafür sind die variablen Kosten je Kunde denkbar gering.

In anderen Worten: Mehr Trading bedeutet mehr Umsatz ohne relevante zusätzliche Kosten. Davon profitieren die Online-Broker aktuell enorm. Allerdings muss man beachten: Der operative Hebel arbeitet auch in die andere Richtung. Wenn das Handelsvolumen plötzlich zurückgeht, sinken die Umsätze, die Fixkosten bleiben aber zu großen Teilen bestehen.

Die internationale Expansion

Um einem möglichen Abflachen des Trading-Hypes in China entgegenzuwirken, will Futu sich in diesem Jahr verstärkt auf die internationale Expansion konzentrieren. Konkret will man 2021 das Geschäft in Singapur und den USA ausbauen und den dortigen Konkurrenten mit der App „moomoo“ Konkurrenz machen. Überzeugen soll hier genau wie bei Futubull die Kombination von Trading-App und sozialem Netzwerk.

Trotz des katastrophalen Namens läuft die App vor allem in Singapur gut an. Am 8. März war der offizielle Launch, schon Anfang Juni kam die Pressemitteilung, dass die Marke von 100.000 zahlenden Kunden in Singapur überschritten wurde. Ein beeindruckendes Wachstum. Vor allem wenn man bedenkt, dass Singapur gerade einmal 5,9 Millionen Einwohner hat. Über den Start in den USA gab es bisher noch keine weiteren Informationen.

Die Krux der Massentauglichkeit

Ein weiterer Grund für die internationalen Ambitionen von Futu könnte die langfristige Sorge sein, dass man sich zu spitz positioniert hat und sich auf wohlhabenden und aktiven Aktienhändler konzentriert. Dieser Markt ist in jedem Land begrenzt.

Wenn man nämlich einmal einen Blick auf die Nutzeroberfläche der Futubull-App wirft, findet man eine ziemliche komplexe Trading-App vor, die eher erfahrene Trader als Neueinsteiger anspricht. Vor allem im Vergleich zu Apps wie Robinhood oder Trade Republic wird die Komplexität der Nutzeroberfläche besonders deutlich.

Spitze Zielgruppe

Diese Positionierung führt zum einen dazu, dass Futu eine überdurchschnittlich wohlhabende Kundengruppe besitzt. Zum anderen erklärt sie aber auch, wieso Futu nur 790.000 aktive Nutzer zählt und damit bedeutend weniger als die 18 Millionen Nutzer von Robinhood.

Die spitze Positionierung als Trading-App bedeutet außerdem, dass die langfristigen Expansionsmöglichkeiten im Produktportfolio beschränkter sind als bei der Konkurrenz. Robinhood bietet beispielsweise bereits Debitkarten an und will in Zukunft nicht nur zum Neobroker, sondern zur vollumfänglichen modernen Bank für den Kunden werden.

Futu-App (links) und der Neobroker Robinhood (Bild: Screenshots)

Auch der deutsche Konkurrent Trade Republic verfolgt eine ähnliche Strategie. In einem Interview mit der Wirtschaftswoche sagte der Trade-Republic-CEO Christian Hecker kürzlich: „Wir glauben schon, dass der Markt fürs Trading klein ist, kompetitiv ist und nicht wirklich was verändert. Der Markt für Vermögensvorsorge, der Markt fürs Sparen, ist faktisch unendlich.“

Liebling der Börsen

Die spitze Positionierung von Futu führt dazu, dass man der Konkurrenz aktuell weit voraus ist. Gleichzeitig ist man abhängiger vom aktuellen Trading-Hype und wird es schwerer haben, das Produktportfolio in Zukunft bedeutend zu erweitern.

Die Investoren an der Börse stören sich bisher nicht an Futus Abhängigkeit von der Marktdynamik. In den vergangenen 12 Monaten hat die Aktie um mehr als 700 Prozent zugelegt. Damit ist Futu an der Börse 23,8 Milliarden Dollar wert, was in etwa dem 56-fachen des Umsatzes entspricht.

Robinhood könnte beim baldigen Börsengang eine Bewertung von rund 50 Milliarden Dollar erreichen, was ebenfalls circa dem 50-fachen des Umsatzes entsprechen würde. Die restliche Konkurrenz wird aber deutlich günstiger bewertet. eToro soll bei seinem baldigen SPAC-Merger nur auf das 17-fachen des Umsatzes kommen, das Umsatzmultiple von Flatexdegiro liegt bei 12.

Wenn man bedenkt, dass die Umsätze von Futu durch die aktuelle Sonderkonjunktur an den Börsen außergewöhnlich hoch sind, ist die Aktie aus Investorensicht alles andere als günstig. Dennoch zählt Futu mit seinen Geschäftszahlen zu den global stärksten Neobroker – und ist mit seiner Trading-Super-App sehr weit entwickelt. Die Frage ist nur: Wie lange lässt sich der Vorsprung halten?

In Deutschland gehören Trade Republic und Scalable Capital zu den Hoffnungsträgern unter den Neobrokern – sie haben eine Gemeinsamkeit mit Futu. Tencent stieg kürzlich bei Scalable Capital ein und Sequoia bei Trade Republic. Beide gehören zu wichtigen Geldgebern von Futu.