Oleg Tinkov, Gründer der Tinkoff Bank, auf dem Internationalen Wirtschaftsforum 2018 in St. Petersburg (Bild: imago)

Fintech-Vorbild Tinkoff: „An dem Kreditgeschäft kommen N26 und Revolut nicht vorbei“

Die russische Digitalbank Tinkoff gilt als globaler Fintech-Vorreiter: Die Super-App wächst weiter und fährt gleichzeitig gute Gewinne ein. Ein Grund für den Erfolg ist das Kreditgeschäft. Eine Lehre für die europäischen Smartphonebanken?

Jetzt hat er auch noch die russische Fußballliga nach seinem Unternehmen benennen lassen, das Radsportteam war offenbar nicht genug für Oleg Tinkov. Werbung kann er. In Europa ist seine Tinkoff Bank trotzdem weitgehend unbekannt, sie hat sich bislang noch nicht über ihre Landesgrenzen hinausgewagt. Mit der Finanz-App können Kunden nicht nur ihr Banking, Kredite und Versicherungen digital abwickeln, sondern auch viele andere Dinge wie Tickets kaufen, in Restaurants reservieren, ein Taxi bestellen oder auch shoppen. Auch bietet die Digitalbank einen eigenen Mobilfunkanbieter.

Dabei gilt nicht nur die App als Vorbild für Revolut, N26, Vivid und Co. – auch der Fakt, dass Tinkoff bereits seit 2008 profitabel arbeitet, soll beweisen, dass sich mit dem Geschäftsmodell gute Gewinne einfahren lassen. Die Stellung in der Fintech-Welt ist klar: Tinkoff ist Vorreiter. Bevor er das brasilianische 25-Milliarden-Fintech Nubank gründete, verbrachte David Vélez einige Zeit bei Tinkoff, um von den Russen zu lernen.

Auch deutsche Techaktien-Experten haben die börsennotierte TCS Group, das Unternehmen hinter der Bank, in den vergangenen Monaten als aussichtsreiches Investment entdeckt. „Die Firma könnte in den kommenden Jahren noch drei- bis fünfmal so groß werden“, sagt Bitcapital-Gründer Jan Beckers, der mit seinem sehr erfolgreichen Fonds Internet Global Leaders auf die TCS Group wettet. Am Mittwoch hat das Unternehmen seinen Investoren präsentiert, was es in den kommenden Jahren plant. Dabei fährt Tinkoff eine Produktstrategie, die sich in einem wichtigen Punkt von den europäischen Smartphonebanken unterscheidet.

75.000 Briefe in Wolgograd

Tinkoff bespielt mit Russland einen Markt, dessen Bankenwelt Anfang der 1990er-Jahre einen Neustart hinlegen musste. Selbst die größeren, inzwischen älteren Banken seien aus diesem Grund im Vergleich zu europäischen Banken tech-versierter, sagte Fintech-Investorin Olga Shikhantsova im FinanceFWD-Podcast. Der Gründer Oleg Tinkov ließ sich einst durch den Erfolg des US-Kreditkarten-Anbieters Capital One inspirieren und begann mit viel Werbung per Post.

Als ersten Test verschickte er damals 75.000 Briefe in der Stadt Wolgograd und erhielt 1.500 Rückmeldungen, kein schlechter Wert im Vergleich zum US-Vorbild. Die erste Wachstumsphase begann im Jahr 2006 (der Newsletter Net Interest hat die Geschichte der Anfangstage detailliert nacherzählt). Der Schwenk in das Smartphone-Zeitalter gelang dem Unternehmen in den vergangenen Jahren derweil ebenfalls. Es hat um die Kreditkarte eine „Super-App“ mit zahlreichen Produkten aufgebaut. Und wächst damit gerade in der jüngsten Vergangenheit stark, inzwischen führt es 13,3 Millionen Kunden.

Als Kunde zählen für Tinkoff diejenigen, die mindestens ein Produkt der Bank genutzt haben. Nur wer bereits Umsatz gebracht hat, ist ein aktiver Kunde. Dabei ist der Unterschied zwischen den beiden Werten gesund. Zum Vergleich: Bei N26 zählt lediglich die Hälfte der Kunden zu der ertragsrelevanten Gruppe, wie Zahlen kürzlich gezeigt haben.

Tinkoff kam damit im vergangenen Jahr auf einen Umsatz von umgerechnet 2,1 Milliarden Euro, davon blieben 483,3 Millionen Euro Gewinn. Einen Großteil des Umsatzes und Gewinns macht Tinkoff dabei in der Kategorie „Cosumer Finance“ – es ist der Kern des Unternehmens.

Dahinter steckt das Kreditgeschäft der russischen Bank. Es ist ein Bereich, in dem das Unternehmen bereits sehr stark ist, insgesamt nutzen derzeit 6,9 Millionen Kunden Kreditprodukte. Fondsmanager Jan Beckers sieht dies als einen Faktor für den Erfolg. „Tinkoff verfügt über ein gutes Kreditbuch, selbst in Krisen haben sie mit dem Geschäft Gewinne erzielt“, sagt der Investor. „Auch während der Coronapandemie hatten sie ihre Ausfallraten im Griff.“

Der Fokus ist eigentlich ungewöhnlich, europäische Fintech-Firmen versuchen die Kredite nicht selbst zu vergeben, sondern suchen sich Partner. N26 arbeitet beispielsweise mit Auxmoney zusammen. „Die Aktienmärkte bewerten Kreditgeschäftsmodelle relativ niedrig, sie sind im Fall von Tinkoff aus unserer Sicht unterbewertet“, so Beckers. Es sei ein zyklisches Geschäft und viele hätten sich in der Vergangenheit „die Finger verbrannt“.

Tinkoff profitiert vom Neobroker-Hype

Was sich aus den Zahlen ebenfalls ablesen lässt: Die Bankkarten sind vor allem ein Weg, um Kunden zu gewinnen. Über die Gebühren der Debitkarten erzielt die Bank zwar einen Umsatzanteil von zehn Prozent, doch es bleibt nur wenig übrig. Das Versicherungsgeschäft ist dagegen lukrativ: Das Segment Insurtech macht nur zehn Prozent des Umsatzes aus, dafür aber bereits 19 Prozent des Gewinns. Aktienexperte Beckers sieht das Potential allerdings begrenzt, der Online-Vertrieb von Versicherungen sei schwierig.

Aussichtsreicher ist der Aktienhandel, der zurzeit noch klein ist. Seit fünf Jahren können die Kunden über Tinkoff Aktien kaufen. Zunächst über einen Partner, seit 2018 bietet das Unternehmen den Dienst selbst an und entwickelte sich schnell zum Marktführer im eigenen Land. „Trotz unserer führenden Position in diesem Markt stehen wir noch am Anfang einer langfristigen Verschiebung in Richtung Brokerage und Wealth Management in Russland“, hieß es kürzlich in einem „Earnings Call“. Klar ist: Tinkoff profitiert dabei vom Hype der Neobroker.

In Russland sei noch sehr viel Wachstum möglich, sagte CEO Oliver Hughes, der von Visa kam. Dabei plant er sowohl ein Wachstum der Kundenzahl als auch beim sogenannten Cross-Selling. Jeder Kunde kauft mittlerweile schon im Schnitt 1,4 Produkte. Der Bankchef formuliert klare Ziele: Die Zahl der aktiven Kunden soll bis 2023 von 9,1 Millionen auf 16,5 Millionen anwachsen und Tinkoff will pro Kunde im Schnitt 1,7 Produkte verkaufen.

150 Euro Umsatz pro Kunde

Die Erfahrung zeige, dass Kunden, die länger bei der Bank bleiben, auch mehr Produkte nutzen. „Wir wollen mit Versicherungen und Konsumentenkrediten das machen, was wir bereits mit der Kreditkarten geschafft haben“, sagte CEO Hughes. Im russischen Kreditkartengeschäft hat Tinkoff bereits einen hohen Marktanteil.

Potential sieht er vor allem, weil von den insgesamt 70 Millionen russischen Arbeitnehmern fast die Hälfte keinen Kredit laufen hat. „11,5 Millionen davon haben allerdings bereits in der Vergangenheit Erfahrung mit den Kreditprodukten gemacht. Ihnen eine Kreditfinanzierung anzubieten, wird einfach sein“, so Hughes. Zudem will die Firma auf den „Buy Now, Pay Later“-Trend aufspringen. Auch weitere Expansionspläne schließt die Firma nicht aus.

Die Erfolgsgeschichte von Tinkoff ist derweil auch eine Lehre für die westeuropäischen Nacheiferer. „An dem Kreditgeschäft kommen N26 und Revolut langfristig nicht vorbei“, prognostiziert Investor Beckers. Bislang fahren die Smartphonebanken noch massive Verluste ein. Gleichzeitig sind die Umsätze geringer als bei Tinkoff. Die russische Digitalbank erzielt umgerechnet 157 Euro Umsatz pro Kunde – ein vielfaches von dem, was beispielsweise Nubank (27 Euro) oder N26 (14 Euro) erreichen.