Der Wefox-Gründer und -CEO Julian Teicke (Bild: PR)

Wie Wefox mit einem fragwürdigen Deal sein Wachstum ankurbelte

Exklusiv: 2019 ging Wefox mit dem Anbieter Expatrio eine Kooperation ein – und konnte damit das Wachstum der eigenen Versicherungstochter massiv beschleunigen. Doch laut Insidern sei einigen der neuen Kunden gar nicht bewusst gewesen, dass sie überhaupt eine Versicherung abschlossen hatten. 

Die Zahlen waren eine Sensation. Im Frühjahr 2021 veröffentlichte das milliardenschwere Versicherungs-Startup Wefox seinen Jahresbericht, der mit einer schwarzen Zahl endete: Immerhin 7.000 Euro Gewinn erzielte die Berliner Firma mit ihrer Versicherungstochter. Ein positives Ergebnis ist außergewöhnlich für ein schnellwachsendes Startup – auch Wefox steigerte seinen Umsatz in dem Jahr von 6,6 Millionen Euro auf 33,8 Millionen Euro. Gründer Julian Teicke schrieb angesichts der Zahlen in einer Präsentation: „Wir sehen gut aus gegen die Konkurrenz.“ In der Branche sorgte das Ergebnis für ungläubiges Kopfschütteln.

Rund zwei Jahre später zeigen Recherchen von Capital und Finance Forward nun, was tatsächlich hinter den Zahlen steckte: Um sein Geschäft anzukurbeln, schloss die Wefox nämlich 2019 eine Kooperation mit der Berliner Firma Expatrio ab.

Das Startup ist ein Service vor allem für Studenten aus dem Ausland, die in Deutschland ein Bankkonto und eine Krankenversicherung brauchen. In dem Paket erhielten die Studenten nun auch eine Hausratsversicherung von Wefox. Der Haken? „Viele Studenten haben nicht realisiert, dass sie die Versicherung besitzen – oder es offenbar wieder vergessen“, sagt ein ehemaliger Wefox-Manager. „Anders lässt sich nicht erklären, dass sie so gut wie keine Schäden eingereicht haben.“ Expatrio betont auf Nachfrage, die Kunden seien nach „gesetzlichen Vorschriften“ auf das Angebot aufmerksam gemacht worden.

Ein Wahnsinnswert bei den Hausratversicherungen

Der Deal hatte für Wefox einen doppelt positiven Effekt: Die Zahlen der eigenen Versicherung glänzten, das Geschäft lief auf dem Papier gut. Gleichzeitig war die Schadenquote extrem niedrig, weil nur wenige überhaupt einen Schaden meldeten – schließlich hatten sie offenbar häufig die Versicherung wieder vergessen.

Die Schadenquote lag für Hausratsversicherungen bei sieben Prozent – ein Wahnsinnswert. Zum Vergleich: Bei der Ammerländer Versicherung, einem der großen Player in dem Markt, ist die Quote fast sechs Mal so hoch. Im Geschäftsbericht von Wefox ist in diesem Zusammenhang von wenigen Einbrüchen während der Corona-Pandemie die Rede – der Name Expatrio fällt dagegen nicht ein einziges Mal.

Laut Wefox wurde die Expatrio-Kooperation inzwischen wieder eingestellt, im Firmenumfeld ist von einem „Experiment“ die Rede. Offiziell teilt das Unternehmen mit: „Es ist das Wesen einer erfolgreichen Startup-Kultur – fail fast and learn faster.“ Die Kundinnen und Kunden seien „stets vor oder während des Kaufvorgangs über alle Marketinginitiativen gemäß gesetzlichen Vorgaben informiert“ worden. Diese Erwartung habe das Unternehmen auch an die Partner.

Die alten Tricks der Branche

In der Branche sind ähnliche Vertriebskooperationen durchaus üblich, beispielsweise bei Kreditkartenanbietern, die Versicherungen mit aufnehmen. Das Versicherungs-Startup bediente sich mit der Koop also eines üblichen Branchentricks – dabei wollte Wefox die Industrie eigentlich umkrempeln.

Nachhaltig war das Wachstum nicht – das Geschäft mit Hausrat bei Wefox brach nach 2020 ein. In späteren Präsentationen für Investoren korrigierte Wefox die niedrige Schadensquote selbst nach oben. Die Zahl von rund 50 Prozent über alle angebotenen Versicherungen stieg auf 70 Prozent, weil die Firma den Expatrio-Vertrag und einen anderen Deal herausrechnete. 2021 verschlechterte sich das Geschäft weiter, insgesamt stieg die Schadenquote auf über 100 Prozent.

Die Wefox-Versicherungstochter sei noch zu klein, um das Ergebnis mit Ausfällen richtig beurteilen zu können, heißt es aus dem Firmenumfeld. Doch seitdem ist es auch nicht mehr gelungen, mit einer schwarzen Zahl zu prahlen.

Mitarbeit: Hannah Schwär und John Hunter; den Autor erreicht ihr für Hinweise unter caspar.schlenk (at) financefwd.com.

Die ganze Geschichte zu Wefox’ Aufstieg und seinen Wachstumsdeals lest ihr in der neuen Ausgabe von CAPITAL, die ab 19. Januar am Kiosk liegt – oder online im CAPITAL-Shop gekauft werden kann.