Tinkoff-Kunden heben nach der Ankündigung der Sanktionen Geld ab (Bild: IMAGO / ITAR-TASS).

Mit Geld der russischen Digitalbank Tinkoff gestartet: Muss Vivid Money Konsequenzen fürchten?

Die Sanktionen des Westens gegen Russland treffen vor allem Banken, darunter das Vorzeige-Fintech Tinkoff. In Westeuropa versucht ein Team aus ehemaligen Managern der russischen Digitalbank, den Erfolg zu wiederholen – mit Geld aus Moskau. Wie steht es um das Banking-Startup Vivid Money?

Vor den markanten gelben Geldautomaten haben sich lange Schlangen gebildet. Mitunter dauere es in Moskau 40 Minuten, an Bargeld kommen, schreibt ein Journalist auf Twitter. Es sind die unmittelbaren Auswirkungen der Sanktionen des Westens.

Am Wochenende hatten die USA und Europa Russland vom globalen Finanzverbund Swift ausgeschlossen – ein Schritt, der auch als „finanzielle Atombombe“ bezeichnet wird. Damit werden die russischen Banken von den internationalen Finanzströmen abgeschnitten. Für die Russen bedeutet das unter anderem ein Kampf um Bargeld, weil unklar ist, ob und wie das Geld künftig fließt.

Unter die Räder gekommen ist dabei auch ein bekannter Fintech-Star: Tinkoff, die Bank mit den gelben Geldautomaten. Die Aktie der TCS Holding brach um mehr als 70 Prozent ein und der Firmenwert sank auf rund sieben Milliarden Dollar. Das Unternehmen war auch der erste Finanzier von Vivid, einem N26-Angreifer in Deutschland. Die Gründer kommen von Tinkoff, fast die Hälfte der Mitarbeiter sitzt in Moskau. Wie kommt das Startup durch die Zeit?

Tinkoff gilt unter den Neobanken als Beleg dafür, dass sich mit dem Geschäftsmodell Geld verdienen lässt. Seit 2008 arbeitet die Bank profitabel, inzwischen führt sie mehr als 18 Millionen Kunden, jedes Quartal kommen weitere hinzu. Die Stellung in der Fintech-Welt ist klar: Tinkoff ist Vorreiter. Bevor er das brasilianische Milliarden-Fintech Nubank gründete, verbrachte David Vélez einige Zeit bei Tinkoff, um zu lernen. Auch der Gründer des Banking-Startups Revolut Nik Storonsky, ein gebürtiger Russe, soll sich viel von Tinkoff abgeschaut haben.

Das Erfolgsmodell will Tinkoff seit einigen Jahren auch nach Westeuropa bringen. „Im August 2020 erwarb die Gruppe einen Anteil von 22,15 Prozent an der Incantus Holding Limited, einer Gruppe von Fintech-Startups, die 2020 gegründet wurde, um Privatkunden in Europa eine Reihe von Dienstleistungen über die mobile Banking-Plattform Vivid Money anzubieten“, hieß es im Jahresbericht.

Die beiden Tinkoff-Veterane Artem Yamanov und Alex Emeshev haben im Sommer 2020 Vivid gestartet. Yamanov sei „definitiv sein talentiertester Manager“ und werde Revolut-Gründer Storonsky „in den Hintern treten“, schrieb Tinkoff-Gründer Oleg Tinkov damals auf Instagram. Bis zu 25 Millionen Euro wollte er ihnen dafür geben.

Die Neobank positioniert sich als Super-App in spe und ist damit ein Angreifer von der deutschen Smartphone-Bank N26. Sie konnte seither eine halbe Millionen Kunden gewinnen. Vielen ist die Struktur des Unternehmens offenbar nicht bewusst. In Online-Foren bei Facebook und Reddit häufen sich dieser Tage die Fragen dazu, ob die Situation in der Ukraine Folgen für ihre Gelder und Konten haben könne. Klar ist ihnen allenfalls der Bezug zu Russland. „Meint ihr die aktuelle Krise mit Russland hat Auswirkungen auf Vivid, das ja zur russischen Tinkoff Bank gehört?“, will etwa ein Nutzer wissen. „Es ist nur konsequent, wenn Ihr euer Konto bei Vivid kündigt, bevor die Sanktionen gegen Menschenverbrecher in Kraft treten“, schreibt ein anderer.

Vivid ist Teil des deutschen Einlagensicherungssystems

Dabei haben die Kunden Geschäftsbeziehungen mit einer deutschen Tochter, deren Holding zunächst in Zypern gegründet, dann aber nach Irland verlegt wurde. Von den Sanktionen gegen Russland dürfte das Startup deshalb nicht direkt betroffen sein. Durch die Partnerschaft mit der Bafin-regulierten Solarisbank seien „alle Einlagen bis 100.000 Euro durch das ‘Deutsche Einlagensicherungssystem’ geschützt“, heißt es. Seine Investmentprodukte, also Teilaktien und Derivate, bietet Vivid als Vermittler der Münchner CM-Equity AG an, auch die sind entsprechend geschützt.

Die Gründer haben stets ihre Eigenständigkeit betont. In mehrere Finanzierungsrunden sind internationale Investoren wie Softbank, Greenoaks Capital und Ribbit Capital eingestiegen, insgesamt flossen etwa 200 Millionen Euro in die Firma. Die Tinkoff-Gruppe selbst hat nicht noch einmal nachgelegt. Der Anteil ist weiter verwässert und lag Ende September 2021 bei 11,7 Prozent. Nach der neuen Finanzierung dürfte der Tinkoff-Share unter zehn Prozent gesunken sein. Als erster Investor wird Tinkoff aber weiterhin eine Signalwirkung für Vivid haben.

Auch sonst gibt es enge Verbindungen in die russische Hauptstadt: Von den 400 Mitarbeitern sitzen 190 dort, wie das Unternehmen auf Nachfrage mitteilt. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Beschäftigte in der Tech-Abteilung. „Wir setzen Gehaltszahlungen an unsere Teams in Moskau wie gewohnt fort“, versichert ein Sprecher auf Nachfrage. Das lässt nur die Schlussfolgerung zu, dass die Vivid-Holding eine Tochter in Moskau unterhält – denn Geld kann derzeit nicht in das Land fließen. Ferner wolle man die Inflation der Mitarbeiter ausgleichen. Wie das langfristig funktionieren soll, ist derweil unklar.

Das Unternehmen betont dabei seine Solidarität. „Egal ob Ukrainer oder Kollegen jeglicher Nationalität, in der Ukraine und überall – unser größtes Gut ist unser gegenseitiger Support aller Kollegen sowie deren Familien“, sagt der Sprecher.


Hinweis: Warum Tinkoff nicht so stark getroffen wurde wie die Sberbank und über die Kursverluste hat Fintech-Investor Jan Beckers am Dienstagabend im Beckers-Bets-Podcast gesprochen. Hier könnt ihr die Episode hören.