Ride hilft Anlegern beim Gründen von speziellen GmbHs, um Steuern zu sparen. Bild: PR

Keine Gehälter und Betriebsstopp: Ride versinkt nach Übernahme im Chaos

Exklusiv: Nach der Übernahme aus der Insolvenz schien das Fintech Ride gerettet. Nun gibt es eine kuriose Wendung: der neue Eigentümer sieht sich zur Geschäftsaufgabe gezwungen, Mitarbeiter bangen um ihre Jobs und Gehälter. Tage zuvor hatte das Startup noch um Vertrauen bei Kunden geworben.

Hoffnung und Resignation liegen in der Startup-Welt manchmal nur wenige Tage auseinander. Am Freitag vor einer Woche lud das Finanz-Startup Ride wichtige Kunden zu einem Webinar ein. Unter dem Motto „Gestärkt aus der Krise“ informierte Ride darin über sein neues Führungsteam, das Unternehmen stellte seinen Service vor und warb für ein rabattiertes Sonderangebot. Ein Mitschnitt des gut einstündigen Videocalls liegt Finance Forward vor.

Es sei darum gegangen, verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen und Kunden über das jüngste Insolvenzverfahren hinaus zu halten, berichtet ein Teilnehmer. Dies machte Ride-Chef Samed Yilmaz in dem Call auch deutlich: „Das Geschäft der Ride GmbH ist einmalig in Deutschland mit einem sehr sehr großen Potenzial“, war etwa ein Satz, den er in der Runde fallen ließ. Erst Anfang November hatte ein früherer Gesellschafter das Kerngeschäft des Berliner Steuer-Fintechs übernommen und somit den Weiterbetrieb gesichert. Investitionen im siebenstelligen Bereich sollten folgen.

Doch nur wenige Tage nach dem Webinar, am Mittwoch vergangener Woche, wich die Euphorie einem kollektiven Schockzustand. In einem kurzfristig einberufenen All-Hands-Meeting musste Ride-Chef Yilmaz seinen Mitarbeitenden mitteilen, dass sie ihr Gehalt für November vorerst nicht überwiesen bekommen. Der Grund: Der neue Eigentümer wolle den Geschäftsbetrieb aufgrund operativer Probleme einstellen. Es drohen betriebsbedingte Kündigungen. Viele der mehr als 20 Beschäftigten, darunter auch Schwangere, seien von der Nachricht kalt erwischt worden, erzählen Teilnehmer. „Es flossen Tränen“, schildert einer die Stimmung in dem Termin.

Steuerpartner springen ab

Auf Anfrage von Finance Forward bestätigt Ride-Eigentümer Raoul Heraeus die Pläne für einen Betriebsstopp. Es handle sich um eine notwendige Maßnahme. Gemeinsam mit weiteren Investoren habe er die Finanzierung des Startups zwar sichern und somit „den Weg für einen Neustart“ ebnen können. Doch dann sei es zu Problemen gekommen: „Unabhängig von der Frage der Finanzierung haben sich einige Steuerberater-Partner kurzfristig und unerwartet gegen die weitere Zusammenarbeit mit Ride Capital entschieden“, teilt Heraeus mit.

Das Finanz-Startup hilft Anlegern beim Steuersparen durch Gründung von vermögensverwaltenden GmbHs. Für sein Angebot setzte das Fintech auf externe Steuerkanzleien, denen es Kunden vermittelte. Ohne die Steuerberater sei bei Ride aber kein Geschäft möglich, betont Heraeus. Darüber sei das Team vergangene Woche informiert worden. Die Gehaltsausstände für den Monat November bestätigt der Investor.

Die Nachricht ist ein weiteres Kapitel in der bewegten Geschichte des Fintechs. Ride galt in der Szene lange als Hoffnungsträger. Mehrere prominente Geldgeber wie Fußballstar Mario Götze oder Verena Pausder vom Startup-Verband waren bei der Firma investiert. Ein hoher siebenstelliger Millionenbetrag floss in den Aufbau.

Seit einigen Monaten schon im Krisenmodus

Seit einigen Monaten agiert Ride im Krisenmodus. Im September hatte das Fintech überraschend Insolvenz angemeldet. Grund sollen finanzielle Altlasten aus früheren Nebengeschäften mit Immobilien gewesen sein. Die Ride-Gründer Christine Kiefer und Felix Schulte schieden wenig später als Geschäftsführer offiziell aus, Samed Yilmaz übernahm.


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Das Insolvenzverfahren gestaltete sich schwierig. Nach Informationen von Finance Forward gab es zwar gut zwei Dutzend Interessenten für das Finanz-Startup, Interesse soll aber lediglich am gut laufenden Kerngeschäft bestanden haben. Dies betraf neben dem Gründungsservice zum Beispiel auch einen Wertpapierbroker. Im Hintergrund gab es zudem Machtspiele. So trieben die geschassten Firmengründer selbst neue Investoren auf, wodurch der Insolvenzantrag angeblich hätte zurückgezogen werden können. Die übrigen Gesellschafter stimmten aber mehrheitlich gegen das Angebot.

Den Zuschlag erhielt stattdessen Raoul Heraeus, ein früherer Investor bei Ride. Etwas mehr als eine halbe Million Euro soll er laut Unterlagen im Handelsregister für das Finanz-Startup bezahlt haben. Den Deal wickelte er über eine eigene GmbH ab, die das Kerngeschäft von Ride fortführen sollte. Nach Informationen von Finance Forward handelte es sich nicht um das Höchstgebot. Es habe auch ein siebenstelliges Gebot gegeben, heißt es aus dem Firmenumfeld. Weil der Investor Heraeus aber zugesagt haben soll, alle Mitarbeiter des Fintechs weiter zu beschäftigen, bekam er letztlich den Zuschlag. „Im Rückblick womöglich ein Fehler“, mutmaßt ein Mitarbeiter, der anonym bleiben will.

Investor will Gehälter nachzahlen

Es steht nun der Vorwurf im Raum, es könnte sich um ein geplantes Vorgehen gehandelt haben. „Der Investor hat jetzt die Software von Ride billig abgestaubt“, behauptet ein Insider. Gemeint ist das firmeneigene Tool „WePa“, damit lassen sich Wertpapiertransaktionen steuerrechtskonform und automatisiert verbuchen. Rasche und hohe Umsätze seien damit möglich, glaubt man den Aussagen von Personen aus dem Firmenumfeld. Die Software könne etwa für Banken und Vermögensverwalter interessant sein.

Dem Vorwurf widerspricht Ride-Eigentümer Raoul Heraeus auf Anfrage entschieden. Pläne etwa für den Verkauf einzelner Assets der Firma gebe es nicht. Er und andere beteiligte Investoren hätten an das „solide Geschäftsmodell des Unternehmens und das starke Team dahinter“ geglaubt. „Es ging uns darum, das, was bis dahin aufgebaut wurde, als Ganzes zu unterstützen, weiterzuentwickeln und erfolgreich in die Zukunft zu führen“, teilt Heraeus mit. Die Entscheidung der Steuerberater-Partner sei für alle Beteiligten „absolut unerwartet“ gekommen.

Der Investor wolle den Betriebsstopp nun „erträglich“ für alle Mitarbeiter gestalten, falls sich kurzfristig keine andere Möglichkeit zur Weiterführung des Betriebs ergebe. „Dazu gehört auch, dass die Novembergehälter ausgezahlt werden“, so Heraeus. An einer Lösung mit Juristen werde gearbeitet. Wie genau diese aussehe, könne er zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht sagen. Ob dies die Mitarbeitenden beruhigt, ist allerdings fraglich. Aufgrund der Umstände sind sofortige betriebsbedingte Kündigungen schon in dieser Woche zu erwarten. Den Mitarbeitenden stünde damit ein ungemütliches Weihnachtsfest bevor.