Die Frau, die aus dem Startup N26 ein Unternehmen machte
Exklusiv: Personalchefin Noor van Boven verlässt N26 – ein großer Verlust für das Fintech. Denn van Boven hat dessen Unternehmensstruktur auf dem Weg vom Startup zur internationalen Bank maßgeblich mitentwickelt. Eine Bilanz.
Als Noor van Boven vor drei Jahren zu N26 kam, hatte die Berliner Smartphone-Bank gerade einmal 250 Mitarbeiter. Inzwischen sind es über Berlin, Barcelona, New York, Wien und São Paulo verteilt 1.500 – Tendenz stark steigend. Die Niederländerin übernahm die Verantwortung fürs Personal damals direkt von den beiden Gründern, Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal. Es war eine Zeit, in der das junge Fintech rasant wuchs, alle zwei Wochen wurden 75 neue Mitarbeiter eingestellt.
Die beiden Gründer vertrauten ihr schnell. Bald war sie dafür verantwortlich, nicht nur das Team zu vergrößern, sondern auch der Firma eine Struktur zu verpassen, die einer internationalen Bank gerecht werden würde. Viele Mitarbeiter schreiben ihr zu, N26 erst als ernstzunehmende Firma etabliert zu haben.
Jedes Startup macht Fehler – aber N26 ist eine Bank
Hypergrowth, sagt van Boven, sei eigentlich ein Startup-Buzzword, das sie nie benutzen wollte. Aber wenn man sich anschaue, was N26 in den letzten Jahren erlebt habe, dann treffe nur dieser Begriff zu. N26 konnte mitunter bis zu 10.000 neue Kunden pro Tag verzeichnen. Das rasante Wachstum hat ihren Job nicht einfacher gemacht: Sie musste Strukturen aufbauen, die den regulatorischen Vorgaben entsprachen. Und gleichzeitig durfte die Unternehmenskultur des Startups darunter nicht zu sehr leiden.
Dass N26 vom Startup zum vollwertigen und ernstzunehmenden Unternehmen werden musste, war aber früh klar: Schließlich hat N26 seit 2016 eine eigene Banklizenz, die Firma wird von verschiedenen Aufsichtsbehörden überwacht und muss zu jeder Zeit in der Lage sein, nachweisen zu können, dass sie den Auflagen der Lizenz gerecht wird.
N26 verwaltet das Geld von mehreren Millionen Menschen – ein Geschäft, für das Vertrauen besonders wichtig ist. Und wenn die Kunden N26 vertrauen sollen, dann müsse N26 seinen Mitarbeitern und Managern vertrauen können, sagt van Boven. Im Klartext: Wer in der Entwicklung von Produkten, bei Compliance-Fragen oder auch im Kundenservice einen Fehler mache, muss sich trauen, ihn anzusprechen. „Es muss klar sein, dass Transparenz das wichtigste ist“, sagt sie. „Auch im Hypergrowth dürfen die Entscheidungen nie zu Lasten der regulatorischen Vorgaben fallen.“
Dafür brauche es eine Unternehmenskultur, in der man Fehler zelebriere – van Boven nennt das „Failabrations“. Das soll dafür sorgen, dass Mitarbeiter Fehler melden – und auch zugeben, wenn sie etwas nicht wissen, anstatt das zu überspielen, was vielleicht zum Problem wird. Die Personalchefin legt Wert darauf, dass Führungskräfte dies den Mitarbeitern vorleben, auch die beiden Gründer.
Van Boven kann solche Ansprüche stellen, ihr wird ein enges Verhältnis zu den Gründern nachgesagt. Viele Mitarbeiter sehen sie Bindeglied zwischen der Geschäftsführung und den Angestellten. „Noor hat in den vergangenen Jahren einen herausragenden Job gemacht und N26 dabei unterstützt, eine der erfolgreichsten mobilen Banken zu werden“, sagt Mitgründer Maximilian Tayenthal über sie. Selbst ehemalige Mitarbeiter, die in dem Unternehmen nicht glücklich wurden, attestieren ihr, einen guten Job gemacht zu haben.
„Hypergrowth führt zu physischem Chaos“
Mit dem schnellen Wachstum musste N26 nicht nur viele Menschen in kurzer Zeit einstellen, sondern auch neue Positionen schaffen und Hierarchien aufbauen. „Wenn in einem Unternehmen mit anfangs 250 Mitarbeitern alle zwei Wochen 75 neue Mitarbeiter dazu kommen und alle wissen wollen, wo die Kaffeemaschine steht oder wo welcher Meetingraum ist, wird es schnell chaotisch“, erklärt van Boven. „Außerdem werden Strukturen immer wieder überworfen und müssen neu aufgebaut werden.“ Wer berichtet an wen, wo bringt man die neuen Mitarbeiter unter und wie werden die Zuständigkeiten neu verteilt, wenn jede zweite Woche neue Kollegen hinzukommen? Fragen, für die eine Personalchefin Antworten finden muss.
„Im Hypergrowth müssen Führungskräfte unter enormen Druck mitunter zehn schwerwiegende Entscheidungen pro Tag treffen“, sagt van Boven. Sie musste also auch Manager finden, die für solche Aufgabenstellungen brennen, die das operative Geschäft verstehen und die Konsequenzen ihrer Entscheidungen einschätzen können.
Das muss sie auch immer noch: Mitgründer Maximilian Tayenthal will seine Rolle als Finanzchef von N26 aufgeben. Sie soll in ihren verbleibenden sechs Monaten einen Nachfolger finden. Der neue CFO wird an Tayenthal berichten, ein weiteres Zeichen für den steigenden Reifegrad des Unternehmens.
Auch in New York ist noch eine wichtige Position zu besetzen: US-CEO Nicolas Kopp will noch in diesem Sommer ein eigenes Unternehmen gründen. In den vergangenen zwölf Monaten musste van Boven bereits einige Managerpositionen nachbesetzen, in vielen Fällen passierte das aus dem bestehenden Team. Den Abgang der Führungskräfte deutet sie positiv: Es sei eine Auszeichnung, dass N26-Leute aufgrund ihrer Kompetenzen abgeworben worden seien oder nun selbst gründen wollten – wie van Boven es nun auch vor hat. „Ich bin sehr stolz, dass sie nun ihr eigenes Unternehmen gründen möchte“, sagt Mitgründer Tayenthal. „Valentin und mir ist es wichtig, Innovation und Gründergeist im Unternehmen aktiv zu fördern. Daher unterstützen wir diesen Schritt.“
Van Boven will Gründer und VCs beraten
Van Bovens Überzeugung ist es, dass HR kein Spezialthema ist, sondern eine Kernaufgabe jedes Unternehmens. Das ins Bewusstsein zu bringen, sei ihre „Agenda“, die über N26 hinausgehe. „Gründer und CEOs müssen verstehen, wie essentiell HR-Fragen für die Entwicklung ihrer Unternehmen sind. Und zwar schnell. Wenn sie es zu spät merken, sind die Strukturen kaputt und das Geschäft scheitert.“
Mit dieser Message tritt sie auf Konferenzen auf, referiert darüber gerne in Interviews. Ihre Philosophie: „Hierarchie bedeutet für mich nicht, etwas zu sagen zu haben, sondern Verantwortung zu übernehmen.“ Und meint damit: Mitarbeiter, die an Produkten wie dem von N26 arbeiten, müssen sich frei fühlen, sich aktiv einbringen zu können. Und, das ist van Boven besonders wichtig: Es müssen Dinge ausprobiert werden können, von denen einiges mitunter nicht funktionieren wird. Dafür ist es notwendig, dass ihre Vorgesetzten im Hintergrund Verantwortung übernehmen.
Um diese Message in Zukunft noch stärker verbreiten zu können, will sich van Boven ab dem kommenden Jahr mit einer Freundin selbständig machen. Dann will sie Gründer beraten, frühzeitig die richtigen Unternehmensstrukturen aufzubauen. Zudem wolle sie mit ihrem Netzwerk Venture-Capital-Firmen in Europa und den USA bei der Due Diligence helfen, besonders bei späteren Finanzierungsrunden. Dann gehe es schließlich um die Frage, ob ein Startup an dem Punkt sei, erwachsen werden zu können. „Viele VCs fragen sich spätestens ab den Series-C-Finanzierungsrunden, ob ein Startup überhaupt bereit ist, den nächsten Schritt zu gehen, ob ihre Strukturen reif genug sind“, sagt sie.
Das Geld, das sie damit verdient, will van Boven für etwas einsetzen, das ihr besonders am Herzen liegt: Sie selbst will in Startups investieren, die von Frauen gegründet wurden. Dafür bleibt sie in Berlin.