Libras Geburtsfehler
Der Plan von der Weltwährung wäre fast schon vor dem Start gescheitert. Dass sich Paypal, Visa und Co. aus dem Libra-Projekt verabschieden, liegt vor allem an Facebook selbst. Sich mit Zuckerberg einzulassen, bringt gerade kein Glück.
Am Ende konnte Libra den endgültigen Einsturz vermeiden – schwer angeschlagen ist Facebooks ambitioniertes Kryptowährungsprojekt dennoch. Der im Juni verkündete Plan für einen Stablecoin musste sich seit Monaten gegen heftige Kritik von Aufsehern, Politikern und Kryptofans behaupten; kurz bevor die Libra-Allianz gestern ihren formalen Gründungsakt vollzog, verließen über den Zeitraum weniger Tage gut ein Viertel der ursprünglich vorgesehenen Mitglieder das Projekt: Paypal, Visa, Mastercard, eBay, Mercado Pago, Stripe und Booking. Libra zeigte Auflösungserscheinungen, bevor es überhaupt los ging.
Dass die prominenten Libra-Mitstreiter nicht mehr mitmachen wollten, hat viel mit dem regulatorischen Druck auf das Projekt zu tun. Am Ende geht es aber vor allem darum, dass sich Libra nie so richtig von Facebook emanzipieren konnte. Und sich mit Facebook einzulassen bringt gerade einfach kein Glück.
Das soziale Netzwerk steht schon lange unter verschärfter Beobachtung von Aufsehern und Politikern, hat ungezählte Skandale hinter sich und wird zu allem Überfluss gerade auch noch in den nächsten US-Präsidentschaftswahlkampf hineingezogen – mit Elizabeth Warren gewinnt bei den Demokraten eine Kandidatin an Momentum, die es erklärtermaßen auf Facebook abgesehen hat. Wie aus dem geleakten Mitschnitt einer Mitarbeiterversammlung hervorgeht, hat Zuckerberg das selbst längst erkannt: Eine Warren-Präsidentschaft „wäre beschissen“ für Facebook.
Wer gemeinsame Sache mit dem Zuckerberg-Konzern macht, droht in diese Spirale hineinzugeraten.
Die Libra-Leute wussten früh um diese Gefahr. Schon bei der Vorstellung des Projekts wurde immer wieder betont, dass Libra komplett unabhängig von dem sozialen Netzwerk aufgestellt sei und autonom agieren würde. In den Libra-Aufsichtsgremien der Schweizer Stiftung würde Facebook nur einen Sitz unter vielen einnehmen. „Wir haben uns peinlich genau darum bemüht, nichts mit der Führung dieses Netzwerks zu tun zu haben“, erklärte im Juni David Marcus, der erst Chef von Facebooks Messenger-Abteilung war und dann anderthalb Jahre lang das Libra-Projekt führend vorbereitete.
Doch da beginnen bereits die Grenzen zu verschwimmen: Marcus firmiert inzwischen als Head of Calibra, also dem von Facebook selbst angebotenen Wallet für Libra, mit dem sich der Tech-Konzern initial an dem Projekt beteiligt. Doch öffentlich agiert er weiter als Vordenker und Evangelist des Gesamtprojekts. Auf Twitter ist er der einzige prominente Vertreter, der einigermaßen detailliert über Funktionsweise und Prinzipien des Projekts Auskunft gibt. Er war derjenige, der sich mehrfach vor Ausschüssen beider US-Parlamentskammern den Kritikern stellte.
Formal und auf dem Papier mag Libra tatsächlich unabhängig sein – doch allein die personellen Verflechtungen sind zahlreich, das zeigte Wired unlängst auf. Und am Ende geht es auch um die Wahrnehmung: Wenn in Washington Politiker sich mit der Initiative auseinandersetzen wollen, dann laden sie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ein – und nicht etwa jemanden wie Betrand Perez, Geschäftsführer der Libra Assocation. (Die wahrscheinlich wichtigste Anhörung wird am 23. Oktober vor einem Ausschuss des Repräsentantenhaus stattfinden, dem die Demokratin und erklärte Libra-Gegnerin Maxine Waters vorsitzt.)
Man darf nicht vergessen, dass die Idee für Libra nicht aus der Motivation geboren wurde, mit einer neutralen Blockchain-Währung die Armen der Welt endlich mit bankähnlichen Dienstleistungen zu versorgen – denn das ist nur der PR-Spin. Sondern dass Libra in einer Reihe von Versuchen steht, mit denen Facebook Fuß im Payment-Markt fassen wollte. Schon zwischen 2009 und 2013 testete Facebook mit Facebook Credit eine virtuelle Währung in 15 Ländern. 2015 wurde im Zuge des Messenger-Hypes eine P2P-Zahlungsmöglichkeit gelauncht. Und 2018 pilotierte der Konzern einen Zahlungsdienst im indischen WhatsApp.
Von großem Erfolg gekrönt war keiner dieser Versuche. Libra war ein letzter – besonders ambitionierter – Anlauf, unter Rückgriff auf Blockchain-Technologie und mit der an sich klugen Idee, die Anstrengungen und das unternehmerische wie regulatorische Risiko auf mehr als ein Unternehmen zu verteilen.
Doch gerade für die bereits in der Finanzindustrie tätigen Anbieter unter den 28 initial vorgesehenen Libra-Mitgliedern ist das juristische und politische Risiko zu hoch – das zeigt sich jetzt. Fünf der sieben Unternehmen, die sich zurückgezogen haben, kommen aus der Branche: die Payment-Dienste Paypal und Mercado Pago, die Kreditkartenanbieter Mastercard und Visa sowie der Online-Zahlungsdienstleister Stripe. Zahlungsabwickler unterliegen hohen regulatorischen Anforderungen, sei es bei der Prävention von Geldwäsche, Betrug oder dem Durchsetzen von Sanktionen.
Sollte es bei Libra zu Problemen kommen, schrieben drei demokratische Senatoren letzte Woche an Visa, Mastercard und Stripe, würden diejenigen Libra-Mitglieder haften, die der Finanzaufsicht unterliegen. „Facebook scheint den Nutzen von Finanzgeschäften zu wollen, ohne dabei als Finanzdienstleister reguliert werden zu müssen“, so die Senatoren. Der Konzern verschiebe „die Risiken und die Notwendigkeit, neue Compliance-Systeme zu schaffen, zu den regulierten Mitgliedern der Libra Association wie Ihrem Unternehmen“. Wer da mitmache, dürfe sich auf noch schärfere aufsichtliche Überprüfungen gefasst machen – nicht nur im Bezug auf Libra, sondern auch im Kerngeschäft der Payment-Unternehmen. Damit war klar: Libra mag eine Chance sein – aber Facebook als Partner ist ein zu großes Risiko, um sich darauf einzulassen.
Der Brief der Senatoren war eine unverhohlene Drohung. Und eine, die Wirkung zeigte.
Dass nach dem Exodus von Paypal und Co. die Gründungsveranstaltung überhaupt noch über die Bühne ging, mag schon als kleiner Erfolg durchgehen. Schon vor einigen Tagen schrieb Libra-/Calibra-Mann Marcus über die bröckelnde Allianz: „Natürlich sind das kurzfristig keine guten Nachrichten, aber es ist auf eine Art befreiend. (…) Wandel dieser Größenordnung ist hart. Du weißt, dass du an etwas dran bist, wenn sich so viel Druck aufbaut.“