Fabio De Masi kommentiert einmal im Monat Entwicklungen aus der „neuen Finanzwelt“ für Finance Forward (Bild: imago/Andre Lenthe)

Finanzaufsicht: Von Wirecard zur German Angst?

Bei kriminellen Cum-Ex-Aktendeals, dem Wirecard-Skandal oder der Pleite der Greensill Bank versagte die deutsche Finanzaufsicht. Mittlerweile mehren sich Klagen von Fintech-Startups, dass die Bafin unter ihrer neuen Führung Innovationen bremse. Es sei wünschenswert, Verfahren zu beschleunigen, aber eine strenge Aufsicht nütze dem Finanzplatz, meint hingegen Wirecard-Aufklärer Fabio De Masi.

Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat einen schlechten Ruf. Die Behörde schritt bei etlichen Finanzskandalen – von Cum-Ex Aktiendeals bis zur Pleite der Greensill Bank – zu spät ein. Die Bafin wurde mit dem Wirecard-Skandal gar zum Symbol des Staatsversagens und der gefährlichen Nähe zwischen Aufsicht und Finanzindustrie.

Die Bafin-Spitze musste ihren Hut nehmen, der Bundestag setzte einen Untersuchungsausschuss ein und zahlreiche Bücher und TV-Produktionen befassten sich seither mit dem Wirtschaftskrimi. Internationale Schadenfreude über die provinzielle Arbeitsweise deutscher Behörden blieb nicht aus. In einem Land, das in der Eurokrise halb Europa für einen vermeintlichen Schulden-Schlendrian lehrmeisterte, schaffte es mit Wirecard ein Konzern in den Leitindex, der Milliardengewinne erfinden konnte und deren vermeintliche Treuhandkonten in Asien sich als Spesenkonten für die Tanzbar „Hedgehog“ in Singapur entpuppen.

Seit dem Wirecard-Skandal bemüht sich die Bafin jedoch unter Führung des ehemaligen Schweizer Topbankers Mark Branson, die Zügel zu straffen. Dies betrifft zumindest die öffentliche Kommunikation, beispielsweise nachdem sich kritische Berichte über den umstrittenen Immobilienkonzern Adler mehrten. Deutsche Fintech-Startups beschweren sich indes, die Bafin kultiviere mit strengen und langwierigen Genehmigungsverfahren „German Angst“ und mutiere zur Innovationsbremse. Dabei versprach der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien noch „effektive und zügige Genehmigungsverfahren für Fintechs“.

Fintechs klagen über langsame Finanzaufsicht

So soll das auf Kreditkartenlösungen spezialisierte Berliner Fintech Pilant die Lizenzierung im EU-Ausland erwägen. Heiße Kandidaten seien Finnland, Litauen, die Niederlande oder Irland. Auch das Startup Rubarb der beiden Neffen des Bundeskanzlers Olaf Scholz hat eine Tochterfirma in Litauen gegründet, um unter dem Namen Kudona ein Krypto-Angebot zu starten (Finance Forward berichtete). In Deutschland sollen Anträge für Lizenzen zur Verwahrung von Krypto-Assets bei etwa 20 Unternehmen zuweilen seit über einem Jahr bereits bei der Bafin liegen.

Aus der Fintech-Szene heißt es, alle müssten nun für Wirecard bluten. Banken wie N26 und Solaris würde die Aufsicht in den Schwitzkasten nehmen. Eine Lizenz für Kryptoplayer wie Binance sei unwahrscheinlich und der Kauf der Börse Bitmex durch eine deutsche Bank platzte. Zudem gäbe es zu wenig Krypto-Know-how in der Behörde.

Allerdings gehört derartige Kritik der Branche gegenüber staatlichen Aufsehern zum Alltag: So lief Rubarb mit seinen ursprünglichen Plänen für eine ETF-Spar-App in Deutschland auf Grund und musste nach nur 19 Monaten Insolvenz anmelden. An der Bafin lag es sicher nicht. Rubarb hatte dort recht zügig eine Lizenz erhalten. Auch die Gründer des Neobrokers Trade Republic erzählten mir einst, wie sie ohne vorherige Erfahrung eine Lizenz als Finanzunternehmen bei der Bafin beantragten und selbst überrascht waren, wie reibungslos es lief. Mittlerweile soll der Neobroker beabsichtigen, Vollbank in Deutschland zu werden.

Eine Finanzaufsicht darf nicht beliebt sein

Sicher ist: Eine Finanzaufsicht, die „Everybody‘s darling“ ist, macht etwas falsch. Es ist verständlich, dass Gründer enttäuscht sind, weil sie im Fintech-Boom Geld sehen, das in Deutschland auf der Straße liegt. Nur ist es nicht die Aufgabe der Finanzaufsicht, Gründer reich zu machen, sondern die Integrität des Finanzplatzes zu wahren, um die wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen.

Finanzinnovationen können zwar ein Treiber wirtschaftlicher Entwicklung sein. Aber sie sind kein Selbstzweck. In Ländern wie Großbritannien hat die Entfesselung der Finanzmärkte und die starke Rolle der City of London dazu geführt, dass klassische Industriepolitik vernachlässigt wurde. Manche sehen auch darin einen Grund für die politischen Entwicklungen, die zum Brexit führten.

Warum die Finanzaufsicht bei Fintechs bremst

Der Einsatz von Datentechnologie am Finanzmarkt lebt von Skalierbarkeit. Fintechs sind eine Wette auf Big Data. Sie wollen schnell und aggressiv wachsen, um ihre Algorithmen zu füttern und die IT- und Entwicklungskosten wieder reinzuholen. Wo gehobelt wird, fallen jedoch auch Späne. Insbesondere beim finanziellen Verbraucherschutz. Daher fährt die Bafin bei Fintechs zuweilen mit angezogener Handbremse.

Klassische Banken schöpfen per Knopfdruck Geld und vergeben Kredite. Sie finanzieren hierüber Investitionen und entscheiden mit darüber, welche Geschäftsideen letztlich realisiert werden. Sie sind daher für eine Volkswirtschaft wichtige Institutionen. Bei größeren Investitionen übernehmen Fonds sowie private Anleger am Kapitalmarkt die Aufgabe der Finanzierung und der Bewertung von Geschäftsideen.

Die meisten Fintechs ohne Banklizenz schöpfen jedoch kein Geld, um hierüber zusätzliche Investitionen zu finanzieren. Fintechs nutzen vielmehr das Giralgeld der Banken und die Mittel von Investoren, um digitale Finanzdienstleistungen anzubieten. Im Unterschied zu den schwerfälligen Banken, die umfangreiche Finanzdienstleistungen aus einer Hand anbieten müssen, können sich Fintechs dabei auf die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle und Nischen am Finanzmarkt konzentrieren. Wenn Banken das Stromnetz und das Internet die Datenautobahn sind, sind viele Fintechs das Apple Iphone. Früher oder später muss auch das beste Smartphone an die Steckdose.

Auch Geopolitik spielt für unterschiedliche Aufsichtskulturen eine Rolle

Für die Bafin sind Fintechs daher (noch) keine systemrelevanten Institutionen. Auch wenn wir in der Zukunft sicher zunehmend eine Verschmelzung von Big Data und Big Finance sehen werden, die große relevante Player schafft. Aus Sicht der Behörde geht die Welt nicht davon unter, dass sich ein Fintech, dessen Geschäftsmodell Fragen aufwirft, im Zweifel nicht in Deutschland niederlässt. Fintechs schaffen zwar Jobs für IT-Kräfte, aber für diese sind auch Metropolen wie Hamburg, Berlin oder Frankfurt immer noch hinreichend attraktiv.

Die Aufsichtsbehörden kleinerer EU-Staaten sind zuweilen risikofreudiger. Für kleine Länder hat die Tech-Branche eher volkswirtschaftliches Gewicht als für eine große Industrienation wie Deutschland, die Autos und Maschinen baut. Auch wenn Deutschland bei Investitionen in die digitale Infrastruktur im Schlafwagen unterwegs ist und das deutsche Exportmodell mit Pandemie und Ukraine-Krieg an seine Grenzen stößt. Auch Geopolitik spielt für unterschiedliche Aufsichtskulturen eine Rolle: Daten sind Macht. Für ein Land wie die Schweiz war das Bankgeheimnis immer auch ein Sicherheitsnetz. Man hütete viele schmutzige Geheimnisse. Bei der Durchsetzung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland im Ukraine-Krieg sind das Finanzsystem, die Kontrolle von Zahlungsflüssen und die Bekämpfung von Geldwäsche zentral. Es ist daher kein Zufall, dass Länder die sicherheitspolitisch exponiert sind – ob Israel, Litauen oder Zypern – versuchen, sich als Cyber- und Fintech-Häfen im Meer der Daten- und Finanzströme zu positionieren.

Strenge Finanzaufsicht: Fluch oder Segen?

Kritiker wenden ein, dass die Bafin mit ihrem strengen Regiment regulatorische Arbitrage befeuert. Was nützt eine strenge Aufsicht, wenn es am Ende Fintechs etwa nach Litauen und in andere europäische Fintech-Hubs mit laschen Regeln zieht? Oder wenn zehn von 27 EU-Mitgliedsstaaten regulatorische Sandboxen anbieten, die etwa bestimmte Ausnahmen von Berichtspflichten von Unternehmen vorsehen? Doch Vorsicht. Die europäische Aufsicht für Finanz- und Zahlungsdienste ist zumindest auf dem Papier in der EU harmonisiert. Theoretisch dürfte es daher von den punktuellen Sandboxen abgesehen keine Regulierungsoasen geben, auch wenn in der Praxis die Auslegung von EU-Recht sicher sehr unterschiedlich ausfällt.

Der wahre Grund für die Attraktivität kleiner Finanzplätze liege eher an weichen Standort-Faktoren als an lascheren Regeln auf dem Papier, betont etwa der Experte für Finanzmarktrecht Alexander Gebhard. Dazu gehören das technologische Ökosystem, vergleichsweise geringe niedrigere Lohnkosten für junge und gut ausgebildete IT-Experten sowie kurze Wege zu Politik und Behörden. Auch die Verhandlungsmacht von Fintechs ist in kleinen Ländern höher, da sie dort mehr wirtschaftliches Gewicht haben. In Litauen wirbt die Zentralbank etwa mit reibungslosen Genehmigungsverfahren, Straffreiheit für junge Unternehmen und sogar das Niveau des Verbraucherschutzes wird im Dialog mit der Aufsicht verhandelt.

Reputationsrisiko bei Aufsichts-Arbitrage

Natürlich ist der EU-Regulierungsrahmen auch nicht in jeder Hinsicht harmonisiert. Länder wie Litauen bieten etwa eine „Spezialbanklizenz“ an. Die EU erlaubt die Einführung „besonderer Kategorien von Kreditinstituten“ mit geringeren Anforderungen an das Startkapital. In Litauen ermöglicht die Spezialbanken-Lizenz fast alles, was das Banker-Herz begehrt mit Ausnahme wie dem Betrieb von Peer-to-Peer-Lending- oder Crowdinvesting-Plattformen. Beim Startkapital sind für Spezialbanken zudem nur eine Million Euro statt fünf Millionen Euro vorgeschrieben.

Experte Gebhard warnt jedoch, dass sich Aufsichts-Arbitrage für Fintechs auch schnell rächen kann. Er benennt mehrere Risiken: So waren die baltischen Staaten bei Bankeninsolvenzen in den vergangenen Jahren führend. Investoren und Kunden müssen daher in Krisen auf das litauische Insolvenzrecht und die dortige Einlagensicherung vertrauen. Pleiten einzelner Wettbewerber können daher auch für seriöse Fintechs schnell ein Reputationsrisiko werden.

Zudem sei mit einer litauischen Lizenz in Zielmärkten wie Deutschland keine Vergabe einer lokalen IBAN möglich. Einige Unternehmen würden aber zur besseren Rechtsdurchsetzung auf inländischen IBANs bestehen. Es gäbe deswegen bereits eine Lobbyinitiative von Fintechs. („Accept my IBAN“). Weiterhin könnte es zu Compliance-Shocks in der Wachstumsphase von Fintechs kommen, wenn sie plötzlich aus den regulatorischen Sandboxen herauswachsen und höhere regulatorische Anforderungen sprunghaft erfüllen müssen. Für „Einhörner“ mit Milliarden-Bewertung und Big-Tech-Konzerne könnten Standorte wie Litauen durchaus Sinn machen, da man ihnen vertraue. Fintechs, die erst Märkte erobern wollen, ernteten aber zuweilen Misstrauen bei Finanzierungsrunden, wenn sie regulatorische Nischen suchen.

Beim Tempo der Entscheidungen könnte die Bafin sicher noch eine Schippe drauflegen

Auch Rochaden mit der Rechtsform – also zum Beispiel eine Holding in Deutschland und eine lizensierte Tochtergesellschaft im Ausland – würden laut Gebhard zukünftig erschwert, da es nunmehr eine Pflicht zur Beantragung eigener Lizenzen für „Finanzholdinggesellschaften“ gibt. So hatte etwa Wirecard das dubiose Drittpartnergeschäft in Asien immer damit begründet, dass dies nur erfolge, da man über keine eigenen Lizenzen in Zielmärkten verfüge. Tatsächlich ging es wohl neben der Vortäuschung von Umsätzen auch um die Auslagerung von Rechtsrisiken von Geldwäsche.

Deutschland ist noch die viertgrößte Volkswirtschaft der Erde und mit mehr als 83 Millionen Menschen ein begehrter Markt für datengetriebene Finanzgeschäfte. Dass die Bafin sich daher bei der Erteilung von Lizenzen nicht unter Druck setzen lässt, ist verständlich und für die Reputation von German Fintech wahrscheinlich auf lange Sicht sogar förderlich. Beim Tempo der Entscheidungen könnte die Bafin sicher noch eine Schippe drauflegen. Aber wichtiger als eine Überholspur für Finfechs bei der Finanzaufsicht, erscheint mir, dass Deutschland endlich den Investitionsstau bei der digitalen Infrastruktur auflöst.