Vilnius ist der Sitz vieler Fintechs. (Bild: Igor Gubaidulin/Unsplash)

Spannungen mit der Bafin: Erste Fintechs suchen Weg ins Ausland

Exklusiv: Pliant plant offenbar, sich in Finnland lizenzieren zu lassen. Der Fall steht für ein zunehmend kühles Verhältnis zwischen Bafin und der deutschen Fintech-Szene.

Das aufstrebende Berliner Fintech Pliant erwägt konkret einen Lizenzantrag im europäischen Ausland. Gründer Malte Rau bestätigte auf Anfrage, dass sich sein Unternehmen aktuell mehrere Jurisdiktionen für den Antrag anschaue. Ein starker Kandidat soll dabei Finnland sein, sagen mehrere Quellen.

Das auf Kreditkarten-Lösungen für Unternehmen spezialisierte Startup ist gerade dabei, eine finnische Tochter zu gründen und plant auch seine Geschäfte dorthin zu expandieren. Der entsprechende Eintrag ins finnische Handelsregister dafür erfolgte bereits am 22. März. Ein weiteres Indiz: Pliants seit Januar amtierende „Head of Regulatory“ Jenna Tirkkonen kommt aus Finnland, war unter anderem für die dortige Challenger-Bank Holvi tätig. Mögliche Alternativen für den Lizenzantrag seien Litauen, die Niederlande oder Irland, heißt es. Auch Deutschland sei weiterhin im Gespräch; erste Wahl scheint die Finanzaufsicht Bafin aber nicht zu sein.

Pliant wäre allerdings nicht das einzige deutsche Fintech, das mit einem Lizenzantrag im europäischen Ausland konkreter wird. Auch das Anlage-Startup Rubarb hat eine Tochterfirma in Litauen gegründet, um unter dem Namen Kudona ein Krypto-Angebot zu starten (Finance Forward berichtet). Dahinter stehen ausgerechnet die beiden Neffen des Bundeskanzlers Olaf Scholz, die sich ihre Kryptoverwahrlizenz lieber außerhalb von Deutschland geholt haben. Hierzulande warten rund 20 Anbieter teilweise mehr als ein Jahr auf eine entsprechende Genehmigung.

Dass die Bafin bei einigen aufstrebenden Finanz-Startups nicht ganz oben auf der Liste zu stehen scheint, wirft ein Schlaglicht auf die wachsenden Spannungen zwischen der Berliner Fintech-Branche und der Bonner Aufsicht. So war die Bafin zuletzt unter anderem gegen N26 und die Solarisbank vorgegangen, also gegen die beiden Aushängeschilder der Szene.

Die Aufseher werfen den beiden milliardenschweren Fintech-Banken insbesondere vor, ihre Probleme mit betrugsmäßig genutzten Konten nicht in den Griff zu bekommen. In der Folge wurde N26 im vergangenen Jahr mit einem Bußgeld in Höhe von 4,25 Millionen Euro belegt. Zudem darf die Neobank schon seit Monaten EU-weit nur noch maximal 50.000 neue Kunden pro Monat annehmen; wann das Limit aufgehoben wird und N26 seinen Wachstumskurs fortsetzen darf, ist unklar. Der Solarisbank wiederum schickte die Bafin unlängst einen Sonderaufpasser ins Haus. Begründet wurde dies mit „zahlreichen(n) organisatorische Mängel(n)“, die „eine nicht ordnungsgemäße Geschäftsorganisation“ belegen würden.*

Was Pliant mit der Lizenz vorhat

Nun sind die strategischen Überlegungen bei Pliant natürlich keine direkte Reaktion auf die Probleme anderer Fintechs mit der Bafin. Allerdings lässt sich die ungewöhnlich anmutende Idee, als deutsches Fintech eine ausländische Lizenz zu beantragen, auch nicht losgelöst von dem gärenden Gesamtkonflikt betrachten. Zumal es sich bei dem 2020 gegründeten Unternehmen nicht um ein x-beliebiges Jung-Fintech handelt. Sondern: Die Gründer um Malte Rau (Ex-Lendico, Ex-Fincompare) sind etablierte Branchenköpfe; und dem Gesellschafterkreis gehören prominente Investoren wie Carsten Maschmeyer, der zur Commerzbank gehörende und jüngst in „Neosfer“ unbenannte Main Incubator oder auch auch Embedded Capital an – also das Investment-Vehikel von Finleap-CEO und Solarisbank-Aufsichsratschef Ramin Niroumand. Mit anderen Worten: Pliant weiß, was es da tut.

Vor Jahresfrist hatte das Fintech eine Finanzierung in Höhe von 15 Millionen Euro erhalten und angekündigt, international expandieren zu wollen – ausweislich der Karriereseite sucht das Unternehmen aktuell nach Vertriebsexperten für Finnland, die Niederlande, Irland, Frankreich, Belgien und Luxemburg sowie für Südeuropa. Auch in Finnland selbst hat das Fintech bereits Stellen ausgeschrieben. Auch im regulatorischen Bereich hatte sich Pliant erst kürzlich personell verstärkt: Zusätzlich zu „Head of Regulatory“ Tirkkonen ist seit April auch Caroline Jenke als Chief Legal Officer an Bord, die von Schnittstellen-Anbieter Fintecsystems kommt und sich regulatorisch gut auskennt.

Bei der angestrebten Zulassung handelt es sich um eine sogenannte E-Geld-Lizenz. Was genau Pliant damit vorhat, dazu wollte sich Rau zwar nicht konkret äußern – allerdings ist eine E-Geld-Lizenz für das Geschäftsmodell von Kreditkarten-Fintechs durchaus sinnvoll. Ohne die Lizenz sind die Startups wie Pliant oder der Wettbewerber Moss bei Kartenausgabe und Transaktions-Management vollständig auf Partner angewiesen.

Das macht die Produkte an vielen Stellen, etwa im Identifikations-Verfahren, tendenziell unflexibel und damit weniger nutzerfreundlich als man es in den Fintechs vielleicht gern hätte. Mit einer eigenen E-Geld-Lizenz können die Fintechs den – für sie zentralen – einfachen Zahlungsverkehr weitgehend selbst abwickeln, und zwar ohne gleich eine weitaus teurere und regulatorisch anspruchsvollere Vollbanklizenz zu beantragen.

Pliants Partner für das sogenannte „Issuing“ ist aktuell die Transact Payments Malta Limited. Die Hamburger Varengold Bank (die sich kürzlich erst Ärger mit der Bafin eingehandelt hatte) stellt für das Fintech aktuell die Konten, die Infrastruktur für SEPA-Zahlungen und die Kreditlinie bereit. Nach unserem Verständnis wäre Transact Payment der Partner, den Pliant mit eigener Lizenz auf längere Sicht ersetzen könnte. Von Pliant hieß es gestern lediglich, man verspreche sich von einer E-Geld-Lizenz, „finanziell flexibler“ agieren zu können, auch international.

Auch bei dem Krypto-Pendant Rubarb liegen die Vorteile für den Gründer Fabian Scholz auf der Hand. Sein Unternehmen sei nicht mehr auf Videoidentifikation angewiesen. Diese hält er für aus der Zeit gefallen, außerdem erhielt das Unternehmen die Genehmigung in Litauen viel schneller, nach zwei Monaten sei die Lizenz da gewesen. In Deutschland dagegen beklagt sich die Szene seit Monaten hinter vorgehaltener Hand über die Geschwindigkeit der Bafin.

Der Hintergrund: Vor rund zwei Jahren hatte die deutsche Regierung eine sogenannte Kryptoverwahrlizenz eingeführt. Die Szene begrüßte den Vorstoß, dass es eine Regulierung für das neue Marktsegment gab. Doch dann wurde es erstmal ruhig und der Unmut ging los: Erst genehmigte die Bafin den amerikanischen Player Coinbase, die deutschen Wettbewerber mussten warten – schon das erzürnte viele heimische Gründer. Mittlerweile gibt es vier Lizenzen, rund 20 weitere Antragsteller – Fintechs und Banken – warten immer noch auf das Go aus Bonn, manche arbeiten mit einer vorläufigen Erlaubnis. „Wenn es so weitergeht, wird das noch Jahre dauern“, sagt ein Szeneinsider genervt.

Auch arbeite die Behörde teilweise langsam, es fehle an Fachkenntnis, heißt es. Die Behörde teilt hingegen mit: „Die Erlaubnisunterlagen (sind) in den allermeisten Fällen unvollständig. Da Versagungsgründe nicht ausgeräumt werden konnten, musste die Bafin teils mehrfach Informationen und Unterlagen nachfordern.“ Sei alles vollständig, erteile die Behörde entsprechende Lizenzen „unverzüglich“. Ein Sprecher betont: „Die Bafin tritt in der Zusammenarbeit mit Fintechs nicht auf die Bremse.“

Fintech vs. Bafin: Die Spannungen wachsen

Die Spannungen zwischen der Bafin und der Berliner Fintech-Szene haben derweil eine lange Vorgeschichte. Nach allgemeiner Wahrnehmung blickte die Finanzaufsicht – womöglich angefixt von der Idee, dass aus Deutschland heraus ein globaler Fintech-Champion heranwächst – anfangs durchaus wohlwollend gerade auf N26. Erstaunlich geräuschlos bekam die Neobank 2016 die erhoffte Banklizenz. Zur ungefähr gleichen Zeit wurde auch die Solarisbank zur lizenzierten Vollbank, bald darauf bemühten sich weitere ambitionierte Berliner Fintechs wie das Versicherungs-Startup Element, der Factoring-Spezialist Billie oder der Wealth-Tech-Anbieter Elinvar erfolgreich um eine jeweils passende Lizenz. Die Bafin habe sich in jener Zeit „nicht nur als Aufseher, sondern auch als Begleiter verstanden“, sagt ein Insider.

Einen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der Bafin und den Fintechs stellte der „Fall Wirecard“ dar. Seit dem Skandal rund um den Münchner Payment Service Provider gilt es in Bonn als oberste politische Ratio, weitere Zusammenbrüche aufstrebender Player zu vermeiden – im Zweifel auch auf Kosten des Fintech-Standorts. Zwar verwahrt sich die Berliner Szene mit guten Gründen dagegen, für Wirecard in Mithaftung genommen zu werden.

Die allgemein schärfere Gangart spüren die Fintechs gleichwohl. Hinzu kommt: Wo es offenkundige Überschneidungen zwischen Wirecard und der Fintech-Branche gab, fehlt es bis heute an einer klaren Distanzierung. Der österreichische Investor Stefan Klestil, der als Aufsichtsrat sowohl von Wirecard als auch der Wirecard Bank dem Münchner Treiben jahrelang tatenlos zugesehen hatte, schied erst auf Drängen der Bafin aus dem Beirat der N26 Bank aus. Seinen Platz im Beratergremium der Muttergesellschaft (also von N26) behielt Klestil allerdings, genauso wie weitere Fintech-Pöstchen, auch bei einem lizenzierten Fintech wie Billie.

Ein Clash der Kulturen

Den wachsenden atmosphärischen Störungen liegen freilich auch kulturelle Differenzen zugrunde. Hier die Fintechs, denen es um eine möglichst rasche Skalierung ihrer Geschäftsmodelle geht – gerne auch mal nach dem Zuckerberg’schen Motto „Move fast and break things“. Dort die Bafin, deren Aufsichtsstruktur auf einen bestimmten Standardfall optimiert ist, nämlich auf die klassische Bank oder Sparkasse – und deren führende Köpfe nicht nur gedanklich, sondern bisweilen sogar wortwörtlich der Bankenwelt entstammen, wie zum Beispiel Exekutivdirektor Raimund Röseler, Ex-Funktionär beim deutschen Sparkassenverband. Mit der Einordnung neuer, technologie-getriebener Geschäftsmodelle täten sich die Aufseher erkennbar schwer, wird in Berlin beklagt.

Manchmal scheitert eine bessere Zusammenarbeit auch an vermeintlichen Kleinigkeiten. So unterhält die Bafin, im Gegensatz zur Bundesbank, bis heute keine Berliner Repräsentanz. Oder, anderes Beispiel: Für die BAIT (also für die „Bankaufsichtlichen Anforderungen an die IT“) existiert nach wie vor keine verbindliche englischsprachige Übersetzung – obwohl die Techies in den Fintechs in vielen Fällen keine deutschen Muttersprachler sind. Bei der Bafin geht man davon aus, dass hochgefundete Neobanken in der Lage sein müssten, diesen Sprachtransfer zu leisten. In der Fintech-Branche dagegen wächst das Unverständnis, dass sich die Aufsicht nicht kooperativer und vielleicht in dem ein oder anderen Fall auch ein bisschen geschmeidiger zeigt. Verwiesen wird auf andere europäische Länder, in denen sich die Aufsichtsbehörden sehr viel stärker auch als Dienstleister verstehen und wo mitunter sogar aktive Standortpolitik betrieben wird (siehe in diesem Kontext auch unseren Partner-Blog -> Warum Litauen nicht für jedes Fintech die beste Lösung ist). Zum Vergleich: In ihrem jüngst veröffentlichten Risikobericht widmete die Bafin ein ganzes Kapitel dem „Zukunftsrisiko Digitalisierung“. Von den „Chancen“ der Digitalisierung war hingegen in Bonn zuletzt eher wenig die Rede.

Der Weg ins Ausland als Ausweich-Option für Fintechs

Allein die Causa „Bafin vs. N26“ nochmal nachzuvollziehen, ist mittlerweile eine abendfüllende Beschäftigung: Da wäre unter anderem die Einsetzung eines Sonderbeauftragten zur Überwachung zur größten deutschen Neobank im Mai 2021. Die schon erwähnte, wegen Mängeln bei der Geldwäsche-Prävention verhängte Millionenstrafe. Der zweite Sonderbeauftragte. Und natürlich das besagte Neukunden-Limit von 50.000 im vergangenen Herbst, dem die italienische Finanzaufsicht bezogen auf den italienischen Markt zuletzt sogar noch einen vorübergehend kompletten Neukunden-Stopp folgen ließ. Das Vorgehen gegen die Solarisbank zu Beginn dieses Jahres fügte sich ins Gesamtbild – und passt zu den ins Verschwörungstheoretische neigende Interpretationen, die mittlerweile kursieren. So trifft man in Berlin durchaus auf Entscheidungsträger, die ernsthaft behaupten, die Bafin habe es sich zur Aufgabe gemacht, die etablierte Finanzindustrie vor den Fintech-Angreifern zu beschützen.

Aus dem Umfeld von N26 war in der Vergangenheit mal gestreut worden, das größte deutsche Fintech sei nicht zwingend an den Standort Berlin gebunden – zumal es in Wien, wo die Neobank eine wachsende Dependance unterhält, eine naheliegende Alternative gibt (nicht zu vergessen: bei den N26-Gründer so wie eine Reihe weiterer Top-Manager sind ja Österreicher). Nach allem, was man hört, wurde die Idee einer Lizenz- oder gar Standort-Verlagerung nie ernsthaft erwogen. Der „Fall Pliant“ und Rubarb allerdings zeigt nun: Dass sich hiesige Fintechs der Bafin entziehen, ist keine rein theoretische Option mehr.

* In der Ursprungsfassung hatten wir in Bezug auf die Solarisbank fälschlicherweise von ““teils schwergewichtige Mängel(n), etwa in der Compliance” gesprochen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.