Startschuss für den DeFi-Boom
Seit Kurzem erleben einige Krypto-Projekte einen wahren Ansturm. Sie lassen sich unter dem Begriff Decentralised Finance (DeFi) zusammenfassen und bieten beispielsweise Kreditplattformen an. Woher kommt der neue Aufwärtstrend?
Die Krypto-Community erlebt zurzeit einen langersehnten neuen Boom. Hunderttausende Entwickler aus aller Welt arbeiten seit Jahren an echten Anwendungen für die Blockchain und ihre Angebote sind plötzlich heiß begehrt: Decentralised Finance – kurz DeFi – heißt der Trend. Allein im Juli flossen mehr als zwei Milliarden Dollar an Anlegergeldern in die DeFi-Projekte.
Erste Erfolge schlagen sich in den Zahlen nieder
Die Startups setzen auf eine ähnliche These wie die ersten Fintechs: Analoge Bankdienstleistungen lassen sich digital und besser anbieten – nur eben dieses Mal mithilfe der Blockchain-Technologie. Nach dem Ende des großen Krypto-Booms von 2017 reduzierte sich auch die Zahl der Blockchain-Enthusiasten weitgehend auf diejenigen, die an mehr als nur schnellem Reichtum durch Kryptowährungen interessiert sind. Neue Applikationen konnten in aller Ruhe entwickelt werden, ohne dass die ganze Welt zuschaute.
Erste Erfolge schlagen sich nun in den Zahlen wieder. Das Gesamtvolumen des auf DeFi-Applications hinterlegten Fiatgeldes, Total Value Locked (TVL) genannt, erreichte laut dem Branchenportal The Block im Juli 4,3 Milliarden Dollar. Während der Wert im Mai noch bei 894 Millionen Dollar lag, stieg er im Juni auf 1,5 Milliarden. Die Zahlen lassen sich als eine Art Adoptionsrate für DeFi-Protokolle interpretieren.
Auf der Stablecoin-Kreditplattform Compound beispielsweise erhalten Nutzer Zinsen für ihre Krypto-Währungen oder können sich Vermögenswerte leihen. Das Ethereum-basierte Startup verwaltet derzeit ein TVL von etwa 790 Millionen Dollar – Anfang Juni waren es noch 100 Millionen Dollar. Die Zinsen variieren je nach Angebot und Nachfrage. Sie liegen in der DeFi-Branche zwischen vier und 13 Prozent, auch der hohe Zinssatz zieht neue Nutzer an.
Schaut man sich sechs der beliebtesten DeFi-Plattformen an, zeigt sich in den Daten des Analysetools SimilarWeb ein rasantes Wachstum seit Beginn des Jahres. Sie konnten sich zum Teil um mehrere Hundert Prozent steigern.
Im Juli verzeichnete die Kreditplattform Compound 540.000 Zugriffe, im Mai waren es noch 95.000. Das ist vor allem damit zu begründen, dass Compound im Juni einen neuen Token gelauncht hat, mit einer sehr guten Performance.
Die Token geben den Nutzern Mitbestimmungsrechte, sie können also Entscheidungen der Plattform beeinflussen. Zudem haben sie die Möglichkeit, anhand von Kryptowährungen Geld zu verleihen oder auch zu leihen. Allein die Einführung des Tokens hat Einiges zum DeFi-Boom beigetragen.
Wie Hauptkonkurrent MakerDao bekam auch Compound Geld von dem bekannten Wagniskapitalgeber Andreessen Horowitz, darüber hinaus sind Bain Capital und Coinbase investiert. Mit einem TVL von mittlerweile mehr als einer Milliarde Dollar ist auch MakerDao eines der aussichtsreichsten DeFi-Projekte.
Investoren auf der Suche nach Rendite
Die Kreditplattform läuft auf Ethereum und unterstützt den Stabecoin DAI, eine beliebte Kryptowährung. Der Wert von DAI ist an den US-Dollar gebunden, so will MakerDao sicherstellen, dass die Kredite stabil bleiben. Das klappt nicht immer: Im März wurde das Startup vom Coronacrash hart getroffen, es kam zwischenzeitlich zu einem Systemausfall. Es konnte nur durch ein Millioneninvestment des Krypto-VCs Paradigm weitermachen.
Die DeFi-Produkte haben nun also einen gewissen Reifegrad erreicht, besonders von Investoren fließt viel Geld in den Markt. „In einer Welt, in der Kapital im Überfluss vorhanden, aber die Rendite knapp ist, sind Investoren bereit, sich auf der Risikokurve weiter nach außen zu bewegen, um Renditen zu erzielen“, sagt Meltem Demirors, Chief Strategy Officer beim Krypto-Investmentunternehmen Coinshares. Besonders im B2B-Bereich werde „die Erweiterung nützlicher und intuitiver Produkte ein wichtiger Motor für das Wachstum der Branche sein“.
Doch was sind eigentlich die Vorteile der DeFi-Protokolle? Laut Demirors ist es die dezentrale und digitale Natur. „Die Märkte werden nicht mehr nur von neun bis fünf verfügbar sein, sondern 24/7 an 365 Tagen im Jahr.“ Am wichtigsten sei jedoch, dass Sicherheiten, Kredite und Kunden nicht länger an Plattformen gebunden sind. „Stattdessen werden sie wandelbar und übertragbar sein. Die Plattformen werden über die Qualität konkurrieren, und die Märkte werden den Präferenzen und Bedürfnissen der Nutzer folgen – und nicht umgekehrt“, sagt sie.
Ethereum als Treiber
Neben dem Run auf DeFi-Projekte stoßen auch Kryptowährungen wieder auf mehr Begeisterung. Weil bei einigen neue Kredit-Produkten Ethereum als Sicherheit hinterlegt wird, steigt mit dem DeFi-Boom auch die Nachfrage nach der Kryptowährung – und damit auch der Kurs. Laut Ethereum-Expertin Camila Russo sind es aber vor allem zwei Kräfte, die die Kursrallye antreiben: „Die Auswirkungen der Covid-Pandemie haben das Vertrauen in die Finanzinstitutionen noch weiter verschlechtert – das veranlasst immer mehr Menschen, über alternative Währungen und Systeme nachzudenken“, erklärt sie im Gespräch mit Finance Forward. Die zweite Kraft sei „das unglaubliche Ausmaß an Innovation und Aktivität im dezentralisierten Finanzwesen. Die Menschen wachen auf und stellen fest, dass ein völlig neues, paralleles Finanzsystem aufgebaut wird, das für jedermann zugänglich ist.“
Die ehemalige Bloomberg-Journalistin hat kürzlich ein Buch über die Entstehungsgeschichte von Ethereum geschrieben, „The Infinite Machine“. Besonders die Rolle von Ethereum im Krypto-Boom von 2017 werde unterschätzt, da es häufig im Schatten von Bitcoin steht. Zu der Zeit liefen neun von zehn aller ICOs auf Ethereum, mehr als 200.000 Entwickler arbeiten weltweit mit der Ethereum-Blockchain, schätzt Russo.
Mit dem ICO-Sommer von 2017 lassen sich die aktuellen Entwicklungen nicht vergleichen, denn bei DeFi-Projekten geht es um konkrete Lösungen. „Der DeFi-Wahnsinn ist 100-mal interessanter als der ICO-Wahnsinn, weil er die Marktstruktur und den Handel verändert – etwas, das auf einem spekulativen Markt weitaus relevanter ist als 26 Projekte, die sich mit dezentraler Verwahrung und dezentralisiertem Cannabis befassen“, schreibt Blockchain-Journalist Frank Chaparro auf Twitter.