Trade-Republic-Gründer Marco Cancellieri, Christian Hecker und Thomas Pischke (von links).

Verpasste Chance – Comdirect hätte in Trade Republic investieren können

Die gefeierte Anlage-App Trade Republic startete vor fünf Jahren in der Startup-Garage der Comdirect. Die Gründer sollen mit dem Bank-Vorstand auch über ein Investment verhandelt haben – doch das Geldinstitut sagte ab. Im Rückblick eine Fehlentscheidung.

Startup-Geldgeber pflegen oft eine interne Liste, die sie Anti-Portfolio nennen. Dort verzeichnen die Wagniskapitalgeber ihre verpassten Investment-Chancen. Der legendäre US-Investor Bessemer hat Teile seiner Liste öffentlich gemacht: Apple bezeichnete ein Partner als „sündhaft teuer“ (bei einer Bewertung von 60 Millionen Dollar, heutiger Wert: zwei Billionen) und zu Paypal notierte der VC: „Rookie Team, regulatory nightmare“.

Auch die deutschen Banken könnten sicherlich ein solches Anti-Portfolio anlegen. Die Quickborner Comdirect hätte auf dieser Liste ganz oben eine der großen deutschen Fintech-Hoffnung stehen: Trade Republic. Nach dem Vorbild von Robinhood hat das junge Team eine Smartphone-App entwickelt, über die sich Aktien unkompliziert und fast gebührenfrei handeln lassen. Vor wenigen Monaten sammelte das Unternehmen eine Finanzierungsrunde über 40 Millionen Euro ein. Schon etwas mehr als ein Jahr nach dem Launch zählt die Firma zu den wichtigsten Brokern des Landes – und die Comdirect hatte das Angebot, kurz nach dem Start einzusteigen.

Als erstes Fintech kam Trade Republic in die Startup-Garage

Seit Jahren betont die Comdirect ihre Nähe zur Fintech-Szene: „Wir wollen zeigen, dass wir in Fintechs ganz klar eine Chance sehen“, sagte der damalige Chef Arno Walter, als er 2015 die Startup-Garage ankündigte. Die Bank wolle mit dem Förderprogramm den jungen Unternehmen den Zugang zu ihrer Infrastruktur geben, dazu 10.000 Euro für Marktforschung und Räume zum Arbeiten. Unternehmensanteile fordert es im Gegenzug nicht. „Wenn die Fintechs nach drei Monaten gut performen, reden wir gerne über eine Partnerschaft“, so der Bankchef.

Gleich als erstes Team zogen die drei Gründer von Neon Trading in das Hamburger Betahaus ein. Ein Video zeigt Marco Cancellieri, Christian Hecker und Thomas Pischke noch, die zu der Zeit an einem Börsenspiel arbeiteten. Fünf Jahre später gehört Neon Trading, das heute Trade Republic heißt, zu den gefeierten Fintech-Hoffnungen. Im Frühjahr haben die beiden US-Investoren Accel und Founders Fund den Berliner Broker mit einem 40-Millionen-Investment geadelt, es beschäftigt 200 Mitarbeiter.

„Die Unternehmensbewertung war dem Vorstand zu hoch“

Soweit ist die Geschichte bekannt. Was bis heute jedoch nicht öffentlich ist: Die Trade-Republic-Gründer verhandelten damals mit dem Comdirect-Vorstand über ein Investment. Auch wollten die beiden Firmen kooperieren. Das bestätigen mehrere Personen, die 2016 in der Bank waren. Doch die Comdirect sagte den Deal schließlich ab. „Die Unternehmensbewertung war dem Vorstand zu hoch“, erzählt ein Insider. Es wäre beim Investment um einen einstelligen Millionen-Betrag gegangen. Wie hoch die geforderte Bewertung war, ist nicht bekannt. Klar ist: Fünf Jahre später hat sich der Wert vervielfacht. Die Investoren stiegen im Frühjahr zu einer Unternehmensbewertung von etwa 200 Millionen Euro ein.

Auch die Kooperation scheiterte. Stattdessen entwickelte die Bank eine eigene Trading-App, die bereits – kurz nachdem das Team die Startup-Garage verlassen hatte – in den App-Stores erschien. „Sie haben sich gesagt, das können wir doch auch selbst einfach machen“, sagt ein Insider.

Von der Comdirect, die kürzlich mit der Commerzbank verschmolzen wurde, heißt es: Die Absage sei ein „ganz normaler Prozess“ gewesen. Es habe sich zu dieser Zeit auf die Übernahme der Onvista-Bank und neue regulatorische Vorgaben konzentriert. „Für uns steht immer im Vordergrund, dass wir uns fokussieren, um die priorisierten Themen auch schnell und erfolgreich umsetzen zu können“, schreibt eine Sprecherin. Trade Republic äußert sich nicht.

Ein Lehrstück für die deutsche Bankenbranche

Doch im Haus hielten einige Manager zu der Zeit die Absage für eine Fehlentscheidung. „Ich hätte das hochsinnvoll gefunden“, sagt ein Mitarbeiter. Für die Bank sei es die Chance gewesen, eine junge Zielgruppe zu erschließen. Die Trade-Republic-Gründer fanden mit der Sino AG nach dem Startup-Programm einen anderen Finanz-Partner und beantragte später selbst eine Banklizenz.

Natürlich ist fünf Jahre später nicht ausgemacht, dass die Gründer mit der Comdirect gemeinsam ebenfalls Erfolg gehabt hätten. Und gerade in den vergangenen Monaten profitierte auch die Comdirect – genau wie die neue Konkurrenz von Trade Republic – vom Trading-Boom während der Coronapandemie. Rückblickend sieht es allerdings nach einer verpassten Chance aus, bei einem der großen europäischen Startup-Wetten dabei zu sein. Es ist ein Lehrstück für die Bankenlandschaft: Schon in der nächste Finanzierungsrunde ist die Bewertung für viele deutsche Institute wahrscheinlich wirklich zu hoch.

Mitarbeit: John Hunter