Die Statue Fearless Girl in New York steht symbolisch auch für die Kleinanleger, die sich an die Märkte trauen (Bild: xBryanxSmithx/Imago)

Börsenhype 2020: Mindestens vier Millionen Deutsche sind neu am Aktienmarkt

Exklusiv: Der Run auf die Börsen lässt sich erstmals beziffern. Zwischen vier und 7,5 Millionen Deutsche haben laut einer Erhebung des Meinungsforschungs-Startups Civey 2020 zum ersten Mal in Aktien, ETFs oder Fonds investiert. Damit dürften hierzulande mehr Menschen am Kapitalmarkt sein als zu Zeiten der New Economy.

Jahrelang haben Experten heraufbeschworen, dass sich Deutschland bald zu einem Anlegerland wandeln werde – doch es tat sich nichts. Trotz der Niedrigzinsen und wenigen Alternativen stagnierte die Zahl der Anleger. Nichts konnte die Deutschen so richtig für Aktien begeistern, 2019 sank die Zahl im Vorjahresvergleich noch einmal um 660.000.

Und dann kam das Jahr 2020. Erst rauschten die Börsen in den Keller, um sich dann wieder zu erholen. Plötzlich hatte viele Zeit und auch Reserven, um einzusteigen. Populäre Broker-Startups wie Trade Republic vereinfachten den Aktienhandel zusätzlich – und befeuerten den Trend.

Erste Indikatoren für das rasante Anlegerwachstum gab es bereits, sie zeigten sich in den Quartalsergebnissen der Broker und Direktbanken – oder im Ansturm auf die Trading-Apps. Konkrete Anlegerzahlen für das Boomjahr gab es dagegen bislang nicht. Für Finance Forward hat das Meinungsforschungs-Startup Civey in einer repräsentativen Erhebung rund 5.000 Menschen befragt.

Insgesamt 8,2 Prozent der Befragten hat laut Civey im Jahr 2020 zum ersten Mal in Aktien, ETFs oder Fonds investiert. Besonders zwei Gruppen haben sich an die Börse getraut: Männer (10,3 Prozent gegenüber sechs Prozent bei Frauen) und 30- bis 39-Jährige (12,8 Prozent).

Civey hat die Umfrage Anfang Februar auf 25.000 Webseiten ausgespielt, das Unternehmen arbeitet dafür mit Medien wie dem Spiegel, der Zeit oder Welt zusammen. Durch das breite Spektrum an Seiten erreicht Civey Teilnehmer mit unterschiedlichen Interessen und Eigenschaften, das Ergebnis ist laut dem Startup als repräsentativ einzustufen.

Wenn man das Ergebnis auf die Gesamtbevölkerung (69 Millionen Erwachsene in Deutschland) hochrechnet, ergibt sich eine Spanne von 3,9 bis 7,4 Millionen Erstanleger, die 2020 zum ersten Mal investiert haben. Die Spanne liegt an einer möglichen statistischen Ungenauigkeit von 2,5 Prozentpunkten. Damit dürfte die Zahl der Aktienbesitzer in Deutschland zum ersten Mal den Wert zur „New Economy“ vor 20 Jahren übersteigen. Laut dem Deutschen Aktieninstitut waren 2001 insgesamt 12,8 Millionen Deutsche in Aktien und Fonds investiert.

Der Wert ist in den Folgejahren – besonders nach der Bankenkrise stark gesunken, er erreichte 2010 mit 8,3 Millionen Aktienbesitzern seinen Tiefpunkt. Seither konnte der Wert wieder leicht steigen, 2019 stand er bei 9,6 Millionen. Ist die Zahl der bestehenden Anleger ungefähr gleich geblieben, dann handelt es sich bei dem Coronajahr um einen Höchststand.

Vieles deutet darauf hin, dass der Börsenhype auch in diesem Jahr erst einmal weitergeht. Ende Januar kam die Trading-App Trade Republic laut Downloadschätzungen von Airnow in der Spitze auf 11.000 Downloads – pro Tag. Gleich mehrere wichtige Fintech-Startups im Trading- und Anlagebereich berichten von einem Rekordmonat, nicht nur im Aktienbereich.

Auch die österreichische Kryptobörse Bitpanda konnte ein Wachstum der täglichen Neuanmeldungen von 1.300 Prozent verzeichnen, wie sie mitteilt. An einem Tag kam Bitpanda sogar auf 40.000 Neukunden, inzwischen zählt das Startup mehr als 1,7 Millionen Nutzer. (Eine aktuelle Zahlenübersicht der größten Anlage- und Tradingstartups in Deutschland findet ihr hier.)

Experten befürchten allerdings, dass sich viele der neuen Anleger in den kommenden Monaten bei riskanten Wetten die Finger verbrennen könnten – und erst einmal wieder von der Börse verschwinden. Das Frühjahr könnte außerdem wieder etwas ruhiger ausfallen, prognostiziert etwa Erik Podzuweit, Gründer der Anlage-App Scalable Capital. Gerade die vielen neuen ETF-Sparpläne deuten allerdings darauf hin, dass auch in den kommenden Jahren die Anlegerzahlen nicht komplett wieder einbrechen. Diese passiven Investoren verschwinden nicht so schnell wieder, weil sie ihr Geld langfristig anlegen.