Der Investor, der Wirtschaftsminister und die Magic-Mushroom-Firma
Der Tech-Investor Christian Angermayer pflegt ein dichtes Netzwerk aus Business und Politik. Der mittlerweile flüchtige Wirecard-Vorstand Jan Marsalek gehörte dazu – auch mit dem damaligen Minister Sigmar Gabriel telefonierte er rege, Peter Altmaier schickte er über Jahre Informationen zur Finanzierung seiner Unternehmen. Wie eng sind die Drähte in die Politik?
Schon vor einigen Jahren war Christian Angermayer in der Finanzelite von New York eine große Nummer. Damals tobte in Europa die Euro-Krise, die Märkte waren hochnervös, auch viele Investoren aus Manhattan hatten Milliarden im Feuer. In dieser Zeit bot die US-Investmentbank Bank of America Merrill Lynch großen Fonds und anderen wichtigen Kunden einen Austausch mit einem besonderen Gesprächspartner aus Deutschland an: Angermayer. Angepriesen wurde der damalige Mittdreißiger, der daheim als Investmentstar galt, von der Bank mitunter als „Advisor to Chancellor Merkel“ – als jemand, der ganz nah dran ist an den Entscheidungen in Berlin, die Milliarden bewegen können. Schon in dieser Zeit habe Angermayer mit seinen Kontakten und vermeintlich exklusiven Informationen aus der Politik geprahlt, sagen Finanzmanager, die ihn bei Runden erlebt haben.
Mehr als zehn Jahre ist das her. Seither ging Angermayers Finanzkonglomerat ABL, das er 1999 mit zwei Partnern gegründet hatte, in die Brüche. Durch Recherchen des „Stern“ wurde 2014 bekannt, wie er seine politischen Netzwerke auch für seine Geschäfte einsetzte. Als Schlüsselperson diente damals der CDU-Abgeordnete Philipp Mißfelder. Der inzwischen verstorbene Außenpolitiker öffnete Angermayer Türen in die Politik und half bei Zugängen zu Parteipromis, die dieser auch für geschäftliche Interessen nutzte.
Werben um Investment von Marsalek
Zu Angermayers Business-Netzwerk gehören auch internationale Topshots wie der umstrittene US-Tech-Investor Peter Thiel und der Krypto-Milliardär Mike Novogratz. 2019 vermittelte er auch die Beteiligung des japanischen Softbank-Konzerns an dem Zahlungsdienstleister Wirecard über eine Wandelanleihe – gegen ein Beratungshonorar von 11,25 Millionen Euro, wie aus Wirecard-internen Mails hervorgeht. Mit den Wirecard-Chefs Markus Braun und Jan Marsalek pflegte Angermayer auch persönliche Kontakte, bevor der Betrugskonzern Mitte 2020 kollabierte. In Mails an Marsalek, die Capital vorliegen, warb er beispielsweise um Investments bei seiner Biotechplattform Rejuveron, die Medikamente entwickelt, die das Altern verlangsamen oder sogar umkehren können, sowie bei einer seiner Krypto-Firmen. „Würde mich sehr freuen, wenn du an Bord kommst“, schrieb Angermayer im Oktober 2019 an den heute flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstand. Die Krypto-Firma BlockOne sei „neben Atai (der Magic-Mushroom-Company) meine coolste und aussichtsreichste Firma“. Ob Marsalek tatsächlich investierte, ist unklar.
Aber auch die Drähte des begnadeten Netzwerkers in die Topetagen der Berliner Politik scheinen bis heute nicht gelitten zu haben. In einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des Linken-Abgeordneten Christian Görke zu Kontakten von Bundesministern mit verschiedenen Investoren werden auch zahlreiche Kontakte von Angermayer aufgelistet. Über Jahre pflegte der Unternehmer demnach vor allem Drähte ins Bundeswirtschaftsministerium. Fragen von Capital zu seinen politischen Kontakten ließ Angermayer unbeantwortet. Auch das Wirtschaftsministerium beantwortete keine Fragen.
Mit Peter Thiel und Jens Spahn im Kanzleramt
Bereits im Mai 2012, während der Euro-Krise, führte Angermayer zusammen mit dem damaligen Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) ein Gespräch mit dem Investor George Soros. Thema laut der Regierungsantwort, die Capital vorab vorliegt: „Europa, Hedgefonds“. Im August 2012 war Angermayer Teilnehmer eines Treffens von Rösler mit internationalen Finanzinvestoren, bei dem es um die Entwicklung des Euro ging. Anwesend auch: ein Vertreter von Bank of America Merrill Lynch, jener Investmentbank, die Angermayer ihren Kunden seinerzeit als „Advisor to Chancellor Merkel“ vorstellte.
Im Juni 2016 empfing der damalige Kanzleramtschef Altmaier Angermayer und den US-Tech-Investor Thiel im Bundeskanzleramt. An dem Gespräch mit dem Mitgründer von Paypal und der Sicherheitsfirma Palantir Thiel, der heute auch als Großspender von Donald Trump und einflussreicher Strippenzieher bei den US-Republikanern bekannt ist, zum Thema „Innovations- und Investitionsstandort Deutschland“ nahm auch Jens Spahn (CDU) teil, damals Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium. Auch Spahn ist bis heute Teil von Angermayers Netzwerk. Vergangenen Sommer saß der Ex-Gesundheitsminister auf dem Panel einer Veranstaltung von Angermayers Aurora-Institut, das sich für mentale Gesundheit einsetzt, in Saint Tropez – zusammen mit dem früheren österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz, der heute auch für Angermayers Geschäftspartner Thiel arbeitet. Das wolkige Thema: „The political landscape in Europe and the US – source of happiness or depression?“ In anderen Runden sprachen Vertreter von Angermayers Portfoliounternehmen, bei einer glamourösen Gala trat Sänger Robbie Williams auf – eine Spannbreite von Business und Pop bis Politik, die typisch ist für den Investor.
Dazu passt auch der Austausch, den Angermayer zeitweise mit Sigmar Gabriel pflegte, als dieser Wirtschaftsminister war. In der Regierungsantwort werden für den Zeitraum zwischen März und November 2017 vier Telefonate zwischen dem Investor und dem SPD-Politiker angegeben, zusätzlich noch ein Treffen im Oktober 2017. Worum es bei diesen Kontakten ging, bleibt offen. In der Antwort fehlen Angaben dazu. Offenbar wurden die Gespräche von Gabriel nicht veraktet. Auf konkrete Nachfrage dazu wollte sich das Wirtschaftsministerium nicht äußern. Die Antwort auf die Kleine Anfrage werde in Kürze veröffentlicht, „dem können wir nicht vorgreifen“, teilte ein Ministeriumssprecher mit.
Intensiv kommunizierte Angermayer auch an Altmaier, nachdem dieser 2018 an die Spitze des Wirtschaftsministeriums rückte. In der Auflistung der Bundesregierung finden sich 22 persönliche Mails des Investors an den damaligen Minister Altmaier zwischen Februar 2019 und Juli 2021. Dabei variierten die Themen: Anfangs schickte er eine Einladung zur Münchner Sicherheitskonferenz, bei der Angermayer in der Vergangenheit eigene Randevents mit Gästen wie dem damaligen US-Botschafter Richard Grenell, Spahn oder ausländischen Staats- und Regierungschefs in „sehr intimem Rahmen“ veranstaltete – einer der Teilnehmer im Jahr 2020: Marsalek. Ein anderes Mal lud er Altmaier zu seinem Sommerfest ein, einmal wies er ihn auf ein Interview seines Geschäftspartners Peter Thiel hin.
Im Frühjahr 2020 ging es häufiger um die Corona-Krise. So schickte Angermayer eine Mail mit „persönlichen Bemerkungen zu allgemeiner Wirtschaftspolitik und Covid 19-Maßnahmen“, auch in einer weiteren ging es um die Corona-Politik. Immer wieder lieferte der Investor zudem Informationen zu aktuellen Entwicklungen bei seinen Unternehmen. Allein in sechs Mails an Altmaier war das Thema seine Magic-Mushroom-Firma Atai: Angermayer schickte Firmenpräsentationen, informierte über Finanzierungsrunden und im Sommer 2021 schließlich über den Atai-Börsengang in New York.
„Stalking“ oder Unterstützung für Investments?
Einige dieser Mails an Altmaier wirken so, als gehörte der damalige Wirtschaftsminister zu einem jener Verteiler, über den Angermayer sein Netzwerk regelmäßig auf den neuesten Stand zu seinen Geschäften bringt, Investmentchancen anpreist oder zu Events einlädt. Andere wiederum richteten sich gezielt an den Minister: Im November 2019 bat er Altmaier über dessen Büro um ein „kurzes Treffen“. Anfang 2020 schickte er eine Mail zur „Flankierung eines Schreibens“ seines Portfoliounternehmens Mynaric, einer börsennotierten Weltraumlaserfirma, zu deren Investoren auch Thiel gehörte. Im Laufe des Jahres 2020 geriet Mynaric mit der Bundesregierung aneinander: Im Sommer untersagte der Bund per Einzeleingriff den Export von Kommunikationsterminals für den Weltraumeinsatz nach China – worauf sich die Firma aus der Nähe von München aus China zurückzog.
Ob Angermayers persönliche Intervention bei Altmaier mit diesem Vorgang zusammenhing, ist unklar. Das Wirtschaftsministerium äußerte sich dazu auf Anfrage nicht, ebenso wenig wie Angermayer. Offen blieb auch die Frage, ob sämtliche Mails und Bitten des Investors ohne Antwort aus dem Ministerium blieben – in der Regierungsantwort auf die Kleine Anfrage ist jedenfalls keine Reaktion Altmaiers aufgeführt. Allerdings ist die Regierungsantwort auch in einem anderen Fall unvollständig: So wird ein Termin des heutigen Staatssekretärs im Kanzleramt, Jörg Kukies (SPD), beim „Angermayer Policy & Innovation Forum“ im Juli 2022 erwähnt, bei dem Ex-Investmentbanker Kukies per Videokonferenz über die Lage nach dem G7-Gipfel in Elmau sprach. Dagegen fehlt in der aktuellen Auflistung die Teilnahme des engen Olaf-Scholz-Vertrauten Kukies an einer Angermayer-Veranstaltung im Oktober 2021 – diesen Termin des damaligen Finanzstaatssekretärs hatte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zu Lobbykontakten im Februar 2022 noch angegeben.
Für den Finanzexperten Fabio De Masi werfen Angermayers Kontakte in die Bundesregierung Fragen auf: „Ich finde es bemerkenswert, wie Herr Angermayer Minister Altmaier permanent mit seinen Investments in Magic Mushrooms und Weltraum-Kommunikationssysteme sowie mit seinen Ansichten zu Corona bombardiert“, sagte der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete. „Ich frage mich: War das Stalking oder hat Herr Altmaier Unterstützung der Bundesregierung für seine Investments signalisiert?“ Dies sei auch deshalb von Interesse, da Angermayer den „fatalen Deal“ der japanischen Softbank mit Wirecard eingefädelt habe, fügte De Masi hinzu. Softbank und Wirecard hatten im April 2019 das Investment über eine Wandelanleihe von rund 900 Millionen Euro bekannt gegeben. Damals stand Wirecard nach Berichten der „Financial Times“ über Bilanzmanipulationen massiv unter Druck. Im Juni 2020 brach der Skandalkonzern zusammen.
Unser Kolumnist Fabio De Masi hat kürzlich über Christian Angermayer geschrieben. Zurzeit bestimmen strauchelnde Krypto-Firmen und Deals mit Wirecard seine Bilanz, kommentiert der Wirecard-Aufklärer darin. Hier könnt ihr den Artikel nachlesen.