Zeitgold hat Büros in Berlin und Tel Aviv. (Bild: PR)

Große Pläne, kleine Umsätze – die mageren Geschäftszahlen von Zeitgold

Exklusiv: Schon vor der Coronapandemie lief es bei dem Berliner Buchhaltungs-Startup Zeitgold schlecht, die Umsätze lagen bei rund einer Million Euro pro Jahr, der Fehlbetrag explodierte auf 15 Millionen Euro. Was war los bei dem früheren Hoffnungsträger?

Das Timing hätte für Zeitgold kaum besser sein können. Noch zu Beginn der Coronapandemie ziemlich genau vor einem Jahr verkündete die Firma eine Finanzierungsrunde über 27 Millionen Euro, ein neuer Geldgeber stieg bei der Berliner Firma ein und prominente Bestandsinvestoren wie die Deutsche Bank und Axa zogen mit. Kein Anzeichen einer Krise – und das, obwohl die Kundengruppe von Zeitgold hart von der Pandemie getroffen war: Das Fintech verkaufte eine Buchhaltungs-Software für kleine Cafés und Restaurants. Die Auswirkungen der Krise könne man nicht voraussehen, sagte der Gründer Stefan Jeschonnek zum Branchenmagazin t3n. „Wir rechnen aber weiterhin mit einer guten Entwicklung.“

Knapp drei Monate später folgte die Kehrtwende. Zeitgold feuerte 75 der insgesamt rund 100 Mitarbeiter und stampfte das Produkt ein. Fortan sollte ein kleines Team die neue Steuer-Software Sorted aufbauen. Schon damals sorgte die Entscheidung in der Startup-Szene für Kopfschütteln. Warum drehte die Firma ihr Geschäftsmodell kurz nach einer großen Finanzierungsrunde? Schließlich ließen sich im Mai die Auswirkungen der Krise zumindest ausmalen. Stand der Pivot schon vorher fest, fragten sich einige.

Neu erschienene Geschäftszahlen belegen nun: Bereits vor der Corona-Krise konnte Zeitgold kaum Umsätze vorweisen. Stattdessen stiegen die Verluste. Die Zeitgold-Geschichte ist ein Lehrstück über die Grenzen der „Künstlichen Intelligenz“, die das Fintech gerne als Kern seiner Dienstleistung präsentierte.

Bei einem schwerfälligen Betrieb hörten die Probleme nicht auf

Mit diesem Versprechen starteten die Sumup-Gründer Jan Deepen und Stefan Jeschonnek bereits 2015 ihr neues Fintech-Projekt. Die Idee: Besitzer von Restaurants und Cafés sollte ihre Rechnungen in eine Box packen, die dann von Zeitgold-Mitarbeiter abgeholt wurde. Zettelwirtschaft als Vorstufe zur „KI“. „Die Unterlagen werden dann digitalisiert und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und Algorithmen in eine logische Reihenfolge und Ablage gebracht“, hieß es damals in einem Medienbericht. In einer App sollte man seine Belege einfach organisieren können.

Der Vertrieb stellte sich als schwierig heraus. „Zeitgold hat die eigene Sales-Ziele oft nicht geschafft“, heißt es aus dem Investorenumfeld, obwohl diese nicht sonderlich hoch gewesen seien. Dies schlug sich auch in den Erträgen nieder. 2019 – im Geschäftsjahr vor der Pandemie – lag der Umsatz bei gerade mal 1,38 Millionen Euro. Auch im Geschäftsbericht gesteht Zeitgold ein, man habe die eigenen Ziele nicht erreicht.

Bei einem schwerfälligen Vertrieb hörten die Probleme jedoch nicht auf. Die produktbezogenen Kosten waren extrem hoch, bei 1,38 Millionen Euro Umsatz erzielte die Firma ein Rohergebnis von minus 4 Millionen Euro. Dabei schlugen direkte Kosten zu Buche. Für das Einsammeln der Belege. Für deren Digitalisierung. In einem mittlerweile gelöschten Blogpost zum Pivot geben die Gründer dies zu: „Wir haben in den letzten Jahren enorme Fortschritte bei der Automatisierung von wiederkehrenden Buchhaltungsfällen gemacht. Aber wir müssen auch einsehen, dass es uns angesichts der komplexen und sensiblen Natur von Finanzdaten nicht gelungen ist, mit unserem Hauptprodukt eine Lösung anzubieten, ohne weiter beträchtliche Investitionen in manuelle Arbeit zu leisten.“ Dies mache es unmöglich, das Produkt zu „skalieren und es wirtschaftlich tragfähig zu betreiben“.

Auch das Kunden-Feedback war durchwachsen. „Ich fand die Abbruchrate der Kunden erstaunlich hoch“, sagt ein Geldgeber. Und Ladenbesitzer berichteten in einem Gründerszene-Bericht anschaulich von ihren Problemen. Belege seien von der Software regelmäßig falsch oder doppelt erfasst und vereinzelt sogar Überweisungen auf fremde Bankkonten veranlasst worden, heißt es in dem Artikel. „Es ist das absolute Chaos entstanden“, berichtete eine Ladenbesitzerin. Bereits beim Kurierdienst wurden offenbar versucht Kosten einzusparen. Denn die Ausgaben von Zeitgold waren insgesamt schlicht sehr hoch: Der Personalaufwand lag 2019 bei 6,5 Millionen Euro, der Jahresfehlbetrag hatte sich auf 15 Millionen Euro gesteigert.

Der Umsatz soll noch einmal sinken

Vertriebsprobleme oder Produktbeschwerden kommen häufiger bei Fintech-Startups vor. Doch es ist ungewöhnlich, dass alles zusammenkommt: Geringe Erträge, Probleme mit dem Produkt und hohe Verluste – wohlgemerkt bei einer Finanzierungssumme von insgesamt rund 50 Millionen Euro. Der ursprüngliche Plan lautete, von der Gastronomie in neue Branchen vorzudringen. Doch aus diesem Plan wurde nichts. Es fiel die Entscheidung für den Pivot.

Ein Rätsel bleibt die Finanzierungsrunde, auch wenn statt der verkündeten 27 Millionen Euro nur 22,3 Millionen Euro an frischem Geld in die Firma flossen, wie aus dem Geschäftsbericht hervorgeht. Bei dem Rest handelte es sich um Wandeldarlehen, die in Eigenkapital konvertiert wurden.

In 2020 sollte der Umsatz als Folge des Pivots sogar noch einmal um 20 Prozent sinken, heißt es in dem Geschäftsbericht. Die Zeitgold-Gründer („Ihr alle wisst, wie sehr Transparenz und Offenheit den Kern unserer Kultur ausmachen“) reagierten nicht auf eine Anfrage.

Mitarbeit: Thomas Borgwerth