Sie ist ein Netflix-Star – und hat früh auf den Absturz von Wirecard gewettet: Die Hedgefonds-Managerin Fahmi Quadir (Bild: Netflix)

Bankraub trifft „Die Unbestechlichen“ – Wirecard als Netflix-Thriller

Unter dem Titel „Skandal! Der Sturz von Wirecard“ zeigt Netflix in einer packenden Dokumentation, wie Shortseller und Journalisten den Betrug aufdeckten. Tief in die Details des Falls geht der Film nicht, dafür gelingt die Inszenierung als Thriller für ein Massenpublikum.

Es war die Unterhaltung mit einem australischen Hedgefonds-Manager, die Dan McCrum zum ersten Mal auf Wirecard aufmerksam gemacht hat. Der Journalist suchte zu der Zeit nach „zwielichtigen Unternehmen“, über die er für die Wirtschaftszeitung Financial Times schreiben könnte. „Hätten Sie Interesse an ein paar deutschen Gangstern?“, fragte ihn der Investor. So erzählt es McCrum in der neuen Netflix-Dokumentation „Skandal! Der Sturz von Wirecard“.

Es folgen 90 Minuten Jagd auf die Wirecard-Betrüger, gemeinsam mit Journalisten und Shortsellern. Schon früh hört man das erste Telefonat zwischen McCrum, der weitgehend als Treiber hinter der Aufklärung des Wirtschaftsskandals gilt, und Markus Braun, dem langjährigen Chef von Wirecard. Die Tonbandaufnahme eines Duells, die die Stärke der Dokumentation ausmacht.

Seit dem Sommer 2020, als Wirecard unterging, ist viel passiert. Der Untersuchungsausschuss des Bundestags hat seinen Bericht vorgelegt, Zeitungen haben die Entwicklungen begleitet und erste Dokumentationen – sogar Fernsehfilme zum Fall Wirecard – sind bereits gelaufen. Das große Interesse an dem Skandal ist etwas abgeflaut. Es stellt sich die Frage: Welche Motivation gibt es nun also noch, die Netflix-Dokumentation zu schauen? Was wird Neues berichtet?

Dan gegen Goliath

Das erste Telefonat zwischen Firmenchef Braun und Investigativchef McCrum deutet bereits den Beginn eines Katz-und-Maus-Spiels an. Nach anfänglichem, sehr kurzem Geplänkel sagt der Journalist gerade heraus, dass die Buchhaltung bei Wirecard „schlampig“ sein könnte. Das sei die erste mögliche Erklärung für fragwürdige Firmenübernahmen in Asien. Oder Wirecard habe etwas zu verstecken.

„That’s all bullshit“, sagt Braun in der Aufzeichnung. Die Dokumentation stellt den Aussagen des mittlerweile in Untersuchungshaft sitzenden CEOs die Arbeit diverser Shortseller gegenüber. Tobias Bosler, Matthew Earl und auch Fahmi Quadir, die bereits in der Doku-Reihe „Dirty Money“ zu sehen war, kommen zu Wort.


Fahmi Quadir sprach im August 2020 im FinanceFWD-Podcast über ihre Recherchen im Wirecard-Umfeld, über das betrügerische System dahinter und ihre Kritik an Deutschlands wirtschaftlicher und politischer Elite. Die Folge könnt ihr hier nachhören.


Die Netflix-Doku schafft es, den sonst umstrittenen Ruf von Shortsellern kunstvoll zu überspielen. Einer nach dem anderen werden sie, ähnlich wie auch Journalist McCrum, als hartnäckige Nerds inszeniert, die in Akten blättern und sich tief in das Geschäftsmodell ihres großen Gegners reinlesen – während ihre Stimmen im Hintergrund erläutern, dass sie eigentlich die Arbeit von Finanzdetektiven machen würden.

Von „Schlägertypen“ bedroht – mit Soundtrack

Wäre die Dokumentation ein Spielfilm, dessen Ende die Realität nicht schon längst gespoilert hätte – man würde mit diesen Underdogs fiebern, ob sie es schaffen, Wirecard zu stürzen. Auf der einen Seite stehen die Nerds, die Geschäftsberichte durchwühlen, hartnäckig bleiben und an die gute Sache glauben. Auf der anderen steht die große deutsche Tech-Hoffnung, an die Politik und Wirtschaft glauben wollen.

Auch das Tempo und der Soundtrack erinnern an einen Thriller. Szenen, wie das erste Treffen zwischen McCrum und seiner besten Quelle Matthew Earl in einem Londoner Sushi-Restaurant werden nachgestellt und in der Inszenierung wesentlich spannender gemacht, als die Realität ist. Unter dem Tisch werden 120 Seiten Research-Bericht ausgetauscht: Der seither vielzitierte Zatarra-Report.

Dan McCrum deckte den Wirecard-Skandal für die Financial Times auf (Bild: Netflix)

Die aufwendige Inszenierung funktioniert. Obwohl das Ende der Geschichte klar ist, fiebert man als Zuschauer mit: Wirecard gab in Auftrag, die Londoner Büros der Financial Times abzuhören, Shortseller Tobias Bosler wurde von „Schlägertypen“ bedroht. Vielleicht ist die hollywoodesque Inszenierung dieser Episoden nötig, um den Zuschauern wirklich zu transportieren, wie heftig die Einschüchterungsversuche von Wirecard waren.

„Die Unbestechlichen“

Niemand habe Wirecard mehr genau angeschaut, sagt Bosler. Mit Ausnahme von Dan McCrum. Der bleibt hartnäckig, auch bei einer internen Untersuchung der Financial Times oder einer Anzeige der deutschen Finanzaufsicht Bafin. Der Protagonist wird in die Ecke gedrängt. Ist jetzt alles vorbei? Hat sich der Journalist verrannt?

Bei Wirecard wird es indes absurder, immer größenwahnsinniger. Zuletzt diskutiert das Management eine Übernahme der Deutschen Bank. Den Zuschauern wird klar: Das ist alles noch viel größer, als wir dachten. Zwischendrin dürfen ehemalige Wirecard-Mitarbeiter in entspannter Atmosphäre „von innen“ berichten, wie wir es bereits von gehypten Netflix-Dokumentationen wie dem „Fyre Festival“-Desaster kennen. Man habe einfach nicht glauben wollen, dass es Betrug war. Zu den Insidern zählt beispielsweise der ehemalige Wirecard-Manager Martin Osterloh.

Das Fintech bietet eine großartige Geschichte, das ist schon lange klar. Netflix hat die Geschehnisse jetzt für die eigene, breite Zielgruppe aufbereitet. Wer in die Tiefen der Business-Welt eintauchen will, die Details des Geschäftsmodells kennen will, sollte andere Dokumentationen schauen. Auch die Rolle der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich bei einem China-Besuch für Wirecard eingesetzt hatte, oder die Verantwortung des damaligen Finanzministers Olaf Scholz werden nur beiläufig erwähnt.

Wer jedoch eine moderne, aufwendig produzierte Version eines guten alten Bankraubs sehen will, gemischt mit einer Note des Watergate-Thrillers „Die Unbestechlichen“ mit Dustin Hoffman und Robert Redford, für den ist „Skandal! Der Sturz von Wirecard“ das richtige. „Es sah aus wie eine Bank, eigentlich war es aber ein Raub“, sagt Dan McCrum. Am Ende lächelt er in die Kamera.