Wirecard-Autorin: „Das Geld wurde lastwagenweise rausgeschafft“
Der Wirecard-Skandal erschütterte vergangenes Jahr die Republik – nun gibt es das Drama als Buch und Film. Aufgearbeitet hat den Stoff die Autorin Bettina Weiguny. Sie erzählt im Interview, was sie bei der Recherche erlebt hat.
Dieser Stoff, sagt die Autorin Bettina Weiguny, „schreit nach Film und Buch“: Ein milliardenschwerer Dax-Konzern entpuppt sich als komplettes Lügenkonstrukt. Ein Dreivierteljahr nach dem Zusammenbruch des Unternehmens wird der Skandal nun medial aufgearbeitet: Ab heute gibt es den prominent besetzten Doku-Thriller „Der große Fake – Die Wirecard-Story“ auf dem Streamingdienst TVNOW.
Weiguny hat gemeinsam mit ihrem Mann, dem FAZ-Journalisten Georg Meck, die Idee zum Filmprojekt entwickelt – und dazu noch ein Buch geschrieben: „Wirecard – Psychogramm eines Jahrhundertskandals“. Im Interview schildert sich den Verlauf der Recherche, ihren Eindruck von der Betrugsmasche und ihren Blick auf die Verantwortlichen.
CAPITAL: Wie war das, als Sie zum ersten Mal von Wirecard hörten – welchen Eindruck hatten Sie von dem Bezahldienstleister?
BETTINA WEIGUNY: Das war 2008. Da gab es Ärger mit Aktionärsschützern, die Wirecard Bilanztricksereien vorgeworfen und Anzeige erstattet haben. Später wurde bekannt, dass sie zuvor hohe Summen gegen die Wirecard-Aktie gewettet hatten. Zurück blieb bei mir der Eindruck, dass beide Seiten kein gutes Bild abgegeben hatten.
Warum haben Sie damals nicht schon recherchiert?
Zahlungsabwickler aus der Gambling-Ecke waren nicht mein Thema, da gab es ja etliche windige Konkurrenten, von denen auch mal einer auf offener Straße erschossen wurde. Mit dem Aufstieg in den Dax erhielt Wirecard dann eine andere Qualität.
Wie kamen Sie und Ihr Mann auf die Idee, ein Buch darüber zu schreiben?
Der Stoff schreit nach Film und Buch! Wirecard ist ein Jahrhundertskandal, ein Wirtschaftskrimi und Agententhriller, alles in einem. Ein Dax-Vorstand auf der Flucht – das hat es noch nie gegeben. Direkt nach dem großen Knall im vorigen Sommer haben wir mit Ufa-Produzent Nico Hofmann darüber gesprochen und das Projekt dann gemeinsam entwickelt.
Sie konnten viele Menschen aus dem Dunstkreis des Unternehmens und dem privaten Umfeld der Beteiligten interviewen. Was waren die spannendste Unterhaltungen?
Besonders bewegend war Jan Marsaleks Mutter in Österreich, die mit ihrem Sohn keinen Kontakt hat, seit er mit 19 Jahren die Schule abgebrochen hat, um bei Wirecard anzuheuern. Tief blicken ließ der Geldbote, der 2008 in Amerika aufflog, weil er Gewinne im Online-Gambling ausgezahlt hatte und heute noch meint, alles richtig gemacht zu haben: „Wer eine Moral hat, ist falsch in meinem Geschäft.“ Außerdem konnten wir einen der beiden Wirecard-Juristen in Singapur sprechen, die 2018 die ersten Bilanztricksereien innerhalb des Konzerns aufgedeckt hatten und schnurstracks abserviert wurden. Das war der erste Stein, der zwei Jahre später das ganze Kartenhaus zum Einsturz brachte.
Wie waren der frühere Vorstandschef Markus Braun und sein operativer Vorstand Jan Marsalek drauf, wie würden Sie sie charakterisieren – privat wie beruflich?
Ganz plakativ gesprochen: Markus Braun war ein selbsternannter Visionär, eine Steve-Jobs-Attrappe, und Jan Marsalek ein James Bond-Verschnitt mit Wiener Schmäh. Ein Lebemann mit dicken Geldbündeln, der sich gerne mit Ex-Geheimdienstlern und schönen Frauen umgab. Der Mann strahlte eine gewisse Gefährlichkeit aus, beeindruckte seine Umwelt gleichzeitig mit seiner extrem schnellen Auffassungsgabe. Markus Braun dagegen galt als emotionslos und kalt, ein selbstverliebter Technokrat, der in den besseren Wiener Kreisen verkehren wollte. Ein Platz möglichst nah an der Kaiserloge auf dem Opernball, das war sein Ziel. So hat er es selbst erzählt. Als CEO und gleichzeitiger Großaktionär fühlte er sich unantastbar, nach dem Motto: „Wirecard – das bin ich.“
Was glauben Sie, wo hält sich der frühere operative Vorstand Jan Marsalek auf und wird er je wieder auftauchen?
Die Spur verliert sich mit der Flucht im Privatflieger Richtung Minsk. Danach wurde er in Moskau vermutet, später auf der Krim, aber vielleicht lebt er auch gar nicht mehr, wie etliche seiner ehemaligen Weggefährten glauben. Die Frage ist ja, was er den Leuten, auf deren Gunst er seit seinem Untertauchen angewiesen ist, noch wert ist.
Warum war Marsalek für Geheimdienste interessant? Wie sahen seine Verbindungen dahin aus?
Ein Zahlungsabwickler hat Zugriff auf viele Daten, die für Geheimdienste interessant sein könnten – von Kreditkartenabrechnungen bis hin zu Bewegungsprofilen bestimmter Personen. Auch können Agenten oder Söldner in Kriegsgebieten über Wirecard bezahlt worden sein. Wirecard hat ganz offiziell für den deutschen Geheimdienst gearbeitet, zudem hatte Marsalek seine speziellen Beziehungen nach Libyen, Russland und Afghanistan. In Wien haben Geheimdienstler sich ein Zubrot verdient, indem sie Wirecard mit Informationen über die Bonität ihrer Kunden versorgten, ein ehemaliger österreichischer Verfassungsschützer diente Marsalek als angeblicher Start-up-Scout und war wohl auch in dessen Flucht involviert.
Die Machenschaften liefen über ein fast nicht zu überblickendes Geflecht aus Firmen und Scheinfirmen. Ist einer der beiden Ex-Vorstände das Mastermind dahinter?
Ebendiese Undurchschaubarkeit ist die Methode. Sonst wäre früher aufgefallen, was der Insolvenzverwalter später festgestellt hat: Da ist gar kein Geschäft in Asien. Alles ein einziger großer Fake! Dabei trug dieser Bereich, in Verantwortung von Jan Marsalek, all die Jahre den größten Teil zu Umsatz und Gewinn bei – auf dem Papier, oder wie man heute weiß: in der Fantasie! Da lagen keine Milliarden auf dem Treuhandkonto in Manila. Zu ermitteln, wer diesen großangelegten Betrug erdacht und durchgezogen hat, das ist Sache der Staatsanwälte. Jan Marsalek alleine kann es nicht gewesen sein, da bin ich sicher, dazu braucht es Mitwisser, Helfer, IT-Leute und womöglich auch einen externen Strippenzieher, den großen Unbekannten – auch das halten Insider für möglich.
Können Sie sagen, wie Wirecard Geld zur Seite geschafft hat und Anleger wie Banken betrogen hat?
Das Geld wurde lastwagenweise rausgeschafft. Möglichkeiten dazu gab es viele; überteuerte Übernahmen etwa, wo an dubiose Fonds hunderte Millionen gezahlt wurden, hinter denen wahrscheinlich Komplizen der Wirecard-Bande stecken. Außerdem verschoben sie über Darlehen und Beraterhonorare Geld ins Halbdunkel. Anleger und Banken wurden so um Milliarden gebracht, sie vertrauten den testierten Bilanzen, nach denen das Unternehmen Jahr für Jahr um 30, 40 Prozent wuchs. Nur deshalb gaben Banken Kredite, nur deswegen kauften Anleger Aktien und Anleihen der Betrügerfirma.
Wirecard hatte seit Gründung Kontakte in zwielichtige Milieus: Pornografie, Glücksspiel, auch ein Boxunternehmen gehörten zum Konsortium von Paul Bauer-Schlichtegroll – dem Mann, der Wirecard an die Börse gebracht hat. Welche Rolle hat er gespielt?
Paul Bauer-Schlichtegroll hatte keinerlei Scheu vor der Halbwelt, wie man sie in den Anfangszeiten des Internets an vielen Ecken antraf. Wer die hohen Renditen im Gambling- und Pornogeschäft einstreichen wollte, der musste sich mit zwielichtigem Volk einlassen. Man bewegte sich oft in einer rechtlichen Grauzone, und Wirecard ging immer ein Stück weiter als die Konkurrenz. Wenn es Ärger gab, verteilten Paules Boxer-Freunde wohl auch mal „Ohrlaschen“ an die Kritiker. So erzählt es der Box-Promoter Ahmet Öner.
Es gibt Stimmen, die sagen, dass Wirecard von Anfang an eine Geldwaschmaschine für die Mafia gewesen sei. Wie sehen Sie das?
Ich glaube nicht, dass die Firma zu dem Zweck gegründet wurde, aber sicher wurden Gelder über den Zahlungsabwickler gewaschen. Vermutlich auch für die Mafia. Es gibt Hinweise auf Zahlungsabwicklungen für mit der Mafia verbundene Casinos in Italien und auf Malta.
Wie konnte es passieren, dass Behörden wie die Finanzaufsicht Bafin sowie die Staatsanwaltschaft nichts unternommen haben? Hinweise gab es ja genug…
Gute Frage. Niemand davon sieht im Nachhinein gut aus; Behörden und Aufsicht so wenig wie die Wirtschaftsprüfer von EY, die Jahr für Jahr ihren Stempel unter die Bilanz gesetzt haben. Geholfen hat Wirecard, dass sie ab 2008 bei jedem Skandal die Mär von der Verschwörung angelsächsischer Shortseller zur Hand hatten. Der Aufsichtsrat war eine Fehlbesetzung und die Behörden ermittelten immer in die falsche Richtung.
Sehen Sie sie ausreichend zur Verantwortung gezogen?
Zumindest haben etliche Beteiligte für das Versagen mit dem Verlust ihres Postens bezahlt; vom Bafin-Chef bis zum Deutschland-Chef von EY. Der Schaden für die Anleger ist trotzdem angerichtet, das Geld kommt nicht zurück.
Glauben Sie, es wird eine lückenlose Aufklärung geben, etwa durch die Ermittlungen oder während des Prozesses gegen Braun & Co.?
Einiges ist ja bereits durch den Untersuchungsausschuss ans Tageslicht gekommen. Ein Prozess schafft hoffentlich noch mehr Klarheit, aber das wird noch dauern. Hilfreich wäre die Erkenntnis, wo Marsalek steckt, ob er je wieder auftaucht und ob es den großen Unbekannten gibt. Es bleibt spannend.
Was haben Sie persönlich aus der Recherche gelernt?
Es bestätigt sich die Grundregel des Journalismus: Nichts glauben, selber denken. Wenn man ein Geschäftsmodell nicht versteht, hat das womöglich einen guten Grund. In der Finanzkrise waren die Derivate so verschachtelt, dass sich dahinter wunderbar Schrottpapiere verstecken ließen. Wirecard war so undurchschaubar, dass nicht auffiel, dass die Schatztruhe in Manila mit vermeintlichen zwei Milliarden Euro leer war. Die traurige Gewissheit aber ist: Der nächste Skandal kommt bestimmt.