Vivid zieht Hunderttausende Konten bei Solaris ab
Exklusiv: Nach vier Jahren unter dem Dach von Solaris will die Berliner Neobank Vivid ihre Produkte künftig unter eigener Lizenz anbieten – und weitläufig expandieren. Für Solaris ist der Schritt schmerzhaft.
Eine halbe Million Kundinnen und Kunden hat die Berliner Neobank Vivid inzwischen. 2020 als N26-Angreifer gestartet, haben die beiden Gründer Artem Yamanov und Alexander Emeshev mehr als 200 Millionen Euro von namhaften Investoren wie Ribbit Capital oder Greenoaks erhalten. Zuletzt bewerteten sie das Fintech mit 775 Millionen Euro.
Aufgebaut haben die Gründer ihre Firma unter dem regulatorischen Dach von Solaris, auf das Berliner Fintech setzen auch Firmen wie Tomorrow und Bison. Solaris stellt die Infrastruktur der Konten sowie seine Banklizenz, dafür zahlen die Startups eine Gebühr pro Kunde. Um diese Kosten zu sparen, hatte Vivid Ende 2021 Tausenden inaktiver Kunden gekündigt, deshalb pendelte sich die Kundenzahl bei 500.000 ein. Seit zwei Jahren nennt es stets diese eine Zahl.
Expansion in 23 Länder
Anfang des Jahres hatte Vivid das luxemburgische Unternehmen Joompay übernommen, das über eine Eletronic-Money-Lizenz (E-Money-Lizenz) verfügt. Damit kann die Neobank nun in alle EU-Länder expandieren. Mit der Solaris konnte es bislang neben Deutschland nur Spanien, Frankreich und Italien bedienen. Jetzt gibt es die Expansion in 23 weitere EU-Länder bekannt.
Dabei ist fraglich, wie lohnend das ist. Nach Informationen von Finance Forward ist die Verteilung der bisherigen Expansion ähnlich verlaufen, wie bei Marktführer N26: Rund Hälfte der Kundinnen und Kunden kommt aus Deutschland, ein Viertel aus einem weiteren EU-Land (bei Vivid Spanien, bei N26 Frankreich). Der Rest verteilt sich über die übrigen Märkte. Bei N26 haben sich diese Bemühungen bislang nicht ausgezahlt. Mit dem aufgewendeten Kapital könnte Vivid in seinen Kernmärkten eventuell mehr bewirken.
Wie viele der 500.000 Kundinnen und Kunden nach dem Übertrag von Solaris auf die eigene Infrastruktur bei Vivid bleiben, ist ebenfalls offen. Aktiv seien etwa 150.000 bis 200.000 von ihnen – je nach dem wie man „aktiv“ genau definiert, sagt Vivid-Gründer Emeshev gegenüber Finance Forward.
Solaris schwer getroffen?
Der Plan ist offenbar, mit dem eigenen Setup die Kosten zu senken und gleichzeitig auch weiterhin die Kundenzahl zu bereinigen. Man könne mit der eigenen Lizenz „Finanzdienstleistungen wie Karten, Konten und Zahlungen anbieten“, sagt ein Sprecher. Die Worte sind sorgfältig gewählt, denn von Banking darf Vivid künftig nicht mehr sprechen – dafür benötigt es eine Vollbanklizenz. Der Abschied von der Solaris ist ebenfalls beschlossen. Vivid habe allerdings „derzeit noch keinen genauen Zeitplan dafür“, so der Sprecher. Die Migration von Hunderttausenden Kundinnen und Kunden könnte sich noch Monate bis Jahre ziehen.
Für Solaris dürfte der Verlust von einer halben Million Kundinnen und Kunden – und dem damit verbundenem Umsatz – schmerzhaft sein. Es ist ein Problem des Geschäftsmodells: Für den Anfang lohnt es sich als Startup, kostspielige Aspekte wie eine Lizenz an Partner wie die Solaris auszulagern. Werden diese Fintech-Kunden aber zu groß, werden sie ein eigenes Setup bevorzugen. Die Solaris verliert ihre Kunden also dann, wenn sie eigentlich richtig an ihnen verdienen würde.
Gleichzeitig befindet sich Solaris in einem Strategieschwenk. „Wir sehen, dass wir von der Fintech-Branche zu abhängig geworden sind“, hatte CEO Carsten Höltkemeyer im vergangenen Jahr bei der Finance-Forward-Konferenz gesagt. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte die größte deutsche KMU-Neobank Penta ihre Kunden zur neuen französischen Mutter Qonto migriert.
Inzwischen ist Solaris bemüht, die Profitabilitätszone zu erreichen. Im ersten Halbjahr 2023 erzielte es einen Gewinn von rund 2,6 Millionen Euro. „Mit Blick auf die alte Solaris-Strategie – Wachstum um jeden Preis –, war Vivid ein super Kunde“, sagt ein Unternehmensinsider. „Doch unter dem aktuellen Ziel, die Compliance aufzuräumen und profitabel zu werden, ist die Trennung von Vivid vielleicht doch gar nicht so schade.“ Will heißen: Vivid sei in Fraud-Preventionsthemen kostenintensiver, als andere Kunden.