Tinkoff kommt nach Deutschland – mit einem Killerfeature gegen N26
Vor wenigen Monaten wurde bekannt: Russlands erfolgreiche Digitalbank Tinkoff baut einen europäischen Angreifer für N26, Revolut & Co. Jetzt startet das Tinkoff-Projekt Vivid in Berlin. Was kann die App?
Oleg Tinkov macht keine halben Sachen. Das zeigt der Gründer nicht nur mit seiner russischen Digitalbank Tinkoff, sondern auch mit seinen Ankündigungen. Man werde der Konkurrenz – in Person von Revolut-Gründer Nikolay Storonsky – „in den Hintern treten“, schrieb er auf Instagram, als er vor wenigen Monaten ein westeuropäisches Fintech ankündigte.
Tinkoff, 2006 in Moskau gegründet, gilt mit seinen mehr als zehn Millionen Kunden als eine der größten Digitalbanken der Welt und war Vorbild für Banking-Startups wie Revolut, N26 und Co. An der Londoner Börse ist die Tinkoff-Holding TCS mit etwa fünf Milliarden Dollar bewertet. Mit dem Erfolgsrezept aus Russland und 25 Millionen Euro Startkapital will die Bank nun nach Europa drängen. „Sie werden mit einer Aggressivität auf den Markt kommen, die Revolut und N26 so noch nicht kennen“, sagte Chris Weafer, ehemaliger Chefstratege der Sberbank, vor einiger Zeit zu Finance Forward.
Ziel: 100.000 Kunden in einem Jahr – genau wie N26
Die Pläne sind ambitioniert: Gleich im ersten Jahr will Vivid 100.000 Kunden gewinnen, die Zahl konnte auch Konkurrent N26 zwölf Monate nach Launch verkünden. Der Unterschied: Inzwischen ist der Fintech-Markt weitaus bekannter als noch vor fünf Jahren, aber es ist auch schwieriger, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Und die Marketingkosten steigen mit dem größeren Andrang.
Schon zum Start beschäftigt das Startup 130 Mitarbeiter. Das größte Team sitzt mit 95 Leuten in Moskau, dort wird vor allem das Produkt entwickelt. Bis zum Ende des Jahres sollen es zudem in Berlin etwa 60 bis 90 Mitarbeiter sein – es handelt sich also um kein kleines Experiment. Vivid hat sich für das Management direkt bei der Konkurrenz bedient: So kommt Christian Krabus als „Customer Care Director“ direkt von N26, und Danny De Gier, der früher für Commerzbank und Deutsche Bank gearbeitet hat, als Compliance-Chef.
Ein Cashback-System soll Lust auf Aktienhandel machen
Zwischen der Gründung und dem Launch sind lediglich sechs Monaten vergangenen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Infrastruktur für die App von der Berliner Solarisbank bereitgestellt wird, zusätzlich kooperiert Vivid für seine Karte mit Visa. Abgesehen von einem klassischen Bankkonto gibt es Features wie Cashback-Programme und Unterkonten in mehr als 100 Fremdwährungen.
Besonders mit einem geschickten Feature will sich Vivid von der Konkurrenz abheben. Es gibt ein Cashback-System: Auf Abos bei Streamingdiensten, aber auch bei Online-Einkäufen bei bekannten Marken wie Rewe, Lieferando oder auch Thalia gibt es bis zu zehn Prozent des Geldes als Cashback. Die Prämien sind jedoch auf insgesamt 20 Euro im Monat gedeckelt.
Der Clou: Die Kunden bekommen das Geld nicht direkt auf ihr Konto eingezahlt, vielmehr wird der Betrag mit einem Aktienkurs gekoppelt. Dafür kann eins von aktuell 40 beliebten Unternehmen als Referenzaktie genutzt werden, beispielsweise Tesla, Apple, Zoom oder Mastercard. Die Cashback-Summe steigt und sinkt also mit dem Aktienkurs, der Betrag fällt allerdings nicht unter das ursprüngliche Budget.
Zu einem späteren Zeitpunkt seien hier auch Partnerschaften möglich, heißt es vom Unternehmen. Die Spielerei soll hauptsächlich die Kunden für den Handel mit Finanzprodukten begeistern. Denn in ein paar Monaten sollen über die App auch provisionsfrei Aktien und ETFs angeboten werden.
Der Vertrieb von Aktien, ETFs oder Sparplänen kann für Banken durchaus ertragreich sein. Es ist ein möglicher Weg, mit seinen Kunden Geld zu verdienen. Deshalb liege der Fokus darauf, Kunden zu erreichen, die ein Interesse daran haben, ihr Geld zu investieren, sagt Mitgründer Artem Yamanov, der von Tinkoff kommt, im Gespräch mit Finance Forward.
Ähnlichkeiten zur N26-App
Ansonsten ähnelt Vivid den bestehenden Smartphone-Banken. Das Fintech startet mit zwei Kontomodellen: Ein kostenloses („Vivid Standard“) und ein Premiumkonto („Vivid Prime“) für 9,90 Euro im Monat. Der gleiche Preis, den auch N26 für sein „You“-Konto erhebt. Abhebungen am Geldautomaten sind nicht nach Anzahl wie bei N26 (fünf pro Monat) begrenzt, sondern auf einen Betrag von 200 Euro beim kostenlosen Konto pro Monat und 1.000 Euro beim Premiumkonto.
Features wie Versicherungen gibt es in der Premium-Version nicht. N26 bietet für seine zahlenden Kunden diverse Policen an, darunter eine Versicherung für medizinische Notfälle auf Reisen oder fürs Carsharing. Vivid setzt stärker auf ein Angebot mit Fremdwährungen, es bietet kostenfreie Bezahlung in mehr als 150 Währungen und Wechselmöglichkeiten zu Kursen in Echtzeit.
Die sogenannten Pockets, einzelne Unterkonten für verschiedene Zwecke, hat N26 im gleichen Design – mit einem anderen Namen („Spaces“). Während N26 die Zahl der Spaces begrenzt, können bei Vivid beliebig viele Pockets eröffnet werden. Beide lassen sich mit anderen Nutzern teilen. Vivid hat jedoch einen stärkeren Fokus auf Fremdwährungen. Es können den Pockets eigene Währungen zugeordnet werden und sie erhalten jeweils eine eigene Kontonummer. Per drag-and-drop lässt sich die zugehörige Visa-Karte zwischen den Pockets hin und her schieben. Bei Zahlungen wird dann der jeweils aktuelle Topf genutzt. Praktisch für Nutzer, die viel reisen.
Investments als Wechselargument
Vivid setzt auf eine Mischung aus verschiedenen Angeboten, einzelne Funktionen stecken in den Apps von N26, Revolut oder der Handels-App Trade Republic. Gerade für das Cashback-Programm gibt es eine Community, die sehr aktiv ist – und die neue Vivid-App sicherlich testen wird. Es muss sich zeigen, ob das Fintech mit dem Investment-Fokus eine Zielgruppe in Deutschland erreichen kann. N26 hat Investment-Funktionen in den vergangenen Jahren zurückgefahren. Der Robo-Advisor ist schon vor längerem aus der App geflogen.
Zunächst startet Vivid nur in Deutschland, später sollen andere europäische Länder folgen. Nicht jedoch Großbritannien, dort sei der Fintech-Markt bereits überflutet, sagt Yamanov. Es sei zudem denkbar, sagt der Mitgründer Yamanov, sich ab dem kommenden Jahr auch für kleine und mittlere Unternehmen zu öffnen.
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels war von der „Tinkoff-Tochter Vivid“ die Rede. Bislang ist Vivid von den beiden Managern finanziert. Die Digitalbank Tinkoff wird aber zu einem späteren Zeitpunkt Geld beisteuren und hat dieses zugesagt.