Neue Aktionärszahlen: Gehen Neobrokern die Kunden aus?
Während es 2020 einen Rekord neuer Aktienbesitzer gab, ist die Zahl im zweiten Coronajahr leicht gesunken. Es dürfte ein Verteilungskampf um neue Kunden beginnen.
Möglicherweise war die Geschichte ja doch zu schön, um wahr zu sein. Sie ging so: Da draußen tobt der große Wertpapier-Boom. Am meisten profitieren selbstverständlich die Trade Republics, Smartbrokers und Scalable Capitals. Die Banken und Sparkassen allerdings profitieren ebenfalls. Muss man ja nur mal auf die jüngsten Absatzzahlen der DWS, der Deka und der Union Investment schauen, um zu diesem Schluss zu kommen. Und schließlich galt: Solange die Aktienmärkte nicht einbrechen, kann das alles im Grunde auf ewig so weitergehen.
Der klarste Beleg, dass die Geschichte tatsächlich so stimmt, kam vor ziemlich genau einem Jahr vom „Deutschen Aktieninstitut“ (DAI). Das nämlich hatte festgestellt, dass die hierzulande jahrelang stagnierenden Aktionärszahlen im ersten Corona-Jahr regelrecht explodiert waren. Und zwar: von 9,7 Millionen auf urplötzlich 12,4 Millionen Aktienbesitzern. Eine Sensation.
Heißt: Auch wenn das Geschäft für den Moment weiter floriert – der sozusagen wichtigsten Rohstoff, nämlich die Neukunden, droht gleich wieder knapp zu werden. Was sind die Lehren und was die Konsequenzen?
1. Steigende Zahlen sind nicht automatisch gute Zahlen
Laut Bundesbank-Zahlen gab es in Deutschland zuletzt – das heißt per Ende Oktober 2021 – 27,5 Millionen Wertpapierdepots. Legt man die DAI-Zahlen dagegen (minus 300.000 auf noch 12,1 Millionen Aktionäre), dann ergibt sich näherungsweise eine Ratio von 2,3 Depots je Anleger. Wenn man zwischen den beiden Zahlen differenziert, stellt man fest …
in Mio. | Aktionäre | Depots |
2016 | 9,0 | 22,6 |
2017 | 10,1 | 22,6 |
2018 | 10,3 | 23,1 |
2019 | 9,7 | 23,6 |
2020 | 12,4 | 25,3 |
2021 | 12,1 | 27,5 |
Quelle: DAI bzw. Bundesbank, Angaben jeweils zum Jahresende (Ausnahme: Die Buba-Zahl für 2021 ist von Oktober)
… dass 2020 noch eine parallele Entwicklung zu konstatieren war – 2021 die Zahl der Depots aber weiterhin stark gestiegen ist, obwohl die Zahl der Aktionäre zurückging. Kann eigentlich – bei allen methodischen Unschärfen, denn das DAI lässt befragen – nur heißen: Die Zahl der Zweit- und Drittdepots (und damit mutmaßlich auch die Zahl der noch nicht oder kaum noch genutzten Depots) steigt.
2. Die Abhängigkeit von florierenden Märkten steigt
Laut der Geldvermögens-Statistik ist das reine Aktienvermögen der Deutschen zwischen 2016 und 2021 um stolze 342 Milliarden Euro gestiegen; beim Fondsvermögen lag das Plus bei 336 Milliarden Euro. Dieser Zuwachs kam allerdings nur zum einem Drittel aus Transaktionen (also weil Anleger tatsächlich Aktien und Fonds erwarben). Zwei Drittel waren kursbedingt.
Heißt in der Ableitung: Gerade Anbieter, die stark von Bestandsprovisionen leben (also insbesondere Banken und Fondsdienstleister), sind von einem hohen Marktniveau stark abhängig. Sollte die „Generation Aktie“ doch nur ein vorübergehendes Phänomen gewesen sein, dann steigt diese Abhängigkeit von starken Kapitalmärkten weiter an.
3. Die Neobroker trifft’s auf den ersten Blick weniger hart …
Laut einer Erhebung von Barkow Consulting – basierend wiederum auf Bundesbank-Zahlen – entfielen zwischen Mitte 2020 und Mitte 2021 gut drei Viertel der neu eröffneten Depots auf Online-Broker und Neobroker (siehe unsere News vom 4. November). Dass passt zu den am Mittwoch veröffentlichten DAI-Zahlen, wonach der jüngste Rückgang bei den Aktionärszahlen stärker auf Fonds zurückging – während die Zahl der reinen Aktienbesitzer (also die typische Klientel von Flatex, Trade Republic & Co.) sogar noch einmal leicht stieg, nämlich um 100.000 …
4. … was aber nicht heißt, dass es sie nicht trifft
Das Deutsche Aktieninstitut hat am Mittwoch auch aufgeschlüsselt, wie sich die gut zwölf Millionen Aktienbesitzer auf verschiedene Alterskohorten verteilen und wie hier die Veränderungen zum Vorjahr war:
Alter | Wertpapierbesitzer in Millionen | Veränderung zu 2020 |
14-29 | 1,5 | + 49.000 |
30-39 | 1,7 | – 72.000 |
40-49 | 2,1 | – 288.000 |
50-59 | 2,9 | + 9.000 |
> 60 | 4 | + 19.000 |
Man sieht: Offenbar stellten sich 2021 auch und gerade bei jüngeren Anlegern bereits gewisse Sättigungstendenzen ein – also bei jener Klientel, die den Neobroker-Boom im ersten Corona-Jahr ganz entscheidend befeuert hatte.
Nun hat zum Beispiel Scalable-Capital-Chef Erik Podzuweit nie einen Hehl, dass er das größte Wachstumspotenzial für sein Unternehmen bei der Bestandsklientel der klassischen Anbieter sieht – und nicht bei einer Klientel, die die Börse neu für sich entdecken muss. Und doch: Den „Ersti“-Hype haben Anbieter wie Trade Republic, Justtrade oder eben Scalable Capital mitgenommen. Wenn dieser Hype dauerhaft verflacht (und darauf deuten die neuen DAI-Zahlen zumindest hin), dann wird dies die Kundengewinnung deutlich erschweren.
Vielleicht ist auch das ein Grund, warum Trade Republic, Scalable Capital und auch Flatex zurzeit im Eiltempo weitere europäische Märkte erschließen wollen.
5. Neobroker vs. Legacy-Banken: Der Verteilungskampf beginnt
Die Legacy-Banken werden erleichtert zur Kenntnis nehmen, dass zwar unter den 30- bis 49-Jährigen die Zahl der Aktienbesitzer gesunken ist – aber nicht in den für sie mutmaßlich wichtigsten Alterskohorten, nämlich bei den 50- bis 59-Jährigen und noch Älteren. Aus der demographischen Falle, in der sie stecken, entlässt sie dieser Befund jedoch nicht: Die Legacy-Banken werden in den nächsten Jahren etliche Kunden schlechterdings durch deren Tod verlieren – weil Erben die Depots häufig auflösen oder zu neuen Brokern tragen (siehe dazu auch unseren Podcast zur „Nachfolgeproblematik“ aus dem letzten Sommer).
Hinzu kommt: Je weniger junge Trader nachkommen, desto stärker werden sich auch die Neobroker auf die älteren Kohorten stürzen. Zumal diese Kohorten über ein ungleich höhere Wertpapiervermögen verfügen, die Bundesbank-Zahlen aus 2019 zeigen …
Fonds | Aktien | |||
Alter | Prävalenz | Median | Prävalenz | Median |
16-24 | – | – | – | – |
25-34 | 11% | 5.800 € | 9% | 2.800 € |
35-44 | 16% | 5.500 € | 8% | 4.800 € |
45-54 | 18% | 10.500 € | 16% | 8.100 € |
55-64 | 19% | 14.800 € | 10% | 11.400 € |
65-74 | 19% | 25.700 € | 13% | 15.100 € |
75+ | 11% | 32.400 € | 12% | 27.600 € |
… Mithin: Der Verteilungskampf hat begonnen. Wie brutal er wird – das wiederum hängt nicht zuletzt davon ab, wie sich die Märkte in den nächsten Monaten und Jahren entwickeln.