Sam Bankman-Fried: Das Krypto-Drama in fünf Akten
Als Betrüger verurteilt ist er schon, am Donnerstag soll nun das Strafmaß gegen den früheren Krypto-Star Sam Bankman-Fried verkündet werden – ihm droht jahrzehntelange Haft. Ein Rückblick.
Wenn Richter Lewis Kaplan am Donnerstagnachmittag deutscher Zeit in New York sein Urteil gegen Sam Bankman-Fried fällt, ist dem einstigen Krypto-Wunderkind die Öffentlichkeit sicher. Wohl das letzte Mal für sehr lange Zeit: Dem Gründer der spektakulär gescheiterten Bitcoin-Börse FTX drohen bis zu 110 Jahre hinter Gittern. Selbst wenn das Strafmaß für die insgesamt sieben Anklagepunkte weniger drakonisch ausfallen dürfte – Bankman-Fried wird aller Voraussicht nach nie wieder ein freier Mann sein.
Der Anfang
Sam Bankman-Fried wird 1992 in Stanford (Kalifornien) geboren, sein Hintergrund ist elitär: Die Eltern lehren Ethik und Utilitarismus an der städtischen Uni, bekannt als Keimzelle des Silicon Valleys und Alma Mata berühmter Firmengründer wie Larry Page (Google), Peter Thiel (Paypal) oder Jerry Yang (Yahoo). Auch Bankman-Fried gilt als begabt: Freunde beschreiben ihn als Mathe-Genie, in der Highschool soll er Schnitzeljagden für andere Zahlen-Fans organisiert haben. Es folgt ein Physik-Studium am Massachusetts Institute of Technology (MIT), das Bankman-Fried 2014 abschließt.
Wenig später kommt Bankman-Fried mit der schillernden Welt der Kryptowährungen in Kontakt. Er erkennt, dass Bitcoins und andere Kryptowährungen in verschiedenen Ländern zu unterschiedlichen Preisen gehandelt werden – die Differenz (auch Arbitrage genannt) lässt sich also schnell und risikoarm als Gewinn einstreichen. 2017 gründet er deshalb eine Trading-Firma, die den Handel computergestützt etwa zwischen den USA und Japan abwickelt. So häuft der studierte Physiker rasch ein Millionenvermögen an.
Obwohl ihm Finanzinstitute wegen der hohen Geldmengen schon damals Ärger machen, geht Bankman-Fried unternehmerisch noch einen Schritt weiter. Pläne für eine Karriere in der Wissenschaft gibt er auf. Stattdessen gründet er 2019 die Krypto-Börse FTX. Im Zentrum steht nun vor allem der Handel mit Derivaten: Statt Bitcoins bloß zu kaufen oder zu verkaufen, lassen sich auf der Plattform riskante Wetten auf steigende oder fallende Krypto-Kurse platzieren – zeitweise mit bis zu hundertfachem Hebel.
Der Durchbruch
Rückblickend beweist Sam Bankman-Fried damit ein sagenhaft gutes Timing: Nur wenige Monate nach der Gründung von FTX erleben Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum ihren zweiten Frühling, zwischen Anfang 2020 und Mai 2021 erklimmen die Kurse ein Rekordhoch nach dem anderen. In der Krypto-Szene herrscht Goldgräberstimmung: Viele FTX-Kunden nehmen sogar Kredite auf, um ihre Wetten noch größer zu machen. An jeder von ihnen verdient die Börse über eine geringe Gebühr mit – was Bankman-Fried noch reicher macht. Mit 29 Jahren wird sein Vermögen auf 26,5 Mrd. US-Dollar geschätzt.
Das Geld gibt Bankman-Fried zu dieser Zeit ähnlich impulsiv aus wie seine Kunden Krypto-Wetten platzieren. Für 140 Mio. Dollar kauft er 15 Penthouses auf den Bahamas und eine Villa für seine Eltern, wie der Spiegel schreibt. Hinzu kommen Bürogebäude und 25.000 Quadratmeter Land, auf dem er einen FTX-Campus errichten will; mit Hotel, Fitnessstudio und einem Theater. Obendrein kauft er sich als Investor in „hunderte“ Startups ein, so heißt es, etwa in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Bio-Farming und Drohnentechnik.
Nur eines scheint der Krypto-Unternehmer nicht genug zu haben: politischen Einfluss. Die US-Finanzbehörden verfolgen den Krypto-Boom schon länger argwöhnisch, es drohen strenge Regulierungen. Um das Geschäft von FTX abzusichern, sucht Bankman-Fried die Nähe zu Politikern. In Washington D.C. soll er zwischen 2021 und 2022 zeitweise fast wöchentlich für effizientere Regeln lobbyieren. Dabei fließt auch eine Menge Geld. Das wird ihm noch zum Verhängnis.
Der Knall
Anfang 2022 kommt es in der Krypto-Branche zum Turnaround: Infolge des Ukraine-Kriegs sowie steigender Inflations- und Zinsraten steigt die Unsicherheit an den Kapitalmärkten. Viele Anleger stoßen ihre Krypto-Bestände ab, der Bitcoin verliert zeitweise 50 Prozent an Wert. Sam Bankman-Fried gibt sich dennoch unbeirrt: So sei der Markt eben, sagt er noch im Mai 2022 per Videoschalte auf der Finance-Forward-Konferenz in Hamburg. Mal gehe es steil hinauf, mal genauso schnell hinunter. Aber er sei optimistisch, dass die Kurse in fünf Jahren deutlich höher liegen würden.
Doch ein halbes Jahr später – im November 2022 – kommt es zum großen Knall. Die Krypto-Börse FTX meldet Konkurs an, Sam Bankman-Fried tritt als CEO zurück. Der Hintergrund: FTX soll nach Recherchen des Szeneportals Coindesk Kundengelder in Höhe von zehn Milliarden Dollar veruntreut haben. Im Fokus steht die frühere Trading-Firma von Bankman-Fried, die große Bestände des FTX-eigenen Kryptotokens FTT in ihrer Bilanz ausweist. Da diese nicht durch andere Vermögenswerte abgesichert sind, schwindet plötzlich das Vertrauen in die Währung. Obendrein platzt eine geplante Übernahme durch die Konkurrenzbörse Binance. Viele Kunden ziehen daraufhin panisch ihre Gelder von FTX ab. So manövriert das Unternehmen in eine Liquiditätskrise.
Branchenbeobachter sprechen in der Folge von einem „Lehman-Moment“ für die Kryptowelt – angelehnt an den Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers 2008, die die Finanzkrise auslöste. Auch der FTX-Insolvenzverwalter John Ray III findet im November 2022 in einem US-Gerichtsdokument denkwürdige Worte. FTX sei der schlimmste Fall von Unternehmensversagen, den er in seiner mehr als 40-jährigen Karriere erlebt habe. „Noch nie in meiner Laufbahn habe ich ein so vollständiges Versagen der Unternehmenskontrollen und ein so vollständiges Fehlen vertrauenswürdiger Finanzinformationen erlebt wie hier“, schreibt er.
Für Sam Bankman-Fried bleibt das nicht folgenlos. Gut einen Monat nach der Pleite wird der FTX-Gründer im Dezember 2022 auf Ersuchen der US-Regierung auf den Bahamas verhaftet. Wegen Finanzvergehen, wie es heißt. Zuvor hatte Bankman-Fried jegliche Betrugsvorwürfe zurückgewiesen. „Ich habe nie versucht, einen Betrug zu begehen“, sagt er noch am 30. November in einem Interview mit der New York Times. Er glaube nicht, dass er strafrechtlich haftbar sei.
Der Prozess
Am 3. Oktober 2023 wird Sam Bankman-Fried in New York der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm in sieben Anklagepunkten unter anderem Verschwörung zur Geldwäsche vor sowie Betrug gegenüber Kreditgebern, Investoren und Kunden. Er selbst plädiert auf nicht schuldig. Zuvor hinterlegte Bankman-Fried mit Hilfe von Freunden eine Kaution in Höhe von 250 Mio. Dollar und vermied so eine Untersuchungshaft. Den Arrest verbrachte er im Haus seiner Eltern im kalifornischen Palo Alto.
Im Prozess sagen enge Vertraute und Ex-Partner des FTX-Gründers aus – und belasten ihn teilweise schwer. Die ehemalige Chefin seiner Trading-Firma räumt in ihrer Aussage den gemeinsamen Betrug ein. Die Firma habe „mehrere Milliarden Dollar an Kundeneinlagen“ von der Börse FTX abgezogen und diese für „eigene Investitionen und zur Rückzahlung von Schulden“ genutzt, erklärte sie. Bankman-Fried habe ihr sogar aufgetragen, die Bilanz zu frisieren.
Anfang November sprechen New Yorker Geschworene Sam Bankman-Fried in allen Anklagepunkten für schuldig. Ihm droht damit eine sehr lange Haftstrafe. Wie lange er genau ins Gefängnis muss, entscheidet sich nun am Donnerstag. Dann verkündet Richter Lewis Kaplan das Strafmaß.
Die Folgen
Auch wenn der FTX-Fall zu den Akten gelegt wird – der Schaden wird bleiben. Zumindest Anleger kommen wohl glimpflich davon. Im Januar sickert bei einer Gerichtsanhörung durch, dass FTX plant, seine ehemaligen Kunden vollständig zu entschädigen. Allerdings: Rückzahlungen sollen lediglich zum Wechselkurs gegenüber dem US-Dollar zum Stichtag des Insolvenzantrags von FTX erfolgen. Mit anderen Worten: Eine Erstattung der ursprünglichen Krypto-Bestände – die nach heutigem Kurs etwa beim Bitcoin ein Vielfaches wert wären – wird es nicht geben. Für viele sicher ein Ärgernis.
Vor allem der Krypto-Szene im Allgemeinen dürfte Sam Bankman-Fried mit seinem Verbrechen aber nachhaltig geschadet haben. Werden Kryptowährungen ohnehin häufig mit Geldwäsche, Drogenhandel und Terrorismusfinanzierung in Verbindung gebracht, dürften Regulierungs- und Strafverfolgungsbehörden nun noch härter gegen Unternehmen vorgehen. Im Sinne vieler Krypto-Anhänger ist das nicht – schließlich träumen sie schon lange von dem Tag, an dem Währungen wie Bitcoin endlich als Zahlungsmittel von der breiten Bevölkerung akzeptiert werden.