Public-Gründer Leif Abraham sprach auf der Finance-Forward-Bühne über seine großen Expansionspläne (Bild: Finance Forward).

Nach ersten Kunden in Deutschland: Public bläst Europa-Expansion ab

In den USA wurde Public mit seinem „Social Investing“ zum Erfolgsmodell. Auch in Europa sollte das Produkt groß raus kommen. Neben dem Marktstart in Großbritannien gab es auch in Deutschland erste Nutzer. Nun legt der Neobroker seine Europa-Expansion überraschend auf Eis.

Mehr als 6.000 Kilometer war Leif Abraham gereist, um die ambitionierten Pläne seines Startups zu verkünden. Mit Public hatte er in den USA einen erfolgreichen Neobroker aufgebaut – nun erzählte der gebürtige Hamburger auf der Finance-Forward-Konferenz, wie er sein Modell nach Europa bringen wollte: Mit dem amerikanischen Setup im Rücken sollte die schnelle Expansion nach Europa gelingen, auch mithilfe von Übernahmen. Die Pläne klangen konkret: „Der erste Markt wird in zwei bis drei Wochen live gehen, danach werden ziemlich schnell viele weitere folgen“, sagte er Mai 2023 auf der Bühne.

Public gehört in den USA zu den Angreifern von Robinhood. Im Unterschied zu vielen Konkurrenten hat die App eine Social-Network-Komponente, man kann seine Trades und das eigene Portfolio in der App öffentlich machen. Geldgeber begeisterten sich für Public, dazu zählt etwa Tiger Global, Accel, aber auch Promis wie Skateboarder Tony Hawk, Tennisspielerin Maria Sharapova, Schauspieler Will Smith oder der bekannte Professor Scott Galloway. Die Firmenbewertung lag zuletzt bei 1,2 Milliarden US-Dollar.

Die Expansion nach Europa erschien für Gründer Leif Abraham da nur logisch. Sogar Übernahmekandidaten würden dafür schon auf dem Tisch liegen, sagte er letztes Jahr im FinanceFWD-Podcast. „Wir treten in einen Markt ein, in dem eine Konsolidierung im Gange ist und die Verknappung des Fundings macht es für uns einfacher.” In Deutschland erzeugte die Firma im vergangenen Frühjahr einigen Medienrummel und rüstete sich für den großen Knall.

Rückzug nach nur neun Monaten

Doch so einfach – und vor allem schnell – ging es dann offenbar doch nicht: Nachdem das Fintech im Juli in Großbritannien startete, blieb es um weitere Marktdebüts lange still. Auch aus den Übernahmeplänen wurde bislang nichts. Vor wenigen Wochen kündigte der Broker nun an, sein Geschäft in Großbritannien nach nur neun Monaten zu beenden.

Auf Anfrage teilt Public mit, man wolle sich auf das schnell wachsende US-Geschäft fokussieren. Außerdem „pausiere“ man die Marktaktivitäten nur. „Wir wissen, dass Public auf lange Sicht in ganz Großbritannien, Europa und darüber hinaus verfügbar sein wird und hoffen, dich bald wieder zu sehen“, schreibt Public auf einer FAQ-Website an seine britischen Nutzer. Wie „bald“ man wieder nach Europa zurückkehren wolle, das lässt das Unternehmen auf Anfrage jedoch offen.

Ebenfalls ist unklar, ob die zuvor gewonnenen Kunden dann überhaupt noch Interesse an Public haben werden. Der plötzliche Rückzug dürfte ihnen nämlich einige Mühen bereiten. Denn: Da das Fintech alle britischen Konten über seine US-Plattform abgewickelt hat, befinden sich die Depots formal in den USA. Kunden müssen sie nun auf andere britische Anbieter übertragen.

Wie Public in seinen FAQs selbst feststellt, gestalten sich solche transatlantischen Depotüberträge generell schwierig. Als Alternative bleibt Nutzern dann nur, das gesamte Portfolio zu liquidieren und anderswo wieder neu aufzubauen. Hinzu kommen mögliche Kosten für den Übertrag oder Steuerzahlungen, die sich aus der Liquidation ergeben. Es ist ein müßiger Prozess, der Vielen Ärger bereiten dürfte. Als Ausgleich bietet Public seinen Kunden laut Website eine Entschädigung von 0,67 Prozent auf den Portfoliowert an. Für das Durchschnittsportfolio dürfte diese aber angesichts der Kosten eher mickrig ausfallen.

Durch Schlupfloch: Erste Kunden auch in Deutschland

Was im Zuge des Abgangs zudem weitgehend verborgen blieb: Auch in Deutschland gab es bereits erste Nutzer, die sich Zugang zur App verschaffen konnten. Public bestätigt in diesem Zusammenhang, einen „Markttest“ durchgeführt zu haben. In diesem Rahmen hätten sie Kunden ohne amerikanische oder britische Staatsangehörigkeit Zugang zur App erlaubt.

Dieser Vorgang wirft Fragen auf, denn Public besitzt keine Lizenzen in der EU, um Finanzgeschäfte anzubieten. In diesem Fall hat sich das Fintech wohl mit einem regulatorischen Schlupfloch beholfen – das Zauberwort heißt „Reverse Solicitation“. Dabei handelt es sich um eine Ausnahmeregelung, durch die – einfach ausgedrückt – Unternehmen, die keine lokale Lizenz besitzen, Kunden in einem Land trotzdem Finanzdienstleistungen anbieten können.

Sie dürfen dies unter der Voraussetzung, dass der Kunde sich eigenständig und ohne Werbe- oder Vertriebsmaßnahmen an das Unternehmen gewendet hat. Hier können bereits Nuancen, etwa eine Website auf deutscher Sprache, entscheiden. In der Vergangenheit wurden vor allem Kryptoplayer, wie Bitvavo oder Crypto.com, für ähnliche Werbemaßnahmen abgemahnt.

Nun informierte Public auch diese „Testkunden“ darüber, ihre Depots zu Anfang April zu schließen. In der E-Mail, die Finance Forward vorliegt, werden „operative Gründe“ genannt. Was aber führte wirklich zum raschen Rückzug aus Europa?

„Behandeln Europa wie den 51. Staat“

Im FinanceFWD-Podcast betonte Abraham immer wieder die eigenen europäischen Wurzeln der beiden Gründer: er selbst Deutscher, sein Co-Gründer Däne. Man würde den Markt demnach besser verstehen, als andere amerikanische Player. Trotzdem setzten sie auf die schnelle Expansion über das US-Modell und eine minimale Anpassung an den lokalen Markt. Alle Konten sollten über die USA laufen, man müsse quasi „nur das Frontend lokalisieren“, sagte Abraham. Es klang wie eine Abkürzung, um die schnelle Eroberung vieler Märkte zu stemmen. Hat sich der Fintech-Chef mit diesem Trick verschätzt?

Spricht man mit Marktinsidern, entsteht der Eindruck, dass es Publics stark amerikanisiertes Produkt in Europa schwer hatte. Der Haupt-Claim der Firma lautete, „der beste Ort für britische Kunden zu sein, um am US-Markt zu handeln“, wie die Gründer zum Start mitteilten. Kunden konnten mit Public in Dollar-Währung und zu US-Handelszeiten in amerikanische Aktien investieren. Doch damit waren sie längst nicht mehr die einzigen im britischen Markt.

Es gibt mittlerweile zahlreiche Broker – etwa Interactive Broker, Bux, Lightyear oder Freetrade – die den gleichen Zugang bieten. Gleichzeitig gehen sie aber gezielter auf den europäischen Markt ein – etwa mit einem breiten Handelsuniversum europäischer Werte, lokalen Währungen oder steuerprivilegierten Anlageformen, die nach Land variieren.

„Viele amerikanische Unternehmen behandeln Europa wie den 51. Staat“, fasst es ein Marktkenner zusammen. „Doch europäische Privatanleger wollen vor allem Angebote, die auf ihren ganz eigenen Markt angepasst sind.“ Vermutlich konnte Public also mit seinem Angebot gegen die gut etablierte Konkurrenz kaum Fuß fassen. Vor wenigen Monaten kam auch US-Konkurrent Robinhood nach Europa – zu Anfang mit einem ähnlich US-zentrierten Angebot. Das will das Unternehmen aber schrittweise ändern: Auf seiner Website schreibt Robinhood, dass es auf erstes Kundenfeedback reagiert und weitere Produkte plant – etwa ETFs, britische Aktien und steuerbegünstigte Produkte.

Es erfordert demnach mehr als eine bloße Produktkopie, um in Europa Erfolg zu haben. Auch Public hätte hier aufholen müssen. Dem Anschein nach stellte sich also die Frage, ob das Fintech sein hiesiges Produkt ausbauen und dem Geschäft größere Triebkraft verleihen oder alle Ressourcen auf den US-Markt fokussieren und im Kernmarkt wachsen soll. Offenbar wählte das Fintech nun die zweite Option.