Das (ehemalige) Team von Linus Digital Finance (Bild: PR)

Mit Geld von Alex Samwer aufgebaut – Berliner Proptech Linus steckt in der Krise

Exklusiv: In Berlin sollte eine große Plattform für Immobilien-Finanzierungen entstehen, auch mit einem Investment von Alexander Samwer. Es folgte der Gang an die Börse, zu Hochzeiten war die Firma 240 Millionen Euro wert. Doch nun ist das Management weg, das Team massiv geschrumpft – und die Zukunft ungewiss.

Mit schlechten Nachrichten hatte wohl niemand gerechnet, als das Führungsteam des Berliner Immobilien-Startups Linus am 2. August des vergangenen Jahres einen Konferenzcall aufsetzte. Alle Zeichen standen schließlich auf Wachstum: Aggressiv hatte die Firma von anderen Digitalfirmen Top-Leute abgeworben, auf über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war das Team innerhalb von kurzer Zeit angewachsen. Doch dann kündigte Gründer David Neuhoff an, dass ein Fünftel des Teams gehen müsse – „aus dem nichts“, wie es ein ehemaliger Mitarbeiter beschreibt, der dabei war. „Alle waren in Schockstarre.“ Einige Zuhörer hatten erst am Tag zuvor überhaupt bei dem Unternehmen angefangen.

Gestartet war Linus mit großen Ambitionen. Das Team um Gründer Neuhoff wollte Anlegern exklusive Immobilien-Investments anbieten, die sonst nur millionenschweren Investoren vorbehalten waren. Dahinter stand unter anderem ein schillernder Finanzier: Alexander Samwer, der jüngste der drei Samwer-Brüder. Das Unternehmer-Trio hatte über Jahre viele Immobilien erworben – und das Startup Linus wollte das Geschäft nun massentauglich machen.

In den ersten Jahren gingen die Pläne auf und das Geschäft wuchs stetig. Im Frühjahr 2021 konnte das Unternehmen frisches Kapital zu einer Bewertung von rund 150 Millionen Euro aufnehmen – und wagte kurze Zeit später sogar den Börsengang. Ein mutiger Schritt nach dem schwierigen Corona-Krisenjahr (Finance Forward berichtete). An der Börse war die Firma zeitweise sogar 240 Millionen Euro wert.

Heute ist davon nicht mehr viel übrig. Der Aktienkurs ist in den vergangenen zwei Jahren von knapp 40 Euro auf unter vier Euro abgestürzt, das Unternehmen ist heute nur noch circa 24 Millionen Euro wert. Auch das Team ist stark geschrumpft: Auf die erste Entlassungswelle folgte eine zweite. Und selbst das Management musste reihenweise Verluste verzeichnen. Wie konnte es zu dem dramatischen Niedergang kommen? Funktioniert das bisherige Geschäftsmodell überhaupt noch?

 

Schnelles Wachstum dank Immobilien-Boom

2018 kam Linus mit einem für die Zeit verlockenden Angebot auf den Markt: Ab einer Summe von 200.000 Euro konnten Anleger bei Immobilieninvestments einsteigen, später senkte die Firma die Hürde auf 50.000 beziehungsweise 25.000 Euro. Linus selbst tritt dabei als sogenannter Ankerinvestor auf, beteiligt sich also selbst an den Investments – der Unterschied zu anderen Crowd-Plattformen für Immobilien. Auf der Website nennt sich eins dieser Projekte beispielsweise „Berlin Portfolio“: Die zwei darin enthaltenen Objekte in Kreuzberg und Neukölln sollen mit dem von Linus vermittelten Darlehen renoviert und ausgebaut werden. Je nach investierter Summe soll das Investorinnen und Investoren zwischen sieben und 8,5 Prozent Rendite über 16 Monate einbringen – in einer Zeit ohne Zinsen auf dem Papier ein gutes Angebot. Mittlerweile wirbt die Firma bei anderen Projekten mit zehn bis 14 Prozent Zinsen. Es sollen Immobilien-Deals sein, bei denen sonst nur Menschen mit viel höherem Vermögen Zugang haben.

Längere Zeit hatte Linus mit diesem Modell Erfolg – sicherlich auch dank des starken Rückenwindes für die Immobilienbranche in den vergangenen Jahren. Seit Beginn konnte das Unternehmen seine Geschäftszahlen kontinuierlich steigern: Laut Geschäftsbericht verzeichnete Linus 2021 ein Transaktionsvolumen von knapp 500 Millionen Euro und „einen Rekordumsatz“ von mehr als zwölf Millionen Euro – noch klein, aber schnellwachsend. Auch das Team hinter Linus wuchs schnell, zeitweise waren es mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Investment-Plattform aufbauen sollten.

Krisenmodus statt Expansion

Der Wendepunkt kam im Sommer 2022. Durch die stark gestiegenen Zinsen wurden Immobilienfinanzierungen plötzlich erheblich teurer, vielerorts wurden Bauprojekte gestoppt oder gar nicht erst geplant. Auch die Immobilienpreise sanken als Folge der gestiegenen Finanzierungskosten. Zudem führten gestörte Lieferketten, insbesondere im Energie- und Rohstoffsektor, zu steigenden Baukosten und Verzögerungen.

Auch Linus hatte zu kämpfen. Im Geschäftsbericht 2022 schreibt das Unternehmen von negativen Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit durch Zinsen, Inflation und Wirtschaftsabschwung. Das Transaktionsvolumen der von Linus vermittelten Finanzierungen – und damit der Großteil des Umsatzes – sank um mehr als 50 Prozent. Nur noch circa acht Millionen Euro nahm das Unternehmen 2022 ein.

Vorboten der kritischen Unternehmenslage gab es bereits Mitte des Jahres. Damals erklärte das Unternehmen, es müsse die zu Anfang des Jahres aufgestellte Prognose für das Geschäftsjahr zurücknehmen. „Die Volatilität der Einnahmen von Linus hat in erheblichem Maße zugenommen“, hieß es im Halbjahresfinanzbericht. „Der Vorstand hält mit Blick auf Anzeichen zur deutlichen Abkühlung der Transaktionsdynamik im Investmentmarkt für das Gesamtjahr 2022 am Wachstumskurs nicht weiter fest.“ Vielmehr strebe man die Rückkehr in eine operative Profitabilität – also Gewinn vor Steuer- und Zinszahlungen – an. Diese konnte das Unternehmen zuletzt im Geschäftsjahr 2020 vorweisen, allerdings nur in kleinem Maße.

„Man hätte prekäre Situation viel früher erkennen müssen”

Nach Jahren der Euphorie und des Wachstums folgte nun ein rigider Sparkurs: Von den über 100 Beschäftigten sind auf der Karriere-Plattform Linkedin heute nur noch knapp 40 übrig geblieben. Von einem Ex-Mitarbeiter heißt es sogar, es seien weit weniger, vielleicht 20. Die Betroffenen seien sofort freigestellt worden. „Ohne jegliche Übergabe mussten sie das Unternehmen verlassen – das war ein ziemlicher Brain Drain“, erzählt er. Und das, obwohl man bis zuletzt viel Geld investiert habe, um Mitarbeiter anzuwerben. 2021 gab Linus laut Geschäftsbericht noch eine halbe Million Euro für die Dienste von Headhuntern aus. Erfahrene Manager der Berliner Tech-Szene, etwa von Zalando, Scout24 oder Ratepay, konnte man so gewinnen.

Auch große Teile der Führung suchten das Weite: CTO, CFO, CMO, VP People und CEO des britischen Geschäftszweiges sind allesamt um den Jahreswechsel aus dem Unternehmen ausgeschieden – offenbar ohne Nachfolge. Der Gründer und ehemalige CEO David Neuhoff wechselte im Januar dieses Jahres unerwartet in den Aufsichtsrat – „aus persönlichen Gründen“, wie es in einer Mitteilung von Linus heißt. Auf Anfrage teilt das Unternehmen zudem mit, dass Veränderungen im Management stets einvernehmlich erfolgt wären.

„Ich kann ethisch nicht nachvollziehen, warum Linus bis zuletzt so aggressiv Leute von anderen Unternehmen abgeworben hat, nur um sie kurz danach wieder zu entlassen“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter. „Man hätte die prekäre Situation viel früher erkennen und die Investitionen stoppen müssen.“ Auch auf der Karriere-Plattform Glassdoor kommentieren ehemalige Mitarbeiter die hastige Kehrtwende: „Wir wurden alle belogen und gefeuert, nachdem uns gesagt wurde, unsere Jobs seien sicher“, heißt es dort unter anderem.

Rückkehr zur Investment-Boutique?

Warum Linus so kurzfristig die Handbremse zog, bleibt unklar. Auf Anfrage verweist das Unternehmen auf seine kapitalmarktrechtlichen Pflichten. Denen zufolge habe Linus vor der Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung seinen Beschäftigten die Entlassungen nicht transparent kommunizieren können. Es bleibt allerdings die Frage, warum der Strategiewechsel erst im August erfolgte. Womöglich hat das Management tatsächlich zu lange an einem Kurs festgehalten, der nicht länger finanzierbar war. Das Unternehmen betont, man habe „unmittelbar reagiert“ und den strategischen Fokus verändert. Eine Zäsur könnte es dann mit der Personalie Axel Wieandt gegeben haben. In den Medien gilt er seit Mandaten bei Valovis und der Hypo Real Estate als „Sanierer” – jemand, der ganz genau hinsehe. Ende Juni 2022 berief Linus den erfahrenen Bankmanager ohne große Ankündigung in den Aufsichtsrat. Einen guten Monat später leitete das Unternehmen abrupt den Sparkurs ein.

Ein Hinweis auf die Problemursachen könnte in der Unternehmensentwicklung liegen: Die anfänglichen Immobiliengeschäfte liefen offenbar so erfolgreich, dass man das Modell skalieren und zu einer Plattform aufbauen wollte. Es stellt sich allerdings die Frage, ob das Geschäftsmodell überhaupt für eine Skalierung geeignet war. „Zahlungskräftige Privatkunden für Investitionen über 200.000 Euro zu finden, ist extrem schwierig und vor allem sehr teuer“, sagt ein Insider. „Es ist extrem schwer, mit einem Modell wie Linus profitabel zu werden.“

Die Stimmung auf dem Immobilienmarkt bleibt angespannt

Tatsächlich hat Linus in den vergangenen Jahren zwischen vier und fünf Millionen Euro jährlich allein für Marketing und Vertrieb ausgegeben. Mittlere fünfstellige Summen sollen pro gewonnen Kunden geflossen sein, schätzen Brancheninsider. Dabei seien wenig neue Investoren ohne Werbung gekommen, sagen frühere Mitarbeiter. „Es schien, als wollte man Wachstum um jeden Preis und hat dabei nicht rechtzeitig auf Marktentwicklungen reagiert.“

Nun fährt Linus den Wachstumskurs zurück. Das Unternehmen teilt auf Anfrage mit, „zukünftig organisch und nachhaltig wachsen“ zu wollen – das fällt sicherlich zulasten von Vertrieb und Marketing. Im Geschäftsbericht heißt es entsprechend, man wolle sich auf hochvermögende Privatkunden, Family Offices und institutionelle Partner über den indirekten Vertrieb fokussieren. Dies deutet auch die jüngst verkündete Kooperation zwischen Linus und Konkurrenten Exporo an. Laut einer Mitteilung des Unternehmens hat Linus ein Darlehen im einstelligen Millionenbereich für ein Immobilienprojekt in Erfurt über Exporo zur Verfügung gestellt.

Ob und wie Linus wieder profitabel werden kann, muss sich zeigen. Die Stimmung auf dem Immobilienmarkt bleibt jedenfalls weiter angespannt: Erst diesen Monat hob die Europäische Zentralbank den Leitzins auf vier Prozent erneut an. Dies dürfte die Transaktiondynamik erst einmal weiter verlangsamen. Auf Anfrage heißt es von Linus derweil, die Nachfrage nach alternativen Finanzierungslösungen steige aufgrund der Zurückhaltung klassischer Banken. Die Firma blicke optimistisch in die Zukunft.


Hinter den Firmen verbergen sich Akteure aus dem Linus-Umfeld: An Picus Capital und Creanos ist unter anderem Alexander Samwer beteiligt. Laut Geschäftsbericht 2022 gehören ihm insgesamt 64,62 Prozent an Linus. Hinter DJNEU steht Linus-Gründer David Neuhoff. BKS ist eine Heidelberger Immobiliengenossenschaft. Ihr Vorstand Andreas Dittmar soll im Juli in den Aufsichtsrat von Linus gewählt werden.