Der Fall Nuri wirft nun auch Fragen für die Solarisbank auf. (Bild: Daniel Brosch/Unsplash)

Nuri und das Krypto-Fiasko – ein Problem für die Solarisbank?

Die Kunden des Krypto-Startups Nuri bangen zurzeit um ihre Investments beim Anbieter Celsius, es dürfte sich um weit mehr als 40 Millionen Euro handeln. Welche Rolle spielt die Solarisbank als Bankingpartner in diesem Fall? Eine Analyse.

Im Prinzip ist die Geschichte von Nuri und dem Krypto-GAU schnell erzählt. Die Berliner Neobank offerierte ihren Kunden ein „Bitcoin Ertragskonto“ mit der Aussicht auf eine jährliche Verzinsung von bis zu 5 Prozent. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das vermeintliche Konto allerdings als Leihgeschäft. Die Bitcoins des Kunden fließen nämlich an ein US-Unternehmen namens Celsius Network, das die Bitcoins zu einem höheren Zins weiterverleiht.

Solange die Bitcoins zunächst zu Celsius und von dort zu den Endkunden zurückfließen, funktioniert dieses Modell wunderbar. Genau dieser Mechanismus ist seit dem vergangenen Wochenende allerdings unterbrochen. Celsius kommt seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nach. Die große Frage lautet nun: Kommt der Mechanismus wieder in Gang? Sind die Bitcoins der Nuri-Kunden also bloß eingefroren, tauen aber wieder auf? Oder ist das Krypto-Geld der „Ertragskonto“-Inhaber futsch? Letzteres wäre: Der GAU für die Kunden. Aber auch für Nuri. Denn der Reputationsschaden wäre riesig.

Nun gibt es allerdings eine Geschichte hinter der Geschichte. Die lässt sich leider nicht so schnell erzählen. Denn sie ist komplex und diffus, es geht darin um Begriffe wie „Haftungsdach“ und „regulatorische Privilegierung“. Am Ende der Geschichte allerdings stellt sich eine simple Frage: Kann es sein, dass Nuri in haftungsrechtlicher Sicht fein raus wäre, wenn es zum beschriebenen GAU wirklich kommen sollte? Und sich etwaige Ansprüche gegen einen weit größeren, weit prominenteren Akteur richten könnten – nämlich gegen die Solarisbank, also das Berliner Vorzeige-Fintech, das von Investoren mit weit mehr als einer Milliarde Euro bewertet wird?

Die Sache mit dem „Haftungsdach“ der Solarisbank

Der „Fall Nuri“ wirft ein Schlaglicht auf eine rechtliche Konstruktion, die im Spannungsfeld von Banken und Fintechs immer populärer wird, nämlich auf das schon erwähnte „Haftungsdach“. Dieses wird von regulierten Banken und Finanzdienstleistern (wie der Solarisbank) über weitgehend unregulierte Vermittler (wie in diesem Fall Nuri) aufgespannt. Die Kernidee dahinter: eine entbürokratisierte Aufsicht, in der sich jedes Unternehmen auf das konzentrieren kann, was es am besten beherrscht.

Genau dieses Gebilde kommt auch beim „Bitcoin-Ertragskonto“ (und übrigens auch allen sonstigen Nuri-Produkten) zur Anwendung: Formal agiert Nuri als sogenannter „vertraglich gebundener Vermittler“ (auch „Tied Agent“ genannt) der Solarisbank. Und es ist die Solarisbank, die die Haftung für das Tun (und Nichttun) von Nuri übernimmt. Nuri ist dank dieses Konstrukts regulatorisch privilegiert. Der Berliner Krypto-Spezialist wird beispielsweise nicht von der Bafin beaufsichtigt, sondern unterliegt lediglich der sogenannten Institutsaufsicht. Das heißt: Es obliegt der Solarisbank zu prüfen, ob Nuri seiner Tätigkeit ordnungsgemäß nachgeht, vernünftige Produkte vermittelt, angemessen Partner (also Partner wie Celsius Network …) auswählt und seine Risiken den Endkunden gegenüber transparent macht.

Zugespitzt formuliert: Was die Bafin für die Solarisbank ist, das ist die Solarisbank für Nuri.

Diese Konstruktion kommt auch in anderen Bank-Fintech-Verbindungen zum Einsatz, beispielsweise bei der Kooperation zwischen der Fondsdepot Bank und dem Investment-Fintech Moonfare.

Konkret heißt es in den AGB von Nuri (Fettung unsererseits):

„Nuri vermittelt über die Nuri Apps Geschäfte über die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten (….) Nuri ist dabei ausschließlich für Rechnung und unter der Haftung der Solarisbank als vertraglich gebundener Vermittler von der Solarisbank (…) tätig. Nuri handelt bei der Anlagevermittlung als Vertreter der Solarisbank. (…) Die Solarisbank übernimmt gegenüber dem Kunden der Vermittlungsleistungen für jegliche Pflichtverletzungen von Nuri, die im unmittelbaren Zusammenhang mit deren Tätigkeit als Vermittler von Geschäften über die Anschaffung oder Veräußerung von Kryptowährungen stehen, die zivilrechtliche Haftung. Der Kunde kann daher die Solarisbank für Pflichtverletzungen der Vermittlung durch Nuri unmittelbar in Anspruch nehmen.“

Und wiederum in den Sonderbedingungen des „Bitcoin-Ertragskontos“ wörtlich:

„Nuri vermittelt (…) mit dem Angebot des Bitcoin-Ertragskontos Geschäfte über die Anschaffung und die Veräußerung (hier: Sachdarlehen) von Finanzinstrumenten (…). Bei der Vermittlung des Bitcoin-Ertragskontos ist Nuri ausschließlich für Rechnung und unter Haftung der solarisBank als vertraglich gebundener Vermittler (…) tätig. Nuri handelt bei der Vermittlung als Vertreter der solarisBank.”

Nun ist es 1.) noch lange nicht ausgemacht, dass das Geld der Kunden wirklich weg ist und 2.) ist noch viel weniger ausgemacht, ob es auch zu Pflichtverletzungen gekommen ist.

Und doch: Zumindest einige Vorgänge rund um das „Bitcoin-Ertragskonto“ werfen Fragen auf.

So war zwar in sämtlichen offiziellen und rechtlichen Dokumenten nachzulesen, dass es sich um eine riskante Geldanlage handelt. Zugleich geriet das Marketing für das Produkt allerdings arg blumig, angefangen vom Produktnamen (denn unter einem „Konto“ dürfte der Normalkunde etwas anderes verstehen, als das, was hier angeboten wurde) bis hin zu den Werbebotschaften („Vermögensaufbau“, „passives Einkommen“, „Ertragsraten, die du mit einem Old-School-Bankkonto nicht erreichen könntest“, „Für HODLer“).

Und ebenfalls problematisch: In den USA durften Kleinanleger schon seit Wochen keine Geschäfte mehr mit Celsius machen, weil den dortigen Aufsehern das Modell zu heikel geworden war – dagegen vermittelte Nuri die Bitcoins seiner Kunden auch weiterhin. In den FAQ auf der Nuri-Website fand sich laut „Google Cache“ bis Montag sogar noch die Behauptung: „Die Kryptowährungen werden nie eingefroren und sind jederzeit auszahlbar.“ Nachdem genau das allerdings passiert war, war der Satz am Dienstag plötzlich verschwunden.

In Berlin ist die Nervosität dieser Tage zu greifen

Kann man aus alldem einen Vorwurf gegen die Solarisbank konstruieren? Kapitalrechtler halten das für sehr gut möglich, allerdings nicht für zwingend. Denn am Ende ist Krypto halt Krypto, also im Zweifel riskant, das muss auch dem Endkunden klar sein. Und: Celsius Network war, mit Verlaub, auch keine Bumsbude. Im November sammelte das Unternehmen bei Risikokapitalgebern (darunter der zweitgrößte kanadische Pensionsfonds) 750 Millionen Dollar ein, zu einer Bewertung von 3,25 Mrd. Dollar. Wer da von Deutschland aus draufguckte, konnte durchaus zu dem Schluss kommen, dass es sich um einen seriösen Laden handelt.

Trotzdem: In Berlin ist die Nervosität dieser Tage zu greifen. So verweist Nuri im Zweifel auf seinen amerikanischen Geschäftspartner („Wir arbeiten mit Hochdruck daran, von unserem Partner Celsius detailliertere Informationen zur Dauer des Auszahlungsstopps zu bekommen“) und schweigt sich aus zu der Frage, wie viele Kunden betroffen sind und wie viel Geld eingefroren ist. Zur groben Einordnung: Laut Recherchen von Finanz-Szene sollen schon im Juni 2021 rund 40 Millionen Euro auf den „Bitcoin-Ertragskonten“ gelegen haben – und das war, bevor die Vermarktung so richtig losging. Es scheint also um nicht ganz kleine Summen zu gehen.

Die Solarisbank hatte Anfang der Woche darauf beharrt, keine Geschäftsbeziehung zu Celsius zu unterhalten. Fachleute erstaunt dies – schließlich ist beim Vermittlungs-Modell in der Regel das „Haftungsdach“ auch der „wirtschaftlich Berechtigte“. Sprich: Wäre dies auch im konkreten Fall so gewesen, dann hätten etwaige Provisionen, die Celsius für die Vermittlung der deutschen Kunden gezahlt haben dürfte, erst einmal an die Solarisbank fließen müssen, nicht an Nuri. Noch einmal konkret auf diesen möglichen Zusammenhang angesprochen, erklärte das Unternehmen nun, man habe „keine direkte Geschäftsbeziehung mit Celsius“, könnte die Dinge aber „nicht näher erläutern, ohne in die Vertragsdetails zu gehen“ – und genau das wolle man vermeiden.

Darüber hinaus betont die Solarisbank bezogen auf ihre eigene Rolle:

„Das Haftungsdach gilt nur für die Anlagevermittlung, also den Prozessschritt, Kunden über Nuri zu Celsius zu vermitteln. Die damit einhergehenden Pflichten, wie etwa die Prüfung der Plausibilität der Anlage und die Bereitstellung von Informationen, hat [die] Solarisbank ordentlich erfüllt. Zudem ist die Solarisbank auch allen regulatorischen Pflichten vollumfänglich nachgekommen.“

Sollten die Nuri-Kunden ihre Bitcoins nicht zurückerhalten, dann dürfte diese Position hinterfragt werden.