Deutsche Banken haben das Interesse an Apples NFC-Schnittstelle verloren
Exklusiv: Lange hatten Deutschlands Banken darum gerungen, Zugriff auf Apples NFC-Schnittstelle zu bekommen. Der Bundestag hat den Weg dafür zum 1. Januar frei gemacht – doch nun wollen Commerzbank, Deutsche Bank und Co. auf einmal nicht mehr. Warum?
Seit dem 1. Januar gilt für Deutschlands Banken eine neu gewonnen Freiheit. Sie können ein eigene Bezahlangebote auf Apple-Geräten starten, ohne dafür auf Apple Pay zurückgreifen und damit den strengen Vorschriften des US-Konzerns folgen zu müssen. Möglich macht das ein neues Gesetz, für das die deutschen Kreditinstitute – allen voran die Sparkassen – lange gekämpft haben.
Dabei war das Gesetz das Ergebnis monatelanger, intensiver Lobbyarbeit, die sogar in einen Konflikt zwischen deutscher und US-amerikanischer Regierung mündete. So berichtete die FDP-Finanzpolitikerin Bettina Stark-Watzinger später davon, „dass die US-Botschaft auf höchster Regierungsebene intervenierte, um diesen Beschluss zu verhindern und den parlamentarischen Prozess zu stoppen“. Die US-Botschaft dementierte allerdings, Einfluss genommen zu haben.
Hinter den Kulissen mühte sich Apple vergeblich, das Gesetz zu verhindern. Öffentlich zeigte sich der Konzern ungewohnt kritisch: „Wir sind überrascht, wie plötzlich dieses Gesetzgebungsverfahren eingeleitet wurde“, hieß es im Dezember.
Offenbar muss sich Apple aber keine Sorgen machen, dass die Banken den Tech-Konzern mit NFC-Anträgen überschwemmen – im Gegenteil. Anfragen bei Deutscher Bank, Commerzbank, Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie der ING ergaben, dass keines der genannten Institute konkrete Pläne für ein eigenes Bezahlangebot verfolgt.
ING und Deutsche Bank verzichten definitiv
Klar ist die Situation bei der Deutschen Bank. Die war direkt zum Launch von Apple Pay in Deutschland im Dezember 2018 schon dabei. „Nein, die Deutsche Bank beabsichtigt aktuell nicht, einen Antrag auf Öffnung der NFC-Schnittstelle zu stellen“, so ein Sprecher. „Wir bieten unseren Kunden bereits seit Marktstart in Deutschland den vollen Umfang der Apple-Pay-Zahllösung an.“
Ähnlich klingt das bei der ING. „Aktuell gibt es keine Pläne, eine eigene Lösung zusätzlich zu Apple Pay zu entwickeln“, sagt ein Sprecher. „Daher ist ein Antrag aktuell nicht erforderlich.“ Apple Pay werde von den Kunden „sehr gut angenommen“, daher sei der Bedarf nach einer eigenen Lösung nicht ausreichend gegeben. Konkret bedeute das: „Zunächst erweiterten wir unser Angebot in Bezug auf mobile Bezahlverfahren für Apple-Geräte nicht.“
Der Hintergrund: Die Banken haben offenbar nicht vor, zweigleisig zu fahren. Wer Apple Pay bereits im Angebot hat, sieht offenbar keine Notwendigkeit, parallel ein zweites, eigenes Angebot aufzubauen. Möglicherweise hätten sie eine andere Strategie gewählt, wenn das Gesetz früher in Kraft getreten wäre – nun aber sind schon zu viele Ressourcen in Apple Pay geflossen. Und: Der Markt bewegt sich schnell, mit einem Angebot auf Apple-Geräten darf nicht zu spät gestartet werden. Aus Kreisen der Deutschen Bank heißt es, der Ansturm auf das Angebot sei besonders zu Beginn „überraschend groß“ gewesen. Bei den Sparkassen war das Berichten von Finanz-Szene.de zufolge nicht anders. Was soll dann noch eine zweite, eigene Lösung?
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Bei der Commerzbank will man sich nicht komplett verweigern, hält die Möglichkeit eines eigenen Angebots offen. Dabei hat das Institut Apple Pay für seine Kunden erst im Dezember 2019 freigeschaltet. „Das Vertragsverhältnis mit Apple läuft über mehrere Jahre und wir prüfen laufend die Möglichkeiten für weitere Aktivitäten“, sagt ein Sprecher. „Zum momentanen Zeitpunkt haben wir über mögliche neue Handlungsoptionen noch nicht entschieden.“ Einen Antrag wurde dennoch bislang nicht bei Apple eingereicht.
Die Volksbanken und Raiffeisenbanken bieten ihren Kunden aktuell noch nicht einmal Apple Pay an. Der Start war ursprünglich für 2019 angedacht, musste dann aber verschoben werden – die technische Implementierung dauere „leider länger als geplant“, hieß es Ende des Jahres. Eigentlich wären das beste Voraussetzungen, die Sache komplett abzublasen und eine eigene Lösung zu entwickeln – mithilfe der neuen Freiheiten.
Doch der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken hält an seinem Plan fest, noch in diesem Jahr wolle man das Bezahlen mit Apple Pay ermöglichen, teilt ein Sprecher mit. Ob man mittelfristig ein eigenes Angebot an den Markt bringen werden, wolle man nicht ausschließen. „Erst einmal begrüßen wir die vom deutschen Gesetzgeber hergestellte Fairness im Markt, dass alle Anbieter ihre Schnittstellen öffnen müssen“, so der Sprecher. „Inwiefern wir in welchem Kontext davon Gebrauch machen werden, wird derzeit noch geprüft.“
Politik zeigt sich enttäuscht
Das Desinteresse der deutschen Banken ist schon verwunderlich. Die neue Freiheit ist da, aber keiner will von ihr Gebrauch machen. Der Linken-Abgeordnete Fabio de Masi, der das Gesetzesvorhaben unterstützte, äußert sich im Gespräch mit Finance Forward verärgert: „Das ist sehr schade und nicht nachvollziehbar! Wer die Digitalisierung verpennt, fairen Wettbewerb fordert und dann die Möglichkeiten nicht nutzt, sollte sich nicht wundern, wenn Big Techs wie Apple den Markt übernehmen.“
Bettina Stark-Watzinger, die Vorsitzende des Finanzausschusses von der FDP, glaubt trotzdem, dass die Regeländerung richtig gewesen sei. „Es kann nicht sein, dass Tech-Konzerne ihre Plattformen ausnutzen, um beispielsweise Bezahl-Apps deutscher Banken zu blockieren“, sagt sie auf Anfrage von Finance Forward. Würden die Banken eigene Lösungen entwickeln, wären die Kunden nicht auf Apple Pay angewiesen – und die Kreditinstitute müssten nicht so hohe Gebühren an Apple bezahlen, sagt sie.
Wie die Banken jedoch ihren neuen Freiheiten nutzten, bleibe „selbstverständlich ihnen überlassen“, so Stark-Watzinger. Sie betont aber, es bestehe die Gefahr, „dass große chinesische und US-Player nach der Salamitaktik Scheibe für Scheibe ins Geschäftsfeld der Banken vordringen und die Wertschöpfung abziehen“. Deutschlands Banken, warnt sie, müssten aufpassen, „nicht in eine Abhängigkeitssituation zu geraten“.