Lightspeed – das meist unterschätzte Fintech der Börse?
Das Fintech Lightspeed machte einst mit rasantem Wachstum und hoher Milliardenbewertung von sich reden. Doch nach einigen riskanten Übernahmen folgte der Kurssturz. Die Konsequenz waren harte Sparmaßnahmen und ein Fokus auf Profitabilität. Wird der Turnaround gelingen? Und wie unterbewertet ist das Geschäft im Vergleich zu Konkurrenten wie Sumup?
„Ihr seid eines der am meisten unterschätzten oder missverstandenen börsennotierten Unternehmen“ – das sagte der Startup-Investor und Podcaster Harry Stebbings vergangenen August über das kanadische Payment-Fintech Lightspeed. Und er scheint nicht ganz unrecht zu haben: Denn auf den ersten Blick ähneln die Kennzahlen denen von Konkurrent Sumup. Trotzdem wird Lightspeed an der Börse nur mit 2,3 Milliarden Dollar bewertet. Die kolportierte Bewertung von Sumup liegt dagegen bei mehr als 8 Milliarden Dollar.
Wie ist dieser Unterschied zu erklären? Ist Lightspeed wirklich so unterbewertet? Und wie geht es dem deutschen Fintech Gastrofix, das Lightspeed 2020 für rund 100 Millionen Dollar gekauft hat?
Gründung ohne Investoren
Lightspeed wurde schon 2005 und damit rund sieben Jahre vor Sumup gegründet. Dazu war Lightspeed zu Beginn gar kein Fintech. Der Gründer Dax Dasilva hatte seit seinem 13. Lebensjahr Software für Macs programmiert und 2005 ein Point-of-Sale-System für kleinere Händler entwickelt. Damit konnten sie Bestellungen abwickeln und ihre Kunden- und Produktdaten managen. Das Kartenterminal und die eigene Payment-Lösung kam erst Jahre später dazu.
Ein weiterer Unterschied zu Sumup: Dax Dasilva kommt nicht aus der Startup-Szene und schaffte es in den ersten Jahren ohne externe Finanzierung. Trotzdem hat die Firma zwischen 2006 und 2011 ein Umsatzwachstum von rund 2.000 Prozent erreicht und 2011 den Titel als „schnellstwachsendste Firma in Quebec“ erhalten. Das rief den namhaften Risikokapitalgeber Accel auf den Plan. Der kalifornische VC steckte 2012 als erster Investor 30 Millionen Dollar in die Firma.
Danach folgten weitere Jahre mit starkem Wachstum, bevor die Firma 2019 vergleichsweise früh an die Börse ging. Damals setzte Lightspeed noch keine 100 Millionen Euro um, wurde aber trotzdem mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet.
Übernahme-Welle
Dass Lightspeed so früh den Börsengang wagte, könnte mit der Übernahmeserie zwischen 2020 und 2022 zusammenhängen. Nach dem deutschen Player Gastrofix hat Lightspeed 2021 rund 350 Millionen Dollar für den Konkurrenten Vend gezahlt, 425 Millionen Dollar sind im selben Jahr für die Übernahme von Nuorder geflossen und dann noch mal 500 Millionen Dollar für Ecwid.
Für Lightspeed war die Börsenlistung zu der Zeit extrem hilfreich, weil das Unternehmen darüber schnell Geld über Kapitalerhöhungen einsammeln und einen Teil der Transaktionen mit eigenen Aktien finanzieren konnte. Solche Konstrukte könnte man zwar auch abseits der Börse bauen – die Börsenlistung macht es aber deutlich einfacher.
Auch Aktionäre waren mit der Übernahmestrategie erst mal einverstanden. Im September 2021 erreichte der Börsenwert ein Hoch bei rund 18 Milliarden Dollar und machte Dax Dasilva mit seinem Anteil von rund 10 Prozent fast zum zweifachen Milliardär. Im Februar 2022 gab er seinen Posten als CEO auf.
Emmy Award & Crash an der Börse
Dasilva, dessen Eltern 1972 vor dem Militärdiktator Idi Amin aus Uganda nach Kanada geflohen waren, fokussierte sich danach vor allem auf Nachhaltigkeitsprojekte. In seine Umweltschutz-NGO Age of Union investierte er direkt zum Start 40 Millionen Dollar. Neben gemeinsamen Reisen mit der Forscherin Jane Goodall stieß er außerdem mehrere Dokumentationsprojekte im Umweltschutz-Bereich an. Seine Dokumentation Wildcat gewann 2022 sogar einen Emmy-Award.
Zeitgleich ging es bei Lightspeed aber immer weiter bergab. Die Strategie „Wachstum um jeden Preis“ wurde von Investoren abgestraft – genau wie bei vielen anderen Techunternehmen.
Für Lightspeed war das aber doppelt bitter, weil das Unternehmen zu Zeiten der hohen Bewertungen sehr große und teure Übernahmen gemacht hatte. Den Wert (Goodwill) dieser Beteiligungen musste es im Geschäftsjahr 2022, das bei Lightspeed im März 2022 endet, um 749 Millionen Dollar abschreiben.
Wie stark Gastrofix davon betroffen war, ist allerdings unklar. Lightspeed hat in den vergangenen Jahren alle übernommenen Firmen in die eigene Organisation integriert. Gastrofix gibt es als eigenständiges Unternehmen also nicht mehr, Informationen sind dementsprechend rar.
Das Fintech entschied aber 2024, sich zeitnah vor allem auf zwei Bereiche zu fokussieren: den Einzelhandel in Nordamerika und das Gastronomiegewerbe in Europa. Lightspeed sieht dort das meiste Potenzial, und Gastrofix war ein wichtiger Treiber des Restaurantgeschäfts in Europa.
Ansonsten erwähnte das Management Gastrofix im Zusammenhang mit Problemen in der Übernahmestrategie: Denn viele der Gastrofix-Kunden passten nicht zur eigenen Zielgruppe. Das erhöhte die Kündigungsrate, die dadurch höher wirkte, als sie in der Kernzielgruppe war.
Die hohe Komplexität durch die Übernahmen dürfte ein Grund für die relativ geringe Bewertung sein. Denn dadurch ist das Geschäft deutlich schwerer zu analysieren als etwa das von Sumup. Das hat auch Dasilva realisiert.
Rückkehr & Kostenfokus
Nachdem sich der Börsenwert von Lightspeed in den zwei Jahren nach seinem Abgang von 5 auf knapp 2,5 Milliarden Dollar halbiert hatte, kehrte Dasilva im Februar 2024 als CEO zurück.
In einem Interview kurz nach seiner Rückkehr sagte er dem Wall Street Journal, dass Übernahmen aktuell kein Thema seien. „Die große M&A-Strategie stammt aus einer früheren Wachstumsphase von Lightspeed und dem Unternehmen stehen viele andere Strategien zur Verfügung, die nicht auf Akquisitionen beruhen.“
Stattdessen richtete er den Fokus der Firma voll auf profitables Wachstum. Im April 2024 wurden 280 Beschäftigte entlassen und die Personalkosten damit um 10 Prozent reduziert. Im Dezember mussten noch mal 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen.
Die Sparmaßnahmen zeigten Wirkung: Zwischen März und September 2024 machte die Firma rund 24 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahreszeitraum, die Kosten stiegen aber nur um 3 Prozent. Dadurch verbesserte sich die EBIT-Marge von minus 25 Prozent auf minus 15 Prozent.
Trotzdem bewegte sich die Aktie seit Dasilvas Rückkehr kaum nach oben. Das könnte vor allem daran liegen, dass Investoren unsicher sind, wie lange Lightspeed das starke Wachstum der vergangenen Jahre noch aufrechterhalten kann.
Payment über alles
2023 (genauer gesagt im Geschäftsjahr, das im März 2024 endet) verzeichnete Lightspeed ein Umsatzwachstum von 24 Prozent. Allerdings wuchs das ursprüngliche Software-Kerngeschäft nur noch 8 Prozent, das Payment-Geschäft dagegen 37 Prozent.
Und das ist keine Ausnahme. 2020 wurden gerade einmal 10 Prozent der Transaktionen, die mit der Software von Lightspeed durchgeführt wurden, auch über das eigene Payment-Produkt abgewickelt. 2022 lag der Anteil bei 19 Prozent. Zwischen Juli und September 2024 waren es schon 37 Prozent.
Das ist einerseits gut, weil Lightspeed so mehr Geld mit bestehenden Kunden verdienen kann. Andererseits verkauft Lightspeed seine Lösung immer als Paket. Dass der Software-Umsatz weniger als 10 Prozent wächst, der Payment-Umsatz aber mit über 30 Prozent steigt, deutet vor allem auf eins hin: Die Firma gewinnt nicht viele neue Kunden und das Wachstum kommt größtenteils von Bestandskunden.
Das ist langfristig ein Problem. Zumal Lightspeed noch Verluste macht, obwohl der Verkauf der Payment-Lösung an Bestandskunden im Sales-Prozess günstiger sein sollte als der Verkauf an einen komplett neuen Kunden.
Eine Wette auf die Zukunft
Dasilva sieht das deutlich entspannter. Auf einer Konferenz von Morgan Stanley hat er als Zielwert 10 bis 15 Prozent Softwarewachstum ausgerufen. Gleichzeitig erklärte er das schwache Wachstum unter anderem damit, dass Account-Manager im Vertrieb vergangenes Jahr vollen Fokus auf das Upselling ins Payment-Produkt gelegt hätten. Seit Mitte 2024 sollen sie sich aber wieder auf den Software-Verkauf fokussieren. Und weil sie laut Dasilva rund die Hälfte der Software-Umsätze machen, könnte allein das einen großen Effekt haben.
Im November äußerte er sich deshalb optimistisch und glaubt, dass das Software-Wachstum in den kommenden Monaten wieder bei rund 10 Prozent liegen wird.
An der Börse wettet man aktuell darauf, dass er damit Recht behält und das Geschäft immer profitabler werden kann. Garantiert ist das allerdings nicht – insofern ist die Börse nicht ohne Grund weniger optimistischer als Harry Stebbings.
Die Bewertung von Lightspeed wirkt im Vergleich zur Konkurrenz trotzdem eher günstig. Zumal die Firma im Gegensatz zu Sumup so gut wie keine Schulden und rund 659 Millionen Dollar an Cashreserven hat. Wenn man das vom Börsenwert abzieht, kommt man auf eine Bewertung von 1,6 Milliarden Dollar. Wenn man dann annimmt, dass die Firma beim aktuellen Umsatz von rund einer Milliarde Dollar eine EBIT-Marge von 10 Prozent erreichen kann, würde die Bewertung weniger als dem 20-fachen des EBIT entsprechen.