Der Kartentrick – warum viele Startups plötzlich auf Kreditkarten setzen
Als nächsten großen Wachstumsschritt bieten erfolgreiche US-Startups wie Coinbase, Robinhood und Uber Kreditkarten als zusätzliches Produkt an. Die Erfolgsgeschichten von Banking-Fintechs wie Revolut und N26 haben sie inspiriert. Was soll das?
Seine Investoren hätten ihn kürzlich gefragt: „Wollt ihr nicht auch eine Karte anbieten?“. Das erzählt ein deutscher Fintech-Gründer. Bislang kümmert sich sein Startup um die digitale Geldanlage von Kunden – doch warum nicht das Geschäft erweitern und gleich ein Bankkonto mit schicker App und Kreditkarte anbieten? „Die sehen das krasse Wachstum von N26 und Revolut – und sagen jetzt: Das könnt ihr doch auch.“
Die Digitalfirmen geht es nicht mehr nur darum, ihre Kunden möglichst lange auf der eigenen Plattform zu halten. Sondern sie wollen endlich Geld verdienen. Und das, sagt Dirk Vater, funktioniere im Banking immer noch gut. Als Partner bei der Unternehmensberatung Bain kennt er die Branche seit Jahren. „Die Plattformökonomie gliedert sich im Grunde genommen in drei Schritte“, sagt er. „Erstens: Biete ein besonderes, wenn möglich einzigartiges Produkt an. Zweitens: Skaliere die Plattform so schnell wie möglich. Und drittens: Schalte nach und nach Produkte zu, um Kunden, die bis dato noch nicht profitabel waren, sukzessive profitabel zu bekommen.“
Paypal drängt mit seiner Tochter Venmo ins Banking
Und zu den Trendprodukten gehört seit einigen Monaten Kreditkarten mit schicker App. Die US-Firma Venmo ist dafür ein gutes Beispiel. Mit dem Dienst der Paypal-Tochter lässt sich Geld zwischen Nutzern hin- und herschicken. Ein Service, der hierzulande von dem Mutterunternehmen selbst beherrscht wird. Venmo zählt in den USA 52 Millionen Nutzer. Es ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen, die Nutzungskurve geht steil nach oben, doch bislang konnte Venmo damit noch keine Gewinne erzielen.
Noch in diesem Jahr soll nun eine Kreditkarten kommen, damit erweitertet sich das Geschäftsmodell des Fintechs deutlich. Die Venmo-Kreditkarte besitzt dann auch einen Verfügungsrahmen, falls das Geld mal knapp wird. „Wir wollen unseren Kunden mehr Möglichkeiten geben, Venmo auch in der echten Welt einsetzen können“, sagt Sprecherin Juliet Niczewicz.
Die Hoffnung des Unternehmens: Künftig überweist man mit Venmo nicht nur Geld an Freunde, sondern bezahlt auch im Laden damit. An den Kreditkartengebühren verdient das Unternehmen dann. Bei jedem Kauf werden zusätzlich Transaktionskosten fällig. Drei Prozent des Umsatzes reklamieren Kreditkartenfirmen in den USA so im Schnitt für sich. Bei 52 Millionen Venmo-Nutzern käme da schnell viel Geld zusammen.
Auch weitere Fintechs aus der ersten Liga sind mittlerweile auf den Zug aufgesprungen: das Anlage-Startup Acorns mit einer sogenannten Debit-Card und einem Bankkonto, der Trading-Anbieter Robinhood, das schwedische Payment-Unicorn Klarna und das britische Startup für Auslandsüberweisungen Transferwise. Die hohen Bewertungen und das schnelle Wachstum der neuen Banking-Startups wie N26 und Revolut haben diesen Trend sicherlich befeuert.
Uber bindet seine Fahrer
Selbst Startups, die in ganz anderen Branchen unterwegs sind, bieten mittlerweile eine Karte an. Eines der prominenten Beispiele ist der Fahrdienstleister Uber. Weil die täglichen Fahrten nicht reichen, um genug Profit für das Unternehmen abzuwerfen, sollen Kartengebühren Extra-Umsatz bringen. Das wiederum hätte auch Vorteile für die Fahrer. „Früher haben die Fahrer ihr Geld erst nach der Abrechnung bekommen, das kann Wochen dauern“, sagt Bain-Partner Dirk Vater. Mit dem Uber-Geschäftskonto laufe die Transaktion dagegen in Echtzeit ab. Das verdiente Geld stünde den Fahrern also direkt nach der Fahrt schon zur Verfügung. „Der Uber-Fahrer hat damit eine viel bessere Liquidität“.
Die erfolgreichsten Fahrer bekommen zeitgleich sogenannte Rewards von Uber, sprich Belohnungen – sechs Prozent Cashback zum Beispiel an vielen Tankstellen. So erhöht Uber die Bindung seiner Fahrer an die Plattform. Nicht wenige fahren nämlich für mehrere Fahrdienstleister gleichzeitig. Zeitgleich spart sich Uber dank der Geschäftskonten die Abwicklungsgebühren, die beim Einsatz fremder Kreditkarten fällig werden. Zwei Prozent sind das im Schnitt.
Große Tech-Konzerne sind ebenfalls seit Kurzem mit Finanzprodukten unterwegs. Zusammen mit der Investmentbank Goldman Sachs hat etwa der iPhone-Hersteller Apple vergangenen Sommer eine eigene Kreditkarte auf den Markt gebracht. Schon jetzt hat Apple den erfolgreichsten Kreditkarten-Launch aller Zeiten geschafft. Mehr als zehn Milliarden Dollar an Krediten haben sich die Nutzer seither geliehen.
„Tech-Firmen strecken ihre Tentakel aus“
Für Fintechs und Digitalfirmen sei es der „natürliche nächste Schritt“, um zu wachsen, sagt auch Tech-Analyst Dan Ives. Für das Investmentunternehmen Wedbush Securities beobachtet er aus Los Angeles den Markt und die vielen Versuche, in den Finanzbereich zu drängen. Er sehe er derzeit überall, „dass Firmen ihre Tentakel über die Kernkompetenz hinaus ausstrecken“.
Wie sehr sich dieser Wettlauf lohnt, sehe man in Asien. „China ist quasi eine Blaupause und damit Vorbild für viele Tech-Firmen“, sagt Ives. Dort sei es schon länger üblich, dass Big Tech im Finanz-Business mitspiele. Bestes Beispiel: Alibaba. Mit seinem Finanzarm Ant Financial hat der Handelsriese nicht nur das höchstbewertete Fintech der Welt erschaffen. Mit 600 Millionen Kunden und 150 Milliarden Dollar verwaltetet die Finanzsparte auch den drittgrößten Geldmarktfonds weltweit. Damit ist Ant Financial längst größer als Goldman Sachs, Amerikas sechstgrößte Bank.
Es ist die Hoffnung der amerikanischen Tech-Player, mit Konto-App und Kreditkarte zur Anlaufstelle für immer mehr finanzielle Fragen zu werden. Während die Nutzer in China viele Dinge – beispielsweise Essenslieferungen oder Finanzen – per Messenger wie Wechat oder Alipay organisieren, gibt es in den USA und Europa immer noch keine solche Super-App. Das Konto für tägliche Ausgaben ist ein Start, um das Verhalten seiner Nutzer zu verstehen. Noch aber ist der Weg zur Super-App für alle weit.
Mitarbeit: Caspar Tobias Schlenk