Kaum Wachstum, viele Kunden kündigen: Holvi im Sinkflug
Anfang des Jahres kaufte der Holvi-Gründer sein Startup zurück, jetzt krempelt er den Laden um. Die ersten Auswirkungen der Radikalkur: Seit September hat jeder sechste Kunde des kostenlosen Angebots sein Konto geschlossen – und es sind offenbar kaum neue dazu gekommen. Dafür habe das Startup den Break-even erreicht, sagt der Gründer. Wie geht es weiter?
Es war die Überzeugung, dass noch mehr drin sein müsste. Sie trieb Tuomas Toivonen an, ein Comeback zu wagen: Schon vor rund zehn Jahren hatte der Finne sein Business-Banking-Startup Holvi in Helsinki gegründet und später einen geldreichen Exit hingelegt. Besonders in Deutschland gelang Holvi der Durchbruch. Knapp die Hälfte der 200.000 Kunden sind etwa Freelancer aus Städten wie Berlin und Hamburg, die das Konto des Startups verwenden.
Im Februar kaufte er dann seine Firma von der spanischen Großbank BBVA zurück, die keine weiteren Millionen verbrennen wollte – und die Hoffnung verloren hatte. Toivonen begann direkt, das Fintech umzukrempeln. Zunächst stellte er das Marketing ein. Dann flog das kostenlose Kontomodell raus, mittlerweile zahlen alle noch verbliebenen Kunden einen monatlichen Beitrag.
Ohne Kostenlos-Konto kaum Neukunden
Der 1. September war ein schmerzhafter Stichtag für das Unternehmen, wie eine Download-Statistik zeigt. Seitdem alle Kunden zahlen müssen, hat Holvi massiv an Popularität eingebüßt. Bevor es zu Beginn des Jahres sein Marketing fast komplett heruntergefahren hatte, wurde die App jede Woche 1.000 bis 2.000 Mal heruntergeladen. Danach musste es sich mit 300 bis 500 Downloads zufriedengeben. Seit es kein kostenloses Konto mehr gibt, hat Holvi sogar mit der Dreistelligkeit zu kämpfen.
Nicht jeder Download verwandelt sich zu einem Kunden, die Statistik weist lediglich Trends auf. Doch sie verdeutlicht: In den vergangene Monaten wird Holvi, das zuletzt 200.000 Kunden zählte (90.000 Kunden davon in Deutschland), kaum gewachsen sein.
Schlimmer noch: „Seit der Preisumstellung haben rund 17 Prozent der Freemium-Nutzer ihr Konto bei uns geschlossen“, teilt Gründer Toivonen auf Anfrage von Finance Forward mit. Kunden, die jetzt bei Konkurrenten unterkommen. Der Gründer kann dem trotzdem etwas Positives abgewinnen. „Das Kundenwachstum hat sich dadurch etwas verlangsamt, ist aber stabil – außerdem verzeichnen wir steigende Erträge pro Kunden.“
Eine Maxime, nach der er seit dem ersten Tag seit dem Rückkauf arbeitet. Schon vor Monaten sagte er im Interview mit Finance Forward, die Burnrate habe sich für Juli im Vergleich zum Januar gefünftelt. Die Gesamtzahl der Kunden und das damit verbundene Wachstum sind nach der neuen Strategie zweitrangig. Oder wie Toivonen das nennt: „Insgesamt also weniger, dafür hochwertigere Kunden.“
Für das Ziel nimmt der Gründer sogar in Kauf, eine signifikante Zahl von ihnen zu verlieren. Stattdessen steht im Vordergrund, pro Kunde profitabel zu werden. Eine Erkenntnis, die auch an N26 in der jüngeren Vergangenheit erinnert. Es versucht, die Zahl der Produkte pro Kunde zu erhöhen, um endlich Gewinne einzufahren.
„Indie Holvi“ macht alles anders
Ein direkter Konkurrent von Holvi hat den Schritt bereits hinter sich – und offenbar mindestens gut überstanden: Das Finleap-Startup Penta hatte vor anderthalb Jahren sein kostenloses Angebot eingestellt, im Gegensatz zu Holvi allerdings nur für Neukunden. Der Plan ging offenbar auf: Wie Finance Forward und Finanz-Szene berichteten, kommt die Neobank inzwischen monatlich auf wiederkehrende Erträge in Höhe von rund 600.000 Euro. Auf zwölf Monate fortgeschrieben sind das immerhin 7,2 Millionen Euro. Als im Mai 2020 die Abschaffung des Kostenlos-Kontos für Neukunden verkündet wurde, stand Penta bei knapp 20.000 Kunden. Mitte April dieses Jahres verkündete der Business-Banking-Spezialist, die 30.000-Kunden-Marke geknackt zu haben.
Für Holvi ist das Ende der kostenlosen Kontomodelle ein erster Schritt in Richtung absatzstarker Kundengruppen. Es geht dabei nicht nur um den Umsatz, den eine monatliche Gebühr einbringt. Auch die Aktivität von zahlenden Kunden ist im Schnitt höher und sie sind empfänglicher für weitere Finanzprodukte, beispielsweise Hilfe bei der Steuererklärung.
Außerdem setzt Holvi damit auf eine Kundengruppe, deren Qualität in Sachen Kreditwürdigkeit stark ist, um später auch Kreditangebote einrichten zu können – ein lukratives, wenngleich riskantes Segment. Das Ausfallrisiko wird die Neobank dabei selbst tragen, das unterscheidet Holvi von seinen Konkurrenten, die Kredite an Partner weiterleiten.
Und die Strategie geht dem Gründer zufolge auf. „Im September und Oktober haben wir mit dem höheren Umsatz zudem den Break-even erreicht“, sagt er. Daran will er weiter anknöpfen: „Anfang nächsten Jahres rollen wir zudem eine echte Kreditkarte für Selbstständige und kleine Unternehmen aus und sehen schon heute, dass großes Interesse an diesem Produkt besteht.“
Eine Argumentation, mit der Toivonen auch Investoren überzeugen muss. Denn obwohl es älter als zehn Jahre ist, von denen es die Hälfte der Zeit zu einer Großbank gehörte, muss Holvi jetzt wieder Wagniskapital aufnehmen. Der Schnitt zwischen der ehemaligen Großbank-Zugehörigkeit und dem wiedererlangten Startup-Dasein soll ein harter sein. Damit das auch intern gelebt wird, hat der Gründer in seinem Unternehmen den Begriff „Indie Holvi“ etabliert. Es soll zeigen: Wir machen die Dinge wieder anders.