Dwinity-Gründer Christian Mangold. Bild: PR

Was hinter der absurden Bewertung des Fintechs Dwinity steckt

Exklusiv: Das Blockchain-Fintech Dwinity hat noch kein fertiges Produkt, doch schon in der ersten Finanzierungsrunde sollen Investoren zu einer Bewertung von 75 Millionen Dollar in die Firma aus München eingestiegen sein. Gründer Christian Mangold hält das für gerechtfertigt – schließlich könne seine Idee das Geschäftsmodell von Google und Facebook angreifen.

Auf den ersten Blick verspricht die Pressemitteilung des Startups Dwinity wenig Aufregendes – sie liest sich wie eine von vielen, die Fintechs so verschicken. Es gehe bei Dwinity um ein „dezentrales Web3-Daten-Ökosystem“, von mehreren „Serial-Entrepreneurs“ ist die Rede und einer ersten Finanzierungsrunde, die „bereits über eine Million US-Dollar“ eingebracht habe. Nichts also, was Tech-Journalisten auf Anhieb zum Telefon greifen lässt.

Doch ein Detail in dem Schreiben sticht heraus: die Unternehmensbewertung, sie liegt bei angeblich 75 Millionen Dollar. Die Summe ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Erstens nennen Startups die genauen Bewertungen, zu denen Geldgeber investiert haben, nur selten. Schon gar nicht im derzeitigen Marktumfeld, wo die Bewertungen aufgrund hoher Zinsen und strenger Profiterwartungen massiv gefallen sind. So mancher Gründer muss gar schmerzhafte Abschläge hinnehmen, um überhaupt noch an Geld zu kommen.

Zweitens – und das lässt die von Dwinity kommunizierten 75 Millionen Dollar besonders absurd erscheinen – ist das Fintech erst im Januar offiziell gestartet. Ein fertiges Produkt oder sprudelnde Umsätze? Gibt es noch nicht. Was also macht das blutjunge Finanz-Startup aus Gräfeling bei München vermeintlich schon so wertvoll?

Keine gewöhnliche Finanzierungsrunde

Anruf bei Christian Mangold. Er ist Mitgründer und Finanzchef bei Dwinity und ein in der Szene bekanntes Gesicht. Mangold hat unter anderem den Bezahlservice Sofortüberweisung mit aufgebaut und nach dessen Übernahme durch Klarna das Deutschlandgeschäft des schwedischen Fintechs verantwortet. Was also hat es mit der mutigen Bewertung seiner neuen Firma zu einem so frühen Zeitpunkt auf sich? Mangolds Antwort: Er relativiert die genannte Summe, es handle sich nicht um eine „klassische Finanzierungsrunde“, sagt er, „auch nicht um einen Wert, zu der man die Firma auf Anhieb verkaufen könnte“.

Hintergrund sei vielmehr ein sogenannter Token-Sale, den Dwinity derzeit abhalte. Tokens sind digitale Genussscheine, die über eine Blockchain gehandelt werden und Investoren neben einer künftigen Wertsteigerung auch spezielle Funktionen versprechen – die Nutzung eines Online-Services zum Beispiel oder den Zugang zu einem Netzwerk.

Solche Tokens – zunächst sind es 24 Millionen von insgesamt 600 Millionen – biete Dwinity Investoren aktuell für 0,125 US-Cent pro Stück zum Kauf an. „Hochgerechnet ergibt sich daraus ein Gesamtwert aller Tokens von 75 Millionen Dollar, was sozusagen den Wert der Firma widerspiegelt“, sagt Christian Mangold, der sich des leicht irreführenden PR-Tricks bewusst ist.

Dennoch hält der Gründer an den Ambitionen fest. Noch bis Mitte März wolle man alle sogenannten Dwin-Tokens der Erstemission vollständig veräußern – und so drei Millionen Dollar einsammeln. Den Verkauf wickelt das Fintech über die Token-Plattform Bitbond ab, die unter Aufsicht der Finanzaufsicht Bafin steht. Somit erfülle Dwinity auch die Anforderungen der neuen MiCAR-Verordnung der EU („Markets in Crypto-Assets Regulation“), wie Mangold betont. Sie verpflichte hiesige Krypto-Unternehmen zu mehr Transparenz und höheren Sicherheitsstandards. Das Vertrauen bei Anlegern scheint vorhanden: Mehr als die Hälfte der anvisierten drei Millionen Euro habe das Fintech bereits erhalten.

Das Geld hält Mangold für gut angelegt. Schließlich stoße Dwinity in einen Bereich der Blockchain-Welt vor, der von Fintechs bislang noch wenig beachtet wurde, finanziell aber „hochlukrativ“ sei. Vor allem, weil es die Geschäftsmodelle von Tech-Giganten wie Google oder Facebook „grundlegend infrage stellen“ könnte, wie es Mangold am Telefon ausdrückt.

„Wie ein Cloudspeicher auf dem Desktop“

Das Produkt des Fintechs dreht sich vereinfacht um den Handel mit Nutzerdaten – also mit Fotos, Word-Dateien und anderen persönlichen Dokumenten, die viele Menschen bislang noch meist in Cloudspeichern ablegen. Nicht ohne Risiko: Einerseits liegen die Daten somit zentral bei nur einem einzigen Anbieter. Die Gefahr eines Datenverlusts – etwa bei einem Hackerangriff –  ist also deutlich höher. Andererseits werden Nutzerdaten etwa von Google genutzt, um Unternehmen treffsicherere Werbeanzeigen zu verkaufen. Von den Einnahmen sehen Nutzer jedoch nichts.

Dies wolle Dwinity ändern, erklärt Mangold. Im ersten Schritt sollen Nutzer ihre Daten über die Dwinity-Plattform sicher und dezentral auf einer Blockchain speichern und verwalten können. „Vom Interface her wird das nicht viel anders aussehen als ein Cloudspeicher auf dem Desktop“, erklärt Mangold.

Der Unterschied: Die Daten liegen verteilt und somit vor Verlust geschützt auf den Rechnern anderer Dwinity-Mitglieder, die im Gegenzug mit Dwin-Tokens belohnt würden. Das Fintech plant für den Service eine monatliche Gebühr zu erheben. Später sollen Nutzer ihre Daten auch selbst gegen Gebühr an Unternehmen verkaufen können – ähnlich einem Online-Marktplatz wie Amazon. Mangold hat etwa Pharmaunternehmen im Blick, die so beispielsweise genauere Studien durchführen könnten.

Resonanz aus der Krypto-Community

Noch befindet sich das Projekt im Frühstadium. Mit einem ersten Produkt rechnet der Fintech-Kopf nicht vor Herbst dieses Jahres. Danach aber könnte es rasch vorangehen. „Zulauf erwarten wir uns vor allem aus der Krypto-Community“, so Mangold, „dort gibt es ein hohes Interesse an Datenschutz“. Das zeige sich auch an den über 150 Investoren, die bereits Token des Startups gezeichnet haben sollen – viele davon hätten eine verschlüsselte E-Mail-Adresse des Anbieters Proton Mail.

Bei einem Nischenprodukt soll es Christian Mangold zufolge aber nicht bleiben. Schon, weil es „viele Millionen Nutzer“ brauche, um Unternehmen überhaupt genug wertvolle Daten anbieten zu können. In Investorenunterlagen rechnet das Fintech mit rund 6,5 Millionen Nutzern innerhalb der ersten drei Jahre. Die Gebühren berücksichtigt, käme Dwinity aufs Jahr gerechnet auf einen Umsatz von rund 180 Millionen Dollar.

Ob das realistisch ist, wird sich zeigen. Der aktuell kommunizierten „Unternehmensbewertung“ würde es jedenfalls eher gerecht werden.