Die Coinbase-Story – im Kryptorausch zur 100-Milliarden-Bewertung
Mit seiner App hat das Startup Coinbase Bitcoin und Ethereum in den Massenmarkt gebracht. Es strebt nun mit Milliarden-Umsatz und schwarzen Zahlen an die Börse. Wie ist Gründer Brian Armstrong das gelungen?
Brian Armstrong erkannte früh den Reiz des Geschäftsmodells. „Wir verkaufen Hacken und Schaufeln in einem Goldrausch“, erklärte der Coinbase-Gründer vor einigen Jahren. Viele Startups bemühen den Vergleich seitdem, doch Armstrongs Kryptobörse ist wohl der König jener Werkzeugverkäufer. Allein im vergangenen Jahr hat die US-Firma mehr als eine Milliarde Dollar an dem Kryptorausch seiner Nutzer verdient.
Nach fast einem Jahrzehnt befindet sich Coinbase auf dem Weg an die Börse. Kurz vorher werden die heiß begehrten Anteile zu einem Unternehmenswert von 100 Milliarden Dollar gehandelt, fast so viel wie die Investmentbank Goldman Sachs – und etwa bei dem Hundertfachen des Umsatzes von Coinbase.
„Es war wie ein Tinderdate, bei dem es funkt“
Schon die Gründungslegende ist schrullig. Fred Ehrsam antwortet auf einen Reddit-Post von Armstrong. In dem kleinen, rustikalen Café The Creamery in San Francisco, wo sonst Wagniskapitalgeber ihre Milliarden-Deals verhandeln, trafen sich der Goldman-Sachs-Trader Ehrsam und der Programmierer Armstrong. „Es fühlte sich an wie eines dieser Tinderdates, bei dem es einfach funkt“, zitiert Journalist Jeff John Roberts Ehrsam in seinem Buch The Kings of Crypto.
Armstrong arbeitete damals bei der Mietplattform Airbnb in Buenos Aires, als ihm auffiel, wie unsicher die Gehaltstransaktionen seines Arbeitgebers nach Südamerika zum Teil waren, vor allem wegen der Wechselkursschwankungen. Zur gleichen Zeit las er das Bitcoin-Whitepaper von Satoshi Nakamoto.
Zusammen programmierten sie die ersten Ideen. Es interessierte sie, wie Menschen Bitcoin sicher kaufen und verwahren könnten, wie Armstrong dem Magazin Forbes erzählte. Die Idee fruchtete. Gleich zum Start bekamen die beiden 150.000 Dollar vom Startup-Programm Y Combinator – ein Ritterschlag im Silicon Valley. Aus dem Inkubator ist etwa das soziale Netzwerk Reddit oder Airbnb hervorgegangen.
Und so entwickelte sich das Fintech für viele zum Einfallstor in die Kryptowelt. „Coinbase ist der leichteste Weg, um in Bitcoin einzusteigen“, sagte Armstrong. Es braucht nur die App, um Währungen wie Bitcoin und Ethereum zu kaufen. Sie ist äußerst einfach zu bedienen, damit grenzt sie sich von großen Konkurrenten wie Binance oder Kraken ab – bis heute.
Das „Gmail für Bitcoin“
Coinbase blieb dabei stets ein Grenzgänger zwischen dem traditionellen Finanzsystem und der Krypto-Sphäre. Während sich viele Projekte per ICO Geld von Kleinanlegern holten, setzten die beiden Gründer auf professionelle Investoren: Mehr als eine halbe Milliarde Dollar hat die Firma über die Jahre aufgenommen, von den Top-Geldgebern des Valleys – die stets große Fans von Coinbase waren. „Es ist, als ob Google Gmail für Bitcoin entwickeln würde“, beschrieb Risikokapitalgeber Chris Dixon von Andreessen Horowitz die Tragweite. Die App war eine Art zentraler Einstieg in ein dezentrales Ökosystem.
Nicht nur bei der eigenen Finanzierung, sondern auch beim Handel seiner Kunden verband Coinbase die alte mit der neuen Welt. Ein Ansatz, mit dem sie sich gerade unter den Krypto-Hardlinern keine Freunde machten, die einen komplett libertären Ansatz verfolgen und VC-Finanzierungen ablehnen.
Zum großen Hype 2017 war die App bereits ausgereift, sie gewann in dem Jahr des großen Krypto-Aufstiegs besonders viele neue Nutzer. Auf ihr können Nutzer Währungen wie Bitcoin, Ethereum und Litecoin handeln, sowohl untereinander als auch gegen Dollar und Euro tauschen. Die Auswahl ist vergleichsweise klein, um die Bedienung einfach zu halten.
Nur wenige Digitalstars können solche Zahlen vorweisen
Über die Jahre hat Coinbase eine große Marktmacht entwickelt. Neue Währungen gewinnen bereits massiv an Wert, nur weil sie auf der populären Börse gelistet sind. Das zeigte der Fall von Bitcoin Cash im Dezember 2017, dessen Wert binnen weniger Stunden von 3.500 Dollar auf fast 9.000 Dollar sprang. Die Börse musste zwischenzeitlich den Handel aussetzen und ist sich spätestens seitdem seiner Marktstellung bewusst.
Diese Stellung schlägt sich auch in den Bilanzen der Börse nieder. 2019 setze Coinbase mehr als eine halbe Milliarde Dollar um, bei einem kleinen Verlust von 30 Millionen. Im vergangenen Jahr konnte Coinbase seinen Umsatz bereits auf mehr als eine Milliarde verdoppelt und kommt auf einen Netto-Gewinn von 322 Millionen Dollar, wie jetzt aus dem aktuellen S1-Filing hervorgeht. Nur wenigen Digital-Stars gelingt es, stark zu wachsen und gleichzeitig Gewinne einzufahren.
Ein Großteil davon entfällt auf das letzte Quartal 2020, in dem vor allem der Bitcoin-Wert massiv gestiegen ist. Vieles deutet darauf hin, als würden die Einnahmen auch 2021 weiter explodieren, denn die Preise und das Handelsvolumen des Bitcoin sind seit Jahresbeginn weiter in die Höhe gegangen.
Die Quelle für den großen Erfolg zeigt aber auch die Schwachstelle des Unternehmens auf, es ist an den Kursverlauf des Bitcoin gebunden. So nahm Coinbase im Hype-Jahr 2017 bereits eine Milliarde Dollar ein, augenscheinlich halbierte sich der Wert 2019 wieder. Weiter zeigt sich in den Zahlen, dass gerade mal 2,8 Millionen der 43 Millionen Kunden jeden Monat eine Transaktion tätigen, eine erstaunlich niedrige Zahl. Genau diese Kunden könnten auch zu Konkurrenten wie Binance oder neuen Playern abwandern – und Coinbase hätte das Nachsehen, 96 Prozent des Umsatzes erzielt es durch die Transaktionsgebühren.
Teamsuche in Deutschland
Um das Wachstum zu pushen, expandiert Armstrong stärker außerhalb der USA, wie die Firma in dem Prospekt betont. Bislang macht es drei Viertel seines Geschäfts auf dem Heimatmarkt. Auch Deutschland steht neuerdings im Fokus. Hierzulande besitzt das Fintech die Coinbase Germany GmbH mit Sitz in Frankfurt.
Im Herbst hat es mit dem ehemaligen Manager der Deutschen Börse, Sascha Rangoonwala, einen Deutschland-Chef eingestellt und bemüht sich nach Informationen von Finance Forward bei der Bafin um eine deutsche Lizenz. Außerdem hat Coinbase einen Fang bei der Konkurrenz gemacht. Seit November ist laut dem Karrierenetzwerk Linkedin der ehemalige Binance-Manager Jan-Oliver Sell als „Head of Operations“ an Bord. Nach weiteren Team-Mitgliedern soll Coinbase gerade suchen.
Unabhängig von Bemühungen in neuen Märkten ist die Coinbase-Bewertung auch eine Wette auf die Massenadaption von Bitcoin. Innerhalb eines Jahrzehnts, so sagt Armstrong voraus, wird die Zahl der Menschen, die die Blockchain-Wirtschaft nutzen, von 50 Millionen auf eine Milliarde explodieren. „Als ich Coinbase gegründet habe, dachten die meisten Leute, die Blockchain sei verrückt“, sagte er zu Forbes. „Jetzt investieren Regierungen und die alte Garde der Investoren in diese Technologie.“
Gutes Timing für einen Börsengang
Nur wenn dieser Wachstumsfall eintritt, lässt sich die aktuelle Bewertung rechtfertigen. Jeder Anleger, der monatlich eine Transaktion tätigt, ist aktuell mit 35.000 Dollar bewertet – wenn man die 100-Milliarden-Bewertung des außerbörslichen Handels kurz vor dem IPO zugrunde legt. Ein viel zu hoher Wert.
Doch das Timing für den übergroßen Börsengang könnte nicht besser sein: Die Krypto-Werte und die Aktienmärkte haben in den vergangenen Monaten einen einzigartigen Run erlebt – wieder zahlt sich Coinbase-Stellung zwischen den beiden Finanzwelten aus.
Gründer Brian Armstrong muss sich unterdessen auch vor dem Börsengang keine finanziellen Sorgen machen. Laut Börsenprospekt erhielt er im vergangenen Jahr Aktienoptionen und ein Gehalt im Wert von 60 Millionen Dollar. Sein Vermögen wird von Forbes auf 6,5 Milliarden geschätzt. Es ist wahrscheinlich genau wie seine Firma Coinbase auf Gedeih und Verderb an den Bitcoin-Kurs gekoppelt.