Pro-Ukraine Demonstration In London (Bild: IMAGO / NurPhoto).

Bitcoin im Ukraine-Krieg: Die zwei Gesichter der Kryptowelt

Millionen von Spenden fließen per Bitcoin und Ethereum in die Ukraine. Gleichzeitig wächst die Angst, dass Russland mit Kryptowährungen die Sanktionen umgehen könnte – die deutsche Politik ist alarmiert.

Es brauchte nur einen Tweet, genau 209 Zeichen lang, und vier Tage später waren rund 35 Millionen Dollar an Spenden in Kiew eingetroffen – alles in Form von Kryptowährungen. Der Regierungsaccount @ukraine hatte in seinem Aufruf am vergangenen Samstag einfach die Adresse einer Krypto-Wallet gepostet. Seitdem kann man in Echtzeit verfolgen, wie über die Blockchain Bitcoin, Ethereum und andere Digitalwährungen fließen, mutmaßlich von überall auf der Welt.

Vize-Premierminister Mychajlo Fedorow twitterte später, man akzeptiere sogar die populäre Spaßwährung Dogecoin. „Jetzt können sogar Memes unsere Armee unterstützen und Leben vor den russischen Invasoren retten“, schrieb er.

Erstmals spielen in einer kriegerischen Auseinandersetzung digitale Währungen eine wesentliche Rolle. Während die Kryptocommunity immer neue Projekte initiiert, um Spenden und Gelder in die Ukraine zu transferieren, gibt es derweil auch Sorgen. Sorgen, dass es über Kryptowährungen gelingen könnte, die Finanzsanktionen gegen Russland zu umgehen. Längst beschäftigt sich auch Deutschland mit dem Thema. Die Frage werde „derzeit auf politischer Ebene adressiert“, teilt eine Bundesbank-Sprecherin auf Anfrage von Finance Forward mit.

„Sicherer Hafen“ für Oligarchen?

Der „ersten Krypto-Krieg der Welt“ (Washington Post) liefert derweil denjenigen eine Antwort, die immer nach den Anwendungsfällen für Kryptowährungen gefragt haben. Eine Frage, die seit dem Start von Bitcoin und Co. regelmäßig gestellt wird. So können Ukrainer das Geld beispielsweise zu Familienangehörigen auf der Flucht schicken oder in das Kriegsgebiet, ohne dass sie dafür auf ein funktionierendes Banksystem angewiesen wären. In Belarus mussten Geflüchtete feststellen, dass ihre ukrainischen Kreditkarten teilweise nicht funktionierten, berichtete das Handelsblatt unter Berufung auf Twitter-Berichte. Krypto war der Ausweg. Und nicht zuletzt verfügt die Ukraine über eine große Tech-Szene: Viele der Entwickler, die auch für deutsche Startups arbeiten, sind offen für die Technologie. Genauso wie die Regierung.

Aber es gibt auch eine andere Seite: Bitcoin und Co. könnten auch Russland helfen, die Finanzsanktionen zu umgehen. Ein mögliches Beispiel: Oligarchen, die ihre Gelder in den Digitalwährungen parken. „Bitcoin könnte ein potenzieller sicherer Hafen für russische Oligarchen sein, um Sanktionen zu vermeiden, da das Bitcoin-Netzwerk und die Kryptowährungstransaktionen nicht zensiert werden“, sagte Ipek Ozkardeskaya, Senior Analystin bei der Swissquote Bank, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Dass Unternehmen auf Kryptowährungen umsteigen, gilt bislang als unwahrscheinlich.

Erste Zahlen zeigen bereits, dass die Nachfrage in Russland in den vergangenen Tagen stark gestiegen ist. Gerade durch den Wertverfall des russischen Rubels flüchteten viele Anleger in den Stablecoin Tether, der an den Dollar gekoppelt ist, oder setzten auf Bitcoin, wie erste Handelszahlen zeigen.

Fälle von Oligarchen, die ihr Geld verschieben, sind bislang nicht bekannt. Die größte Kryptobörse der Welt, Binance, hat nach öffentlichem Druck mitgeteilt, dass sie russische Kunden, die sich auf Sanktionslisten befinden, sperren wird. Alle russischen Kunden, wie vom Vize-Premierminister der Ukraine gefordert, wolle Binance dagegen nicht ausschließen.

Das tägliche Handelsvolumen von BTC/RUB an den von Kaiko beobachteten Börsen ist nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ungewöhnlich stark angestiegen (Quelle: Kaiko)

Wie sich an dem Fall zeigt, stehen die Kryptounternehmen vor einem Dilemma: Eigentlich stehen sie für einen unregulierten und dezentral organisierten Finanzmarkt, der nicht von Regierungen beeinflusst werden kann. Parallel bemühen sich gerade die großen Anbieter, stärker nach den Regeln der Finanzaufsichten zu spielen. Besonders Binance geriet in den vergangenen Monaten mehrfach in Konflikte mit unterschiedlichen Behörden, auch in Deutschland.

Die EU drängt darauf – auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs –, einen gesetzlichen Rahmen für Kryptowährungen einzuführen. Es wird zurzeit an den Regelungen der „Markets in Crypto-Assets“ (MiCA) gearbeitet, EZB-Präsidentin Christine Lagarde warnte bereits vor der Gefahr der Sanktionsumgehungen. Nach Informationen von Finance Forward analysieren die EU-Kommission und andere deutsche Behörden verschiedene Szenarien. Finanzminister Christian Lindner ließ am Mittwochabend über Twitter verbreiten: Wir „sollten zudem Maßnahmen ergreifen, um zu unterbinden, dass gelistete Personen & Institutionen auf unregulierte #Kryptowerte ausweichen können.“

Fraglich bleibt, wie sich das verhindern lässt. Auch eine europäische Gesetzgebung dürfte eine Kryptoflut in Russland beispielsweise nicht verhindern. Trotzdem ist die Gefahr real: In Nordkorea und im Iran wurden mithilfe von Digitalwährungen die Sanktionen teilweise bereits umgangen.