Wirecard – fast schon ein Übernahmekandidat
Wirecard hat einen schwarzen Börsentag hinter sich. Weil der KPMG-Prüfbericht die Vorwürfe zu Bilanztricksereien nicht ausräumt, entziehen die Investoren CEO Braun ihr Vertrauen. Und der Kursrutsch der Aktie könnte die Konkurrenz neugierig machen.
Der Optimismus unter Investoren war enorm. In zwei Ad-Hoc-Meldungen der vergangenen Wochen hatte der Zahlungsdienstleister Wirecard betont, dass die Wirtschaftsprüfer von KPMG bei der Untersuchung der Vorwürfe über Bilanztricksereien nichts gefunden hätten. Zumindest nichts, was „zu einem Korrekturbedarf der Jahresabschlüsse für die Untersuchungszeiträume 2016, 2017 und 2018 führen würde.“ Irgendwie stimmt das auch. KPMG hat nichts gefunden.
Aber die Prüfer, könnte man böse anmerken, konnten auch nichts finden. Wirecard habe angeforderte Dokumente „nicht beziehungsweise erst nach Monaten“ geliefert und Interviewtermine mit internen Ansprechpartnern mehrfach verschoben. Der Zugang zu untersuchungsrelevanten IT-Systemen sei den Prüfern verwehrt geblieben. Da Wirecard die Dokumente größtenteils als elektronische Kopien vorgelegt habe, habe KPMG sie auch nicht auf ihre Echtheit prüfen können. So lassen sich die Wirtschaftsprüfer über ihre Arbeit zwischen Oktober 2019 und April 2020 aus.
Am schwersten wiegt, dass die Prüfer 13 Prozent der Umsätze, die zwischen 2016 und 2018 mit drei Geschäftspartnern, die Kunden für Wirecard akquirieren sollten, nicht nachvollziehen konnten. Genau diese Geschäftspartner stehen jedoch nach einem Bericht der britischen Tageszeitung „Financial Times“ vom vergangenen Herbst im Verdacht, Kunden erfunden zu haben. Einer der drei Partner soll allein 2016 die Hälfte zum operativen Gewinn des Unternehmens aus Aschheim bei München beigesteuert haben.
„Wir sehen Wirecard als Übernahmekandidaten“
Vertragsteile fehlten, Volumina und Daten der Geschäftspartner, die Kreditkartentransaktionen für Wirecard abwickeln, wurden vom Dax-Unternehmen unprotokolliert unter vier Augen geprüft – und blieben so für die KPMG-Mitarbeiter unkontrollierbar. „Insoweit liegt ein Untersuchungshemmnis vor“, lautet das harte Fazit der Prüfer.
Für den Optimismus der Investoren ein harter Schlag. Sie schickten die Aktie nach Veröffentlichung des Berichts am Dienstagvormittag Richtung Süden, der Kurs brach um knapp ein Viertel ein. Harald Schnitzer, Analyst der DZ Bank, hat die Aktie bereits von „Kaufen“ auf „Halten“ herabgestuft. Die Aktie wird nun mit einem enormen Abschlag zum fairen Wert gehandelt. Das könnte die Konkurrenz anlocken – trotz erheblich Zweifel und des möglichen Skandals: Wirecard ist wachstumsstark und technologisch gut positioniert. Und die Branche der Bezahldienstleister war vor der Corona-Krise in Übernahmelaune. Fidelity National Information übernahm etwa den Konkurrenten Worldpay für 43 Mrd. US-Dollar, Global Payments gab für Total Systems Services 21,5 Mrd. Dollar aus. „Wir sehen Wirecard als Übernahmekandidaten“, heißt es aus der DZ Bank.
Braun ohne Vertrauen
„Es ist ein schwarzer Tag für die Wirecard-Aktie“, bekräftigte auch ein Großaktionär. Die Vorwürfe hätten nicht wie gehofft entkräftet werden können. Das Vertrauen in das Management von Vorstandschef Markus Braun stehe nun auf dem Prüfstand. Er müsse in den nächsten zwei Wochen seine Glaubwürdigkeit belegen. Dass ausgerechnet ein Technologiekonzern keine Transaktionsdaten vorlegen könne, habe einen fahlen Beigeschmack. „Der materielle Schaden, der theoretisch anfallen könnte ist nicht groß und nicht entscheidend“, sagte ein weiterer Aktionär. Aber solch ein Skandal müsse Konsequenzen haben, personeller und struktureller Natur.
In der spontan anberaumten Analystenkonferenz – die Einladungen dazu gingen zwölf Minuten vor Beginn raus – kündigte Braun jedoch nichts an. „Es wäre wünschenswert gewesen, wenn neben dem Vorstandschef auch der neue Aufsichtsratschef teilgenommen hätte“, sagte ein Investor. Thomas Eichelmann, der am 10. Januar das Zepter des Kontrollgremiums in die Hand genommen hatte, hatte kurz nach seinem Amtsantritt Umbaumaßnahmen angekündigt. Doch Braun enttäuschte die Anleger abermals, indem er die für 30. April geplante Veröffentlichung des Geschäftsberichts abermals verschob. Die Begründung dazu klingt in Anbetracht des KPMG-Berichts absurd: Der Wirecard-Chef und Großaktionär Braun machte die Corona-Krise verantwortlich, weil sie die Datenbeschaffung aus manchen Ländern erschwere. Anleger erwarten einen Nachschlag.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Capital.de