Die Kundgebung fand vor dem Hauptquartier von Trade Republic in Berlin statt. © Marieke Einbrodt

Der bizarre 50-Minuten-Protest von Trade Republic

Der Onlinebroker Trade Republic rief am Dienstagabend zur Demonstration gegen die Rentenlücke auf. Im Vordergrund standen aber wohl andere Interessen – die des Fintechs.

Demonstriert wird im Moment viel. Die Bauern sind wütend, die Lokführer auch – und nun auch noch die Finanzszene? Am Dienstag um kurz nach halb sechs erleuchten zwei Scheinwerfer eine Ecke des Volksparkes am Weinberg in Berlin-Mitte und tauchen hunderte Mützen in grelles Licht. In den vorderen Reihen vor der Bühne halten Einige selbstgebastelte Plakate hoch. Auf einem reimt sich „lahme Ente“ auf „Rente“, auf einem anderen steht „Girls just wanna have funds“. Das hier ist eine Demo zur finanziellen Freiheit.

Auf der Bühne sprechen zwei Endzwanziger, sie arbeiten beim Neobroker Trade Republic, der zu dieser Demonstration, die wohl viel mehr Geburtstagsparty ist, eingeladen hat.

Gefeiert werden soll die finanzielle Freiheit, die Trade Republic ihren Kunden mit der App zu erreichen verspricht. Seit fünf Jahren kämpfe das Kreditinstitut dafür, „die Rentenlücke zu schließen und finanzielle Freiheit für alle zu ermöglichen“. So steht es in der erst am Mittag per Mail und Push-Benachrichtigung versendeten Einladung.

Schlechte Chancen auf auskömmliche Rente

Und so geht es nicht nur auf den Plakaten um die Rente, sondern auch bei der Rede: Gerade für junge Menschen ständen die Chancen auf eine auskömmliche Rente schlecht. Die viel diskutierte Aktienrente lässt auf sich warten. Bei Alternativen und eigenverantwortlichen Lösungen der Rentenlücke sei Deutschland voll hinterher, stellt ein Redner fest. Positivbeispiele seien dagegen Schweden, Frankreich oder die USA, die Sparerinnen und Sparern mit verschiedenen Anreizen zum Investieren motivieren würden.

Wenn auf den Staat kein Verlass ist, muss halt ein Berliner Fintech einspringen. So sehen es die „Demonstranten“.  Über die App von Trade Republic könnten Kundinnen und Kunden ihre Finanzen selbst in die Hand nehmen und Erspartes in Aktien, ETFs, Kryptowerte und Derivate investieren. Wer Geld clever anlege und für sich arbeiten lasse, könne damit seine Rentenlücke schließen. Dafür will das Unternehmen bei dieser Demonstration werben.

Dann kommen die Moderatoren zum zweiten Grund dieser Veranstaltung: Trade Republic launcht am selben Tag seine neue Bezahlkarte. Die Debit-Karte von Visa ermöglicht Investments, während man mit ihr bezahlt. Ein Prozent der Ausgaben fließt als Cashback zurück in einen Aktien- oder ETF-Sparplan, den Nutzerinnen und Nutzer zuvor festlegen können. Die Karte gibt es in drei verschiedenen Varianten: die rein virtuelle wird kostenlos angeboten, eine normale Karte kostet fünf Euro. Die dritte wählbare Option ist eine verspiegelte „Mirror Card“, die kostet eigentlich 50 Euro. Die „Demonstranten“ können sich über einen QR-Code auf eine Warteliste setzen lassen, die ersten 2.000 Personen auf der Liste erhalten die Karte kostenlos.

„Lauter!“

„Lauter“, brüllt einer aus der Zuschauermenge dazwischen, „die Technik ist schrecklich!“ Also nochmal: Wer den Code scanne, erhalte eine kostenlose Mirror Card, ruft der Redner seine Botschaft erneut ins Mikrofon und verkündet eine kurze Pause: „Holt euch Tee und Sweater ab!“ Am Rande des Events verteilen Mitarbeitende des Fintechs limitierte Fan-Pullover – endlich, nach Merch hätten Kundinnen und Kunden vielfach gefragt. Das kommt einem jungen Mann gelegen. Seinem Kumpel sagt er, er habe sich Trade Republic nur wegen einer Prämie geholt, zur Depoteröffnung gab es eine Gratisaktie. Jetzt noch den kostenlosen Pullover abgreifen, los geht’s!

Bis zu den Reden der angekündigten Finfluencer vergehen einige Minuten, in denen Helfer einen leistungsstärkeren Lautsprecher aufbauen. Dann tritt Ibo ans Mikrofon, der als Professor Finanzen allein auf Tiktok 1,6 Millionen Follower mit Finanztipps versorgt und seine Kurse für Vermögensbildung bewirbt. In seiner ProFinanz-Akademie vermittelt er Finanzwissen für 997 Euro. Finanzielle Bildung ist auch das Thema seines Vortrags. Eltern und Schule würden Finanzthemen nicht ausreichend erklären. Dabei sollten sich alle trauen, an der Börse zu investieren. Das sei als Altersvorsorge schließlich besser als die Rente. Und so einfach: „Man muss doch nur eine App herunterladen!“ Vielleicht die von Trade Republic?

Zwischen den Redebeiträgen ist es erstaunlich ruhig. Keiner trötet in die um den Hals baumelnde Trillerpfeife oder ruft Demoparolen. Die zahmen Demonstrierenden klammern sich mittlerweile lieber an Pappbecher mit Tee, der an einem langen Bierzelttisch ausgeschenkt wird. Eine Marketing-Mitarbeiterin von Trade Republic ist „wirklich zufrieden“ mit der Teilnehmerzahl. Gut 1000 Menschen bringen an diesem eisigen Abend die Forderung „Rentenlücke schließen“ mit Trade Republic auf die Straße und in den Park. Das könne das Fintech abschätzen, weil es messe, wie viele die QR-Codes für die kostenlose Bezahlkarte bereits gescannt hätten. Obwohl man erst so kurzfristig mobilisieren konnte, seien damit echt viele gekommen – vor allem bei der Kälte. Minus fünf Grad zeigt das Thermometer in diesem Moment.

Nach 50 Minuten ist das Spektakel vorbei

Die Kälte macht auch Diana zur Löwen zu schaffen, die als nächste ihren Vortrag hält. 1,2 Millionen Follower hat die Unternehmerin und Gastjurorin der Sendung „Höhle der Löwen“ auf Instagram. Dort mischt sie Lifestyle-Posts mit Finanz- und Investmentinfos. Die Zuhörenden jubeln, als sie fragt, wie viele denn schon die Trade Republic App haben und darüber investieren.

Die in Wintermäntel gehüllten Besucher unterhalten sich, überwiegend auf Englisch. Einer erzählt, er interessiere sich für die neue Bezahlkarte. Zwei andere gehören selbst zur Berliner Blase aus Fintechs und Start-Ups und wollen schauen, was die Konkurrenz so auf die Beine gestellt hat. Natürlich sind auch zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Trade Republic zugegen. Das Event findet vor der Zentrale des Neobrokers statt.

Nach rund 50 Minuten ist das auf anderthalb Stunden angesetzt Spektakel vorbei. Schnell leert sich der Hügel des Weinbergparks. Und was bleibt vom Aufbegehren gegen die Rentenlücke? Ein Plakat gibt durchgefrorenen Demonstrierenden einen heißen Tipp mit auf den Heimweg: „Invest or go home!“