Matthias Hach kam von Comdirect zum Smartbroker (Bild: PR)

Smartbroker rechnet sich vom Trade-Republic-Konkurrenten zur Frittenbude

Smartbroker hat in den vergangenen Jahren ein starkes Wachstum verzeichnet. Ein brisantes Dokument erzählt indes eine andere Geschichte. Was ist da los?

Als die Comdirect vergangenes Jahr in der Commerzbank aufging, da entschieden sich ihre (Ex-)Vorstände mehrheitlich für eher konservative Karriereoptionen. Arno Walter kuschelte sich als Bereichsvorstand in den Schoß der Mutter. Dietmar von Blücher wurde Finanzchef der Baader Bank. Und Frauke Hegemann wechselte ins Management der Signal Iduna.

Die Ausnahme? Bildete Matthias Hach, der einstige Marketingchef. Den verschlug es zum allgemeinen Erstaunen zur „Wallstreet Online AG“, einem nur leidlich bekannten Betreiber von Finanzportalen, der sich nun durch den Aufbau eines eigenen Neobrokers („Smartbroker“) in Konkurrenz zu Banken und Fintechs begeben wollte.

Konnte das wirklich gutgehen?

Kurz gesagt: Rückblickend sieht es so aus, als hätte Hach damals dem richtigen Karriereweg eingeschlagen. Unter Führung des früheren Comdirect-Vorstands hat die „Wallstreet Online AG“ im vergangenen Jahr die Zahl ihrer Depots auf 246.000 und das Kundenvermögen auf 8,8 Milliarden Euro jeweils spektakulär verdoppelt. Der größte Teil entfiel hierbei auf den Smartbroker, der sich damit als zweitgrößter hiesiger Neobroker hinter Trade Republic etablierte. Eine veritable Erfolgsgeschichte, die trotz des abflauenden Wertpapier-Booms noch weitergehen soll. So stellte Hach bei der jüngsten Hauptversammlung eine mittelfristige Steigerung der Depotzahl auf 600.000 sowie eine Verdreifachung des Umsatzes in Aussicht.

Glänzende Perspektiven also – gäbe es nicht ein Dokument, das mit ganz anderen Zahlen aufwartet, wie Recherchen von Finanz-Szene und Finance Forward zeigen.

Wurden die Ziele „deutlich übertroffen“ oder „nicht erreicht“?

Das delikate Schriftstück stammt aus dem vergangenen Dezember, war Ende vergangenen Jahres kurzzeitig auf der Internetseite des Unternehmens einsehbar und trägt den Namen „WOC Prüfbericht“. Wozu man wiederum Folgendes wissen muss:

– Das Kürzel „WOC“ steht für „Wallstreet Online Capital AG“

– Diese „Wallstreet Online Capital AG“ ist eine Tochtergesellschaft der schon erwähnten Wallstreet Online AG

– Vor allem aber ist die WOC die Betreiberin des Smartbrokers und weiterer Portfolien – und steht damit für einen beträchtlichen Teil des Umsatzes der Gesamtgruppe

Und was man ebenfalls wissen muss: Die Wallstreet Online Capital AG war bis 2014 an der Börse notiert und schleppte seit jener Zeit eine Reihe von Kleinaktionären mit sich herum. Diese hielten bis Dezember letzten Jahres noch 3,5 Prozent der Aktien – wurden dann allerdings per „Squeeze-Out“ herausgedrängt.

Hintergrund: Um ein „Squeeze-Out“ zu vollziehen, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein …

1. Der Mehrheitsgesellschafter ( also die Wallstreet Online AG) benötigt mindestens 95 Prozent der Aktien – was hier des Fall war.

2. Die Gesellschaft selber (also die Wallstreet Online Capital AG) muss einen „fairen“ Unternehmenswert ermitteln und sich diesen von einem Bewertungsgutachten bestätigen lässt.

Bei dem von Finanz-Szene und Finance Forward aufgetanen Dokument, also bei dem „WOC Prüfbericht“, handelt es sich nun um genau dieses Gutachten. Und was bei der Lektüre verwundert: Während die Wallstreet Online AG und ihr CEO die Perspektiven des eigenen Unternehmens öffentlich stets in hellsten Farben zeichnen, ist der Zungenschlag des Gutachtens ein gänzlich anderer:

Ein paar Gegenüberstellungen:

– Während sich die Wallstreet Online AG bei der Vorstellung ihrer vorläufigen 2021er-Ergebnisse kürzlich brüstete, „die Umsatzziele deutlich übertroffen“ zu haben, merkt das Gutachten zur Wallstreet Online Capital AG in Bezug auf das identische Geschäftsjahr an, „die geplanten Erlöse“ würden „nach Angaben des Vorstands nicht erreicht, weil insbesondere die Handelsaktivitäten der Kunden (Zahl der Transaktionen) zurückgegangen sind“.

– Während „Wallstreet Online”-Chef Hach bei der jüngsten Hauptversammlung (trotz Ukraine-Krieg und drohender Rezession) für 2026 eine Verdreifachung des konzernweiten Umsatzes auf eine Größe „zwischen circa 140 und 180 Millionen Euro“ in Aussicht stellte, prognostiziert der „WOC Prüfbericht” (der zu einer Zeit erstellt wurde, als die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen noch viel bessere waren, nämlich Ende 2021) für die wichtigste Tochter und das identische Jahr gerade mal auf Provisions- und sonstige Erträge in Höhe von 68,4 Millionen Euro – bei ab 2024 nur mehr stagnierenden Umsätzen.

– Während Hach bei besagter Hauptversammlung auf das „skalierbare Geschäftsmodell“ verwies, diagnostiziert das Bewertungsgutachten einen „erhebliche(n) Preisdruck, der sich durch den Markteintritt international erfolgreicher Broker, die bisher nicht in Deutschland aktiv sind, weiter verschärfen könnte — bis hin zur Senkung der Ordergebühren auf Null […] Sobald der Markt verteilt ist, wird sich das Wachstum verlangsamen, so dass nur noch niedrige einstellige Wachstumsraten zu erwarten sein dürften“.

– Während sich die Wallstreet Online AG im Dezember „als gemessen an AuM-Höhe bereits jetzt größte[r] Neobroker-Betreiber in Deutschland“ feierte und Hach bei der HV Ende Juni betonte, der Smartbroker werde „in absehbarer Zeit der größte Umsatz- und Ertragsbringer für das Unternehmen sein“, warnt das Gutachten insbesondere davor, das Risiko durch das sogenannte „Peer Group Beta“ zu unterschätzen: „Im Hinblick auf die Neuausrichtung des Geschäftsmodells auf das Produkt Smartbroker als Neobroker ist quasi von einer Startup-Situation auszugehen, wogegen die Vergleichsunternehmen über etablierte Geschäftsmodelle verfügen.“

Der Firmenwert? Och, irgendwo zwischen 30 und 300 Millionen Euro

Zusammengefasst: Für 2025 rechnet das Gutachten – erstellt von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer namens Volker Hülsmeier – mit einem Vorsteuergewinn von 5.000 Euro (was eher nach Frittenbude als nach Trade-Republic-Rivale klingt) und ein Jahr später von 509.000 Euro. Erst 2030, so Hülsmeier, werde das Unternehmen mit prognostizierten acht Millionen Euro Ergebnis überhaupt mal signifikant Geld verdienen.

Folge: Während die Wallstreet Online AG an der Börse momentan mit 263 Millionen Euro bewertet wird (vergangenen Sommer waren es sogar 460 Millionen Euro), ermittelte das Wertgutachten für die Wallstreet Online Capital AG (also für die wichtigste Tochter inklusive des Smartbrokers) eine Taxierung von gerade mal 32 Millionen Euro. Und zwar per Januar 2022. Also vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine.

Finanz-Szene bat die Wallstreet Online AG – die sich gerade in „Smartbroker Holding“ umbenennt – um eine Stellungnahme. Diese fiel wie folgt aus:

– „Die Bewertung wurde zu einem ganz bestimmten Stichtag erstellt“

– „Die Bewertung unterstellt den Stand-Alone-Wert der Wallstreet Online Capital zu diesem Stichtag. Effekte, die sich durch den Squeeze Out ergeben, sind hier nicht eingepreist; dies ist ein ganz wesentlicher Unterschied zur aktuellen Situation der wallstreet:online AG. Alle Aussagen, die wir jetzt kommunizieren, basieren auf der Tatsache, dass die wallstreet:online AG nun 100 Prozent der Anteile der Wallstreet Online Capital hält, und das verändert die Einschätzung natürlich wesentlich.“

– Und: „Auch wenn die Wallstreet Online Capital zum Stichtag eine Mehrheitsbeteiligung der wallstreet:online AG war, ist davon auszugehen, dass der Bewertungsfokus im Squeeze Out ein ganz anderer ist als der, [über den Finanz-Szene berichtet]“

Fairerweise: Die Wallstreet Online AG (die demnächst „Smartbroker Holding AG“ heißen wird) wäre nicht das erste Unternehmen, das sich im Zuge eines „Squeeze-Out“-Verfahrens zum Wohle des Mehrheitsgesellschafters armgerechnet hätte. Im Falle der Postbank war es (wenn auch in anderen Dimensionen) von der Tendenz her ähnlich. Und im Falle der Comdirect (Herr Hach wird sich erinnern) übrigens genauso.

Indes: Was, wenn sich die neue „Smartbroker AG“ gar nicht armgerechnet hat? Was, wenn die Perspektiven des zweitgrößten hiesigen Neobrokers wirklich so düster sind, wie in dem Gutachten geschildert? Nicht, dass aus der ganzen Nummer noch ein Menetekel wird …