230 Mitarbeiter beschäftigt das Fintech aktuell. (Bild: IMAGO/argum).

Scalable steigt zum Unicorn auf: Wie steht das Startup im Vergleich zu Trade Republic da?

Der chinesische Techkonzern Tencent investiert in das Anlage-Startup Scalable Capital, der Marktführer unter den Robo-Advisorn war vor einigen Monaten erfolgreich in den Neobroker-Markt eingestiegen. Wie geht es nach der 180-Millionen-Runde weiter?

Nun ist es offiziell: Scalable Capital steigt zum Unicorn auf – mit einer Bewertung von 1,4 Milliarden Dollar. Deutsche Startups hatte zuerst über die anstehende Finanzierung berichtet. Noch vor wenigen Wochen hätte man von einer Hammer-Meldung gesprochen. Die jüngsten Fundings von Trade Republic (zu einer Bewertung von 5,3 Milliarden Dollar) und Wefox (zu einer Bewertung von 3 Milliarden Dollar) allerdings haben die Perspektiven ein wenig verschoben. 1,4 Milliarden Dollar? Muten urplötzlich, auch wenn das natürlich Quatsch ist, fast ein wenig bescheiden an.

Es stellen sich Fragen: Wie ist der neue deutsche Fintech-Boom generell zu erklären? Warum sind es ausgerechnet Trade Republic, Wefox und Scalable, die unvermittelt in eine neue Dimension vorstoßen? Und, ja, auch diese Frage muss gestellt werden: Warum schätzen die Investoren Scalable so viel niedriger ein als Trade Republic?

Die Analyse:

1. Wie sieht der Deal konkret aus?

Scalable Capital erhält 180 Millionen Dollar, wird auf dieser Basis jetzt mit 1,4 Milliarden Dollar bewertet. Rund die Hälfte des frischen Fundings kommt vom chinesischen Techkonzern Tencent, abgesehen davon haben auch Bestandsinvestoren mitgezogen. Rund ein Drittel der Scalable-Anteile liegt nun bei Blackrock, ein weiteres Drittel bei Gründern und Mitarbeitern, das letztes Drittel entfällt auf die sonstigen Investoren, von denen Tencent mit 6,5 Prozent nun einer der größeren ist.

2. Was hat Scalable mit dem Geld vor?

Expandieren. Und zwar schnell. Um nicht zu sagen: um jeden Preis.

Dazu muss man sich in Erinnerung rufen: Gestartet ist Scalable Capital ja eigentlich als Robo-Advisor, mit gut 3 Milliarden Euro verwalteten Kundengeldern sogar der klar größte hierzulande. Trotz dieser starken relativen Marktposition ist das Asset-Wachstum zuletzt aber hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Das lag zum einen an der dürftigen Performance, zum anderen aber auch an der schleppenden Entwicklung des Robo-Markts insgesamt.

Die Musik spielt anderswo. Im ETF-Geschäft. Im Brokerage. Im Kryptohandel. Gerade noch rechtzeitig hat Scalable Capital vor ziemlich genau einem Jahr den Teil-Pivot gewagt und dem Robo-Geschäft einen eigenen Neobroker an die Seite gestellt. Stand heute darf die Operation als geglückt eingestuft werden. Denn obwohl der „Scalable Broker“ erst seit zwölf Monaten am Markt ist, sind unter den knapp 300.000 Scalable-Kunden schon jetzt mehr Broker- als Robo-Kunden. Bei den Assets under Management liegt das Verhältnis zwar noch bei 2:1 zugunsten des Robos, aber auch diese Relation könnte sich bald verkehren.

Die Krux allerdings ist: Der „Scalable Broker“ wächst zwar schneller als der eigene Robo, aber langsamer als der Neobroker-Marktführer Trade Republic. Die Investoren fordern daher nun: Scalable muss, erstens, das Marketing hochfahren. Und, zweitens: Scalable muss tun, was auch Trade Republic vorhat, nämlich die internationale Expansion wagen.

Noch in diesem Jahr wollen die Münchner per „Passporting“ in Italien, Spanien und Frankreich an den Start gehen, bezeichnenderweise zunächst nur mit dem Broker-Produkt, der Robo kann warten. Aufgrund des Trading-Hypes erreicht man mit demselben Budget im Broker-Umfeld momentan angeblich eine bis zu zehnmal größere Werbereichweite als im Robo-Umfeld, heißt es von einem Marktkenner. Drittens schließlich: Scalable will die Produktpalette ausweiten, ein echtes Krypto-Angebot an den Markt bringen, den Kunden zudem Derivatehandel anbieten.

Die neue Vision lautet: „die führende Retail-Investmentplattform in Europa zu werden“.

3. Wo steht Scalable Capital gemessen an den vier anderen deutschen Fintech-Unicorns?

 

4. Wie sind die jüngsten Mega-Fundings von Trade Republic, Wefox und Scalable Capital generell zu erklären?

Natürlich mit der allgemeinen Fintech-Euphorie. Wobei das als Erklärung nicht ausreicht. Denn genügend Finanz-Startups hierzulande wagen von einer Bewertung im zehnstelligen Bereich ja nicht einmal zu träumen. Was also haben Trade Republic, Wefox und Scalable Capital (bei allen Unterschieden) gemeinsam?

– Einen starken oder gar ausschließlichen Endkunden-Fokus. Sprich: Die internationalen Geldgeber investieren dezidiert in Endkundenwachstum

– Ein Geschäftsmodell, das es so ähnlich oder genauso auch in den USA gibt (Robinhood als Vorbild für Trade Republic und den „Scalable Broker“, Lemonade als Vorbild für Wefox). Sprich: Die internationalen Geldgeber investieren in Modelle, die sie aus anderen Märkten kennen und die sich dort im besten Falle bereits durchgesetzt haben. In Asien gibt es ein hochgewettetes Investment-Fintech namens Futu, an dem sowohl der neue Scalable-Investor Tencent als auch der neue Trade-Republic-Investor Sequoia beteiligt sind.

– Eine starke Stellung auch im europäischen Vergleich. Sprich: Die internationalen Geldgeber investieren in Fintechs, die im besten Fall das Zeug haben, nicht nur hierzulande, sondern europaweit zu einem führenden Player zu werden

5. Warum wird Scalable Capital deutlicher niedriger bewertet als Trade Republic?

Vereinfacht gesagt – denn Venture-Capital-Logik ist ja in der Tat oft simpel: Trade Republic hat nach eigenen Angaben mehr als eine Million Kunden, Scalable Capital knapp 300.000. Wenn die Berliner also 3- bis 4-mal so viele Kunden besitzen wie die Münchner, warum sollen sie dann nicht auch 3- bis 4-mal so viel wert sein? Zumal Trade Republic (obwohl viel später gestartet) mit zuletzt 6 Milliarden Euro Broker-Assets auch schon mehr Kundengelder aufweist als Scalable (grob 3 Milliarden Euro Robo-Assets plus 1,5 Milliarden Euro Broker-Assets.

Ist das Rennen nicht also längst zugunsten von Trade Republic entschieden?

Gemach. Wenn die zurückliegenden anderthalb Jahre eines gezeigt haben, dann, dass das Momentum in der Fintech-Branche rasch wechseln kann. Hinzu kommt: Scalable Capital hat zwar im Vergleich zu Trade Republic auf das (Stand heute) weniger attraktive Thema gesetzt. Zugleich hat das Management aber Flexibilität bewiesen, erst mit der Ergänzung des B2C-Robos um ein B2B-Modell, dann mit dem Schwenk ins Brokergeschäft. „Execution“ scheinen die Münchner also zu beherrschen. Nicht die schlechteste Voraussetzung, wenn jetzt der thematische wie regionale Expansions-Wettlauf beginnt.

Eigentlich müsste man die 1,4 Milliarden Dollar ja aufsplitten. Wie viel entfällt auf den Broker? Wie viel auf den B2B-Robo? Und wie viel auf den B2C-Robo, also aufs ursprüngliche Kerngeschäft?

Nun ist der B2C-Robo natürlich weiterhin ein gewichtiges Asset, zumal ein Kalkül von Scalable auch darin liegen dürfte, günstig akquirierte Broker-Kunden irgendwann in Richtung höhermargiges Robo-Geschäft zu drehen. Indes, wie bereits angedeutet: Das Asset-Wachstum war zuletzt unbefriedigend. Was Gründe hat.

So ist die Performance des Scalable-Robos seit langem unterdurchschnittlich. Zwar werden die Depots individuell angepasst und auch laufend gesteuert. Bei sogenannten „Echtgeldtests“ – etwa bei brokervergleich.de – liegt Scalable Capital im Vergleich zu anderen Robo-Advisern aber regelmäßig auf den hinteren Plätzen. So ermittelte das Portal für eine moderate Anlagestrategie (näherungsweise je hälftig Aktien/Anleihen) für eine Anlage bei Scalable über zwei Jahre eine tatsächliche Rendite von -1,8 Prozent, über drei Jahre von 0,8 Prozent und über vier Jahre von 0,1 Prozent – effektiv also Nullrenditen über längerfristige Haltedauern trotz ständiger Rekordhochs an den Börsen.

Zum Verhängnis wurde dem internen Algorithmus bei Scalable – übrigens aufgrund des gleichen Mechanismus wie beim Riester-Desaster von Fairr –, dass die Aktienkurse im Frühjahr 2020 wegen der Corona-Pandemie binnen kürzester Zeit 40 Prozent einkrachten und sich ebenso rasch wieder erholten. Scalable rotierte die Kunden in dieser Phase raus aus Aktien, verpasste aber Teile des Aufschwungs, weil es nur gemächlich wieder zurück in die Aktien-Engagements ging.