Sam Bankman-Fried beim Dealbook Summit, Ende November (Bild: NYT)

„Ich hatte einen schlechten Monat“: Sam Bankman-Frieds erster Auftritt nach dem FTX-Crash

Zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch seiner Kryptobörse FTX spricht Gründer Sam Bankman-Fried öffentlich. Bei einer Veranstaltung der New York Times trat der 30-Jährige am Mittwochabend sichtlich nervös auf und versuchte sich zu erklären. Was hat er gesagt?

Das Bild passt. Sam Bankman-Fried sitzt in die Ecke gedrängt, mit dem Rücken nicht nur zu einer, sondern gleich zwei Wänden. Immer wieder schaut er zu Boden, sein Arm zittert so stark, dass sein schwarzes T-Shirt vor der weißen Wand wackelt. Es ist der erster öffentlicher Auftritt seit dem Kollaps des einstigen Krypto-Imperiums FTX.

Nach Interviews mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Meta-Chef Mark Zuckerberg oder US-Finanzministerin Janet Yellen ist die Videoschalte mit Bankman-Fried am Mittwochabend ein Event, auf das viele Augen gerichtet sind – bei dem exklusiven „Dealbook Summit“ der New York Times, mit einem Eintrittspreis von 2.499 Dollar.

Im Vorfeld gab es viel Kritik. Sollte der Gründer der insolventen Kryptobörse jetzt sprechen dürfen? Man gebe dem mutmaßlich Kriminellen eine zu große Plattform, lautete ein Argument der Gegner eines Auftritts. „Sollte Sam nicht lieber mit der Polizei sprechen, anstatt Rednerauftritte zu bekommen?“, hieß es etwa auf dem sozialen Netzwerk Twitter. Doch die New York Times sagte den Auftritt nicht ab und veröffentlichte das Gespräch in einem Videostream. Was raten ihm seine Anwälte gerade, will Journalist Andrew Sorkin von Bankman-Fried wissen. Finden sie es gut, dass er jetzt spricht? „Nein, sie haben mir davon abgeraten“, sagt der 30-Jährige.

Schlechte Entscheidungen oder Betrug?

Am Anfang des Interviews wird direkt klar, welche Richtung das Gespräch nehmen wird. Es gebe zwei Möglichkeiten: Entweder habe Bankman-Fried einfach schlechte Entscheidungen getroffen – oder betrogen, sagt Sorkin. Und gibt dem FTX-Gründer damit eine Vorlage, sich von dem Betrugsvorwurf zu distanzieren.

Das wichtigste Wort des Interviews lautet: „oversight“, zu deutsch etwa „aus Versehen etwas übersehen“. Bankman-Fried bringt es immer wieder in seinen Antworten unter. Als sei das der Hauptpunkt, den es zu diesem Zeitpunkt zu betonen gilt, bevor beispielsweise Anklage erhoben wird. Tatsächlich stellt sich die Frage, für wen der FTX-Gründer dieses Interview gibt.

Darüber lässt sich viel spekulieren, laut Bankman-Fried sei er gegen den Rat seiner eigenen Verteidigung aufgetreten. Er wolle den geprellten Kunden helfen, sagt Bankman-Fried selbst. „Ich habe die Pflicht zu reden und zu erklären, was passiert ist.“

„Ich habe alles verloren“, wird ein Kunde zitiert

Den Steilpass von Sorkin, stellvertretend für die geschädigten FTX-Kunden auf einen Einzelfall einzugehen, lässt er dann aber liegen. „Ich habe alles verloren“, zitiert der Journalist einen Betroffenen. Ob er Bankman-Fried fragen könne, warum er seine zwei Millionen Dollar gestohlen habe. Die Antwort fällt gänzlich unpersönlich aus. Die US-Plattform von FTX, eine von der internationalen Version unabhängige Entität, sei von dem Absturz nicht betroffen, beteuert Sam Bankman-Fried.

Er behauptet, dass FTX US immer noch zahlungsfähig sei. Er sei „verwirrt“ darüber, dass die Firma aktuell keine Kundenabhebungen bearbeite. Allen US-Kunden ginge es in Bezug auf das Kundenvermögen „gut“. Klar ist zu diesem Zeitpunkt allerdings auch: FTX US ist in das Insolvenzverfahren inbegriffen.

Der Crash von FTX und seiner Handelsfirma Alameda sei in erster Linie auf ein Problem des Risikomanagements zurückzuführen, sagt Bankman-Fried. Es habe zu viele Managements bei FTX gegeben – beispielsweise jeweils ein eigenes in Japan, Singapur, Europa. „Die Verantwortung war zu sehr gestreut.“ Auch an dieser Stelle behauptet der Gründer, dass die Probleme unbeabsichtigte Missgeschicke waren – kein absichtliches Fehlverhalten. Sein größter Fehler: „Bei FTX gab es keine Person, die für das Positionsrisiko verantwortlich war.“

Ermittlungen laufen in mehreren Ländern

Für den „oversight“ übernimmt er Verantwortung, distanziert sich allerdings gleichzeitig von Alameda. Dort verortet er auch den Fehler. Die Tiefe der Geschäftsbeziehung zwischen FTX und Alameda sei ihm nicht bewusst gewesen. Bankman-Fried gibt sich regelrecht überrascht. „Ich habe Alameda nicht geleitet“, sagt er. „Ich war nervös wegen des Interessenkonflikts, zu sehr involviert zu sein.“

Gegen Bankman-Fried wird derzeit auf den Bahamas, in der Türkei und in den Vereinigten Staaten ermittelt. Weitere Länder könnten folgen. Alles, was Bankman-Fried in diesem Interview sagt, kann und wird sehr wahrscheinlich vor Gericht gegen ihn verwendet werden, schreibt Anwältin und Journalistin Ephrat Livni. Einige der Behörden haben bereits eine möglicherweise lebenslange Gefängnisstrafe in Aussicht gestellt.

Bankman-Fried, aktuell noch auf den Bahamas, sagt, dass eine Rückkehr in die Vereinigten Staaten für ihn kein rechtliches Risiko darstelle. Er könne sich vorstellen, den US-Gesetzgebern irgendwann zu erklären, was bei FTX schief gelaufen sei.

Es bleiben Fragezeichen

Er zittert, lächelt dabei zaghaft und nervös. Die vergangenen Wochen haben ihm zugesetzt: Im Vergleich zu früheren Auftritten, etwa dem bei der Finance-Forward-Konferenz im Mai, wirkt Bankman-Fried inzwischen dünner. „Ich hatte einen schlechten Monat“, sagt er. Das Publikum lacht über die Komik dieser Aussage.

Macht er sich Sorgen um strafrechtliche Konsequenzen? „Es gibt eine Zeit und einen Ort, an dem ich über mich und meine eigene Zukunft nachdenken kann“, sagt er. „Ich glaube nicht, dass dies der richtige Zeitpunkt ist.“

Während Bankman-Fried spricht und zuhört, nickt er kontinuierlich. Mitunter verstärkt er seine Worte mit einem vehementen Kopfschütteln, wenn er einen Vorwurf von sich weist. In der Vergangenheit gab es wiederholt Berichte dazu, dass er in Meetings schnell abgelenkt sei, sich dabei sogar nebenher mit Videospiele beschäftige. In diesem Interview ist seine Konzentration voll auf Sorkin gerichtet. Jede Aussage wird überschwänglich mit seiner Körpersprache untermauert. Er habe „niemals versucht, Betrug zu begehen“, beteuert er.

Am Ende bleiben viele Fragezeichen. Auch, weil sich die Zuschauer nicht sicher sein können, wie glaubhaft Sam Bankman-Fried ist. Journalist Sorkin fragt den geschassten Gründer, ob er jemals gelogen habe. Es habe Zeiten gegeben, in denen er als Vermarkter von FTX gehandelt habe, sagt Bankman-Fried. Er habe wahrheitsgemäße Möglichkeiten gesucht, FTX als aufregend darzustellen – und dabei nicht über die Risiken nachgedacht oder gesprochen. „Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit damit verbracht, über die Nachteile nachzudenken und weniger über die Vorteile“, sagt er.