Nuri und das Krypto-Fiasko: Was sind die Lehren?
Kryptoanleger der Berliner Neobank Nuri (ehemals Bitwala) bangen um ihr Investment. Das Partner-Unternehmen Celsius zahlt seit Montagmorgen keine Gelder mehr aus. Was sind die Hintergründe? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wer genau ist Celsius – und was ist gestern passiert?
Celsius Network, gegründet 2017, hat sich als sogenannter Krypto-Verleiher positioniert und verwaltete zuletzt ein Krypto-Vermögen in Höhe von angeblich rund 12 Milliarden US-Dollar. Trotzdem ist Celsius keine Bank, und geschützt sind die Vermögenswerte auch nicht. Stattdessen betreibt der in New Jersey ansässige Konzern ein sogenanntes Money Services Business (MSB). Das heißt: Celsius ist ein Finanzdienstleister in seinem weitestmöglichen Sinne, ohne staatliche Aufsicht, regulatorisch nicht weit von einer Wechselstube entfernt. Ähnlich wie Celsius haben sich auch die Plattformen Nexo und Blockfi positioniert – dezentral Kryptowährungen für deren Besitzer zu verwalten.
Das Konzept sieht zusammengefasst so aus: Endkunden können Krypto-Währungen wie Bitcoin an Celsius übertragen und erhalten dafür eine Verzinsung. Celsius wiederum verleiht diese Krypto-Bestände (ebenfalls verzinst) an andere Interessierte, die – meist für kürzere Haltezeiträume – von Kryto-Preissteigerungen profitieren wollen. Mitunter investiert Celsius auch in Swaps und andere Kryptowährungen als Bitcoin. Die Verleihtransaktion kann sich beispielsweise lohnen, wenn man die bei Kauf und Verkauf im Krypto-Bereich üblicherweise recht hohen Transaktionskosten vermeiden will.
Am späten Sonntag Ortszeit nun verkündete das Unternehmen, seinen Kunden den Zugang zu ihren Vermögenswerten zu verwehren, also vorerst keine Auszahlungen und Transaktionen mehr vorzunehmen. Die Begründungen fielen eher diffus aus, vom „Schutz der Kunden“ und „extremen Marktbedingungen“ war die Rede. Möglicherweise wurde Celsius schlicht von einer Flut von Rückforderungen überrascht und konnte den Kundenwünschen nicht mehr nachkommen.
Tatsächlich liegt hier ein wesentliches Risiko in dem Modell: Fordern Kunden, die Celsius ihre Krypto-Währungen geliehen haben, diese zurück (wozu sie jederzeit berechtigt sind), muss sich Celsius die gegebenenfalls von Playern zurückholen, an welche die Vermögenswerte weiterverliehen worden sind. Gerade in einem Crash droht dieser Mechanismus zu versagen. Denn nun wollen plötzlich Halter alle durch die gleiche Tür – Anleger wollen raus aus den Kryptowerten, und die Plattformen wie Celsius selbst müssen auch Assets liquidieren und zurückfordern, um die Kunden bedienen zu können.
Warum zittern jetzt Kunden der Berliner Neobank Nuri um ihr Geld?
Nuri hat Celsius die eigenen Endkunden zugeführt, und zwar über ein sogenanntes „Bitcoin-Ertragskonto“, bei dem Kunden zuletzt bis zu 3 Prozent Zinsen pro Jahr in Aussicht gestellt worden waren, wenn sie ihre Bitcoins für einen Zeitraum an Celsius übertragen. Formal handelt es sich um eine Veräußerung – genauer: ein Sachdarlehen – von Finanzinstrumenten, in der Nuri mutmaßlich gegen eine Provision von Celsius als Vermittler agierte.
Das entsprechende Konzept stammt aus dem Jahr 2020 (damals hieß Nuri noch Bitwala), konsequent ausgerollt wurde das Produkt allerdings erst ab Mitte letzten Jahres. Die betriebswirtschaftliche Idee von Nuri dürfte es gewesen sein, den Ertrag mit den Kunden zu maximieren, indem man zweimal an ihm verdient: einmal, wenn er die Bitcoin erwirbt (dann kassiert Nuri eine Gebühr). Und dann noch ein zweites Mal, wenn der Kunde diese Bitcoins über den Weg des „Ertragskontos“ zu Celsius trägt (in diesem Fall dürfte die von uns vermutete Provision geflossen sein).
Nach unserer Einschätzung wurde das Produkt gemessen am Risiko sehr aggressiv vermarktet. So wurde das „Bitcoin Ertragskonto“ als „der einfachste Weg“ beschrieben, „mit Krypto ein passives Einkommen“ zu erzielen. Hintergrund: Buzzword „passives Einkommen“ kommt ansonsten zum Einsatz bei Investitionen in Aktien, Immobilien oder Anleihen. Weiter hieß es etwa: „Die Zeit der niedrigen Zinsen ist endlich vorbei.“ Oder auch: „Unsere Partnerschaft mit Celsius Network verschafft dir Zugang zu Ertragsraten, die du mit einem Old-School-Bankkonto nicht erreichen könntest.“
Gerade dieser Vergleich ist fragwürdig, setzt er doch den Verleih einer hochvolatilen Krypto-Währungen an ein US-Unternehmen sowohl im Namen („Ertragskonto“) als auch im Marketing mit einem „Konto“ gleich – also einem Produkt, bei dem hiesige Kunden normalerweise an jederzeitige Verfügbarkeit und besondere Sicherheit denkt. Das „Bitcoin-Ertragskonto“ sei zudem die „zentralisiertere Antwort auf die DeFi-Trends“ und „gewissermaßen auch ein Zwischenschritt, zu dem, wo wir in Zukunft hin wollen“, erklärte Nuri-CEO Kristina Walcker-Mayer vergangenes Jahr in einem Interview mit dem „Bitcoin-Echo“.
Dass für das „Bitcoin Ertragskonto“ keinerlei Einlagenschutz besteht? Wurde nicht verschwiegen (es steht unter den Risikohinweisen). Aber natürlich auch nicht in den Vordergrund gestellt.
Welche Rolle spielte die Solarisbank?
Genau genommen ist Nuri gar keine Bank, sondern lediglich ein Banking-Frontend, das auf Lizenz und Infrastruktur der Solarisbank beruht. Formal gesehen tritt Nuri auch beim „Bitcoin Ertragskonto“ lediglich als „vertraglich gebundener Vermittler“ der Solarisbank auf, begibt sich also vereinfacht ausgedrückt in die Anlagevermittlung, während die Solarisbank das Haftungsdach stellt. Konkret vermittelt Nuri also Kunden an Celsius, und die Kunden machen ihren Vertrag dann auch (nur) mit Celsius.
Es ist ein Konstrukt, in dem die Verantwortlichkeiten letzten Ende komplett verschwimmen. Die Solarisbank weist darauf hin, dass sie keine Geschäftsbeziehung zu Celsius unterhalte; die bei der Solarisbank verwahrten digitalen Vermögenswerte seien sicher. Nuri wiederum schreibt Nuri in seinen sogenannten Sonderbedingungen:
„Nuri haftet nicht für Schäden, die einem Kunden durch die Nutzung des von Nuri vermittelten Bitcoin-Ertragskontos entstehen.“
„Zur Klarstellung: Celsius Network handelt auf der Grundlage eines separaten Vertrags mit dem Kunden und nicht als Erfüllungsgehilfe von Nuri.“
Mit anderen Worten: Der Endkunde ist selber schuld.
Was sagt die Aufsicht – und ist das Geld jetzt weg?
Gute Frage. Denn: Die US-Regulierer hatten den „Earn-Accounts“ genannten Krypto-Verleih nämlich zuletzt bereits ins Visier genommen. So konnten amerikanische Retail-Anleger bei Celsius seit Mitte April keine Neuanlagen mehr tätigen; die bereits eingezahlten Mittel wurden ihnen nach und nach zurückgezahlt. Dagegen änderte sich für Anleger aus dem Ausland (also auch Deutschland): nichts.
Im Ergebnis wurden in den vergangenen Wochen also „deutsche“ Vermögenswerte an eine US-Plattform mit Schmalspurlizenz weitergeleitet – ungeachtet der Tatsache, dass die Plattform aus Sicht der dortigen Aufseher als ungeeignet für Normalanleger erachtet wurde. Der Vorgang dürfte daher mit Sicherheit ein regulatorisches Nachspiel haben.
Dass die Vermögen der Nuri-Kunden vorerst eingefroren sind, heißt allerdings nicht, dass das Krypto-Geld zwingend weg ist. Sollte Celsius Network tatsächlich „nur“ ein Liquiditätsproblem haben, erscheint denkbar, dass die Anleger ausgezahlt werden, sobald die US-Plattform wieder über ausreichend liquide Mittel verfügt. Ob es so kommen wird, können wir, um ehrlich zu sein, nicht einschätzen.
Wie viele hiesige Anleger betroffen sein, blieb bis gestern Abend unklar. Nach eigenen Angaben hat Nuri angeblich rund 500.000 Kunden. Betroffen sei „ein Bruchteil“, schrieb uns Mayer-Walcker. Ist das eine vierstellige Zahl? Eine niedrige fünfstellige? Das muss Spekulation bleiben.
Was bedeutet der Vorgang für die Krypto-Pläne der deutschen Finanzbranche?
Das dürfte nicht zuletzt davon abhängen, ob die Anleger ihr Krypto-Geld wiedersehen oder nicht. Zuletzt tobte speziell im Sparkassen-Lager ein regelrechter Kulturkampf um das Thema. So würde DSGV-Präsident Helmut Schleweis die innerhalb seines Sektors ausgearbeitet Pläne für eine „Krypto-Wallet“ am liebsten komplett ausbremsen – wohingegen der schleswig-holsteinische Verbandspräsident Oliver Stolz zuletzt meinte: „Wenn es Kundenwünsche gibt, mit entsprechenden Werten zu handeln […], dann sollte das langfristig auch bei der Sparkasse möglich sein.“
Der „Fall Nuri“ könnte nun beiden Seiten als Argumentationshilfe dienen. Einerseits illustriert er recht plastisch die Gefahren des Krypto-Handels. Andererseits ließe sich auch die Erkenntnis ableiten, dass eben nicht nur die auf Selbstentscheider gepolten Fintechs eine Daseinsberechtigung in dem Markt haben – sondern auch Banken oder Sparkassen, die ihre Kunden stärker an die Hand nehmen.
So oder so: In den zurückliegenden Monaten haben nicht nur viele Banken (neben den Sparkassen ja auch die Genossen, die Commerzbank und diverse klassische Privatbanken), sondern auch Online-Broker wie Flatex oder Fintechs wie N26 ihre Krypto-Pläne mit Hochdruck vorangetrieben. Und ausgerechnet jetzt crashen die Kurse und erlebt Nuri (je nachdem, wie’s ausgeht) einen regelrechten GAU. Schlechtes Timing.