N26-Gründer Valentin Stalf: „Ich bin heute ein anderer Manager, als ich es vor zehn Jahren war“
Einige N26-Manager haben dem Gründer-Duo eine „Kultur der Angst und Schuldzuweisungen“ vorgeworfen, sie warnen vor einer Abwärtsspirale für das Unternehmen. Im Interview stellt sich Valentin Stalf der Kritik.
Die Vorwürfe wiegen schwer. Sechs Führungskräfte hatten im Februar 2022 den beiden N26-Gründern Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal in einer Email „eine Kultur der Angst und Schuldzuweisungen“ attestiert. Es geht um „kontrollierendes Verhalten“, um einen „aggressiven und respektlosen Kommunikationsstil“ und unklare Entscheidungsprozesse. „Wir machen uns Sorgen, dass diese Probleme – wenn sie ungelöst bleiben – die Firma in eine Abwärtsspirale führen“, warnen sie.
Drei der sechs Absender sind inzwischen nicht mehr bei der Neobank. Zuerst hatte das Manager Magazin berichtet, dann auch die Financial Times. N26 kommentierte die Berichte damit, dass es „erhebliche Investitionen in Governance und Führung“ getätigt habe.
Valentin, die ganze Branche spricht über die Bankenkrise, über die Silicon Valley Bank und Crédit Suisse. Nur du musst dich mit Vorwürfen einer „Kultur von Angst und Schuldzuweisungen“ auseinandersetzen – von deinen eigenen Managern. Was ist da los?
Die Berichterstattung basiert auf einer internen Feedback-Email, die mehr als ein Jahr alt ist. Wir wollen bei N26 eine sehr offene Kultur leben und ich glaube daran, dass wir die haben. Startups sind nur erfolgreich, wenn die Mitarbeiter Ideen einbringen. N26 und unser Erfolg sind unsere mehr als 1.000 Mitarbeiter. Von ihren Ideen und Beiträgen hängt der gesamte Unternehmenserfolg ab. Deshalb ist eine offene Kultur sehr wichtig und wir haben in den vergangenen 24 Monaten nochmal viel darin investiert.
Aber klar ist auch: Jedes Unternehmen und jedes Team geht durch unterschiedliche Phasen. In der Vergangenheit waren wir bei dem ein oder anderen Thema schlechter als wir es heute sind. Die Kennzahl, die sehr viel ausdrückt, ist die Abwanderungsrate der Mitarbeiter: 2021 lag der Wert in der Coronakrise sehr hoch, das war natürlich schlecht für uns. Danach sind wir die wichtigen Themen ganz gezielt angegangen: Die richtige Kommunikationsstrategie was unsere Vision und Ziele angeht, den Leuten die nötigen Freiräume geben und strukturierte Feedback-Prozesse erarbeiten, also einheitliche Bewertungssysteme zu integrieren. Heute liegt die Abwanderungsrate bei zehn bis 15 Prozent, der Industrieschnitt liegt eher zwischen 20 und 35 Prozent. Deswegen hat mich die ich negative Berichterstattung sehr enttäuscht.
Du sprichst über deine komplette Belegschaft und das allgemeine Arbeitsklima. In diesem Fall geht es aber um konkrete Vorwürfe deiner Manager gegen dich als Person.
Für uns ist Feedback in der Unternehmensstruktur ein wichtiger Faktor. Wir handhaben das auf Executive-Ebene genauso, wie wir es auch mit allen Mitarbeitern machen. Einmal im Quartal machen wir zusätzlich ein Off-site, wo wir uns drei Tage zusammensetzen und intensiv zur Strategie, aber auch Feedback austauschen. Als CEO muss ich natürlich jedes angesprochene Feedback ernst nehmen und dafür Verantwortung übernehmen.
Das gesamte Executive Team, aber auch wir als Gründer, haben in den vergangenen 24 Monaten nochmal viel in diese Themen investiert, besonders bei den Fragen: Wie kommunizieren wir besser, wie geben wir Ziele vor und schaffen Transparenz, wofür steht unsere Kultur und wie leben wir diese? Feedback hilft uns dabei, besser zu werden und wir nehmen das sehr ernst.
In der Kritik ging es nicht nur um das eigene Arbeitsumfeld, die Manager haben gewarnt, dass die von ihnen angesprochenen Probleme die Firma in eine Abwärtsspirale führen würden. Wie stellst du dein Unternehmen auf, dass die Manager ein Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit von N26 behalten?
Heute sind wir in den Bereichen schon sehr, sehr gut aufgestellt. Wir sind in keiner Abwärtsspirale. Wenn man sich unsere Unternehmenskultur und die Abwanderungsrate anschaut, sieht das schon ganz anders aus als noch vor zwei bis drei Jahren. Im Management-Team haben wir eine durchschnittliche Zugehörigkeit zum Unternehmen von mehr als fünf Jahren. Klar, man kann immer ein bisschen besser sein. Wir haben ein Tool eingeführt, mit dem die Mitarbeiter kontinuierlich anonym Feedback geben können. Das gilt auch für alle Manager im Unternehmen.
Konkret zu den Kritikpunkten: Es ging um Mikromanagement, kontrollierendes Verhalten, aggressiver Kommunikationsstil. Was davon nimmst du an?
Grundsätzlich muss man alles an Feedback annehmen. Es ist aber nicht nur Kritik an einzelnen Personen. Man muss als Gesamtunternehmen überlegen, wie man eine offene Kultur fördert. Wie gestalten wir die Kommunikation, sodass jeder sich abgeholt fühlt? Wie sind unsere Entscheidungen nachvollziehbar? Die Kritik-Punkte nehme ich sehr ernst.
N26 geht sie wie folgt an: Wir schaffen eine vertrauensvolle Kultur, in der die Leute offen sprechen können und wir trotzdem Verantwortung und Leistung einfordern. Das ist eine Balance, die alle Gründer kennen. Wir müssen richtig kommunizieren: Was ist unsere Strategie? Was sind unsere Prioritäten? Jeder soll verstehen, dass das, woran er arbeitet, uns weiterbringt. Dafür darf sich die unternehmerische Vision und Strategie nicht zu häufig ändern – wir können nicht jede Woche etwas anderes sagen. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder Strategie-Schwenks gemacht. Einerseits gehört das dazu, weil man sich anpasst, aber man muss trotzdem schauen, dass man eine gute Kommunikation hat. Das ist direkt damit verbunden, wie wir unsere strategischen Entscheidungen treffen. Wie ist die Entscheidungskompetenz verteilt? Dabei geht es um Transparenz und Verantwortung. Vor zwei Jahren waren wir da insgesamt etwas schlechter aufgestellt. Heute sind wir in den meisten Bereichen relativ gesehen zu anderen Unternehmen sehr gut aufgestellt.
Besonders in den vergangenen Jahren gab es bei euch im Führungsteam eine hohe Fluktuation.
Aus unserem Führungsteam ist der Großteil bereits fünf, sechs oder sieben Jahre im Unternehmen. Unser CTO Gino Cordt und unser Personalchef Timo Meyer sind seit mehr als sieben Jahren dabei, Alex Weber hat vor neun Jahren als Praktikant bei uns angefangen und ist jetzt Chief Growth Officer…
… der jetzt allerdings seinen Abgang angekündigt hat…
Mit Alex sprechen wir seit längerem darüber, dass er was Eigenes gründen will. Wir bilden bei N26 auch immer Unternehmer aus und darauf sind wir stolz. Deshalb: Man muss die einzelnen Abgänge differenzierter sehen. Alex ist sicher ein Aushängeschild für eine unternehmerische Karriere. Einige andere ehemalige Führungskräfte, wie zum Beispiel Eva Glanzer, hatten interimsmäßig die Personalthemen verantwortet und mit ihr haben wir sehr gut zusammengearbeitet, dann aber wie geplant eine permanente Besetzung gefunden. Mit unserem ehemaligen CFO hat sich die Zusammenarbeit geändert, aber wir haben mit Arnd Schwierholz einen sehr guten Nachfolger mit viel Erfahrung gefunden. Ich empfinde das anders als in der Berichterstattung dargestellt: Insgesamt ist unser Führungsteam sehr stabil in den vergangenen anderthalb Jahren. Wir haben außergewöhnliche Persönlichkeiten mit viel Erfahrung im Team.
Die Vorwürfe sind vielfältig: Mikromanagement, kontrollierendes Verhalten, aggressiver Kommunikationsstil. Das sind Eigenschaften, die N26 in der Anfangsphase möglicherweise beim Wachstum geholfen haben. Aber die Kritik ist, dass das bei der aktuellen Größe von N26 nicht mehr zeitgemäß ist.
Das kann man nicht so schwarz/weiß sehen. Ich erwarte, dass die Führung von N26 tief in den Themen steckt, sonst funktioniert das nicht. Manager müssen mit ihren Mitarbeitern eng arbeiten und auch die Probleme verstehen, um sie auch zu unterstützen. Man muss sich aber als Manager kontinuierlich weiterentwickeln. Das haben wir in den vergangenen Jahren gemacht. Ich bin heute ein anderer Manager , als ich es vor zehn Jahren war.
Du hast N26 jetzt fast ein Jahrzehnt aufgebaut und groß gemacht. Bist du der richtige Mann auch für die nächsten zehn Jahre?
Wir sind ein sehr gutes Management-Team, daran glaube ich fest. Das sind viele Leute, nicht nur ich. Bei unseren Themen als Startup mit Innovationsanspruch ist es als Gründer wichtig, Präsenz zu zeigen und dranzubleiben. Klar, es ist heute etwas ganz anderes, als es vor zehn Jahren war, aber wir sind ein gutes Team.
Hast du dich mal coachen lassen?
Es gibt Coaching in verschiedensten Formen. Ein klassisches Coaching macht man immer wieder. Manchmal ein bisschen formeller, manchmal ein bisschen informeller. Aber das ist sicher ein Thema, wo man sich als Führungskraft immer weiterentwickeln kann und ein sehr wertvolles Instrument.
Hast du mal in Erwägung gezogen, deinen Posten als CEO abzugeben?
Ich erwarte von jeder Führungskraft, sich selbst zu hinterfragen. Nicht jeden Tag. Aber in regelmäßigen Abständen mache auch ich das – ich bin als CEO dem Aufsichtsrat verpflichtet und natürlich werde ich da auch gebenchmarkt.
Mit Marcus Mosen habt ihr einen Aufsichtsratsvorsitzenden, der viel Erfahrung im Banken- und Paymentbereich mitbringt und zu euren ersten Angel-Investoren zählt. Auf Twitter verteidigt er N26 gerne vehement, er gilt als Vertrauter von euch beiden. Die Frage ist: Bringt er als Kontrolleur auch die nötige Distanz mit?
Wir brauchen im Aufsichtsrat Leute, die hinter dem Produkt stehen und an uns glauben. Aber der Aufsichtsrat ist natürlich ein Kontrollorgan, und das besteht nicht nur aus einer Person, sondern aus ganz verschiedenen Mitgliedern mit sehr viel Erfahrung. Da sind wir deutlich weiter als andere Unternehmen. Viele andere Unternehmen haben ausschließlich ihre Investoren dort sitzen, die ein konkretes finanzielles Interesse haben. Die Kontrollfunktion des Aufsichtsrats ist deutlich ausgeprägter, weil wir eine regulierte Entität sind, weil der Aufsichtsrat mit unabhängigen Leuten besetzt ist, die auch aus anderen Branchen oder aus anderen Industrien kommen. Da haben wir ein starkes und unabhängiges Kontrollorgan, das wir nicht verstecken müssen.
Entstehen die nötigen Reibungen, die der Aufsichtsrat per Definition mitbringen soll?
Unser Aufsichtsrat ist mit sehr erfahrenen Mitgliedern besetzt und wir arbeiten intensiv zusammen. Alle Mitglieder nehmen ihre Kontrollfunktion sehr ernst und wir profitieren von den verschiedenen Erfahrungen.
Das Endgame für N26 ist ein Börsengang. Dafür müsst ihr nicht mehr nur die App oder ein Konto verkaufen, sondern auch Kleinanlegern die Vision und Stabilität von N26 als Unternehmen. Aktuell passiert nach außen das Gegenteil davon. Wie wollt ihr den Turnaround schaffen?
Mit Blick auf unser Geschäftsmodell sind wir nachhaltig und stark aufgestellt. Einige der weltweiten Trends spielen uns in die Karten. Aus der Pandemie kommen wir gestärkt hinaus, mit mehr Kartenzahlungen, weniger Bargeld und außerdem hilft uns die Veränderung in der Zinslandschaft.
Wir sind heute Marktführer in Zentraleuropa im mobilen Banking. In Zukunft bauen wir das Thema Investieren weiter aus. Heute bieten wir schon Kryptowährungen an, Aktien und ETFs folgen in den nächsten zwölf Monaten. Der Umsatz pro Konto, die Aktivität und die Einlagen pro Kunde sind heute schon deutlich höher als bei der Konkurrenz, jetzt geht es darum, unsere Marktanteile in Europa auszubauen.
Berichten des Manager Magazins zufolge braucht ihr schnell frisches Kapital. Was ist da dran?
Wir haben im Oktober 2021 mehr als 700 Millionen Euro zusätzliches Eigenkapital von einigen der renommiertesten Investoren der Welt erhalten und sind damit sehr gut finanziert. Wir sind unabhängig von zusätzlichen externen Investitionen stabil und langfristig stark kapitalisiert.