Ärger mit der Aufsicht: Hinter den Kulissen der gescheiterten N26-Expansion nach Großbritannien
Völlig überraschend gab N26 vor drei Wochen bekannt, sich aus Großbritannien zurückzuziehen. Grund dafür sei der Brexit gewesen, hieß es von der Neobank. Exklusive Recherchen zum britischen N26-Geschäft zeigen allerdings, dass es tieferliegende Probleme gab – insbesondere mit der Finanzaufsicht.
Es war ein aufsehenerregender Aufschlag, mit dem N26 im Oktober 2018 seine Expansion nach Großbritannien begann. Zum Launch auf der Insel ließ das Berliner Fintech sein Firmenlogo auf Sehenswürdigkeiten in London projizieren. Mit einer millionenschweren Werbekampagne kleisterte N26 die Londoner U-Bahn zu.
Nur etwas mehr als ein Jahr später ist das Abenteuer schon fast wieder Geschichte. N26 verkündete Anfang Februar, wegen des Brexits Großbritannien zu verlassen. Den Aufwand, eine gesonderte Banklizenz für das Land zu beantragen, wolle man sich nicht antun – so die offizielle Argumentation. Doch in der Branche wurden früh Zweifel daran geäußert.
Die versäumte Prüfung
Den ersten Hinweis auf regulatorische Schwierigkeiten für N26 gab es bereits im Herbst 2019. Die britischen Premiumkunden bekamen von dem Fintech eine Mail. Sie wurden aufgefordert, einige Fragen zu beantworten: Im Nachhinein sollte so ermittelt werden, ob sie überhaupt als Kunden für die Premiumangebote in Frage kommen. „Es gibt einige wichtige Informationen, die wir hätten erfragen müssen, als Sie Ihr N26-Konto eröffnet haben“, teilte der Support auf Nachfrage eines Kunden über Twitter mit. Finance Forward und Sifted liegen mehrere dieser Emails vor.
Betroffen waren Kunden der Metal Card. Das Angebot beinhaltet eine umfassende Reiseversicherung, die Krankheitskosten im Ausland, Gepäckschutz, Schutz gegen Bargeld- und Handydiebstahl, Flugverspätungen und Käuferschutz abdeckt. Käuferschutz bedeutet, dass alle Gegenstände, die mit der Karte gekauft werden, gegen Diebstahl versichert sind. N26 war laut FCA-Datenbank als Versicherungsvertriebspartner zugelassen, die Produkte wurden gemeinsam mit der Allianz herausgegeben.
Die Geschäftsbedingungen für das Angebot wurden nach Informationen von Finance Forward und Sifted jedoch von der FCA als zu allgemein formuliert eingestuft. Vor allem bei der Reise- und Auslandskrankenversicherung sah die Finanzaufsicht Probleme: Ihr fehlten unter anderem konkrete Fragen zur Gesundheit und zum Alter der Kunden. Nach den Bedingungen hätte das Fintech zum Beispiel 68-jährigen Kunden Versicherungsprodukte verkaufen können, deren Gültigkeit im Alter von 65 Jahren bereits ablaufe, sagt ein Versicherungsexperte, dem Finance Forward und Sifted die Konditionen vorgelegt haben. Das bedeutet: N26 hat Versicherungen an Menschen verkauft, für die diese Versicherungen im Ernstfall gar nicht gegriffen hätte.
Das Fintech bestätigt den Vorfall
Für die Produkte, die N26 seinen Premiumkunden mit anbot, galten eigentlich eng formulierte Ausschlussbedingungen der Allianz. „Sie schließen buchstäblich jeden mit hohem Blutdruck aus“, sagt der Experte über die Bedingungen. „Ich kann mir nicht vorstellen, wer dafür in Frage kommt.“ Das heißt: Kaum einer der britischen N26-Premiumkunden hätte die Versicherungen eigentlich abschließen dürfen. Und: Wie Insider berichten, musste N26 jedem Kunden, bei dem sich herausstellte, dass er die Bedingungen für das Premiumangebot eigentlich nicht erfüllte, sämtliche bisher gezahlten Gebühren zurück überweisen. Mehr noch: Auch jene Kunden, die das Formular nicht innerhalb weniger Wochen ausgefüllt hatten, erhielten ihre Premiumgebühren zurück.
Auf Anfrage bestätigt N26 den Vorfall. „Dies geschah in Zusammenarbeit mit der FCA, um sicherzustellen, dass die Versicherung die persönlichen Umstände jedes einzelnen Kunden vollständig erfüllen und abdecken“, so ein Sprecher. Für Neukunden gelten demnach seit September 2019 geänderte Bedingungen. Nach Angaben von N26 war die Mehrheit der Premiumkunden von dem Vorfall nicht betroffen.
Bei den Kunden, die von N26 in Nachhinein kontaktiert wurden, habe es sich um Premiumkunden gehandelt, die sich vor September angemeldet hatten. Während „die Mehrheit der Metal-Kunden“ das Formular ausgefüllt habe, wurde denjenigen, die sich angemeldet hatten, ohne dass die Bedingungen auf sie zutrafen, „eine volle Rückerstattung gewährt“, heißt es. Die Überprüfung habe nur britische Kunden betroffen, sei vor Monaten abgeschlossen worden und habe keinen Einfluss auf die Entscheidung gehabt, den britischen Markt zu verlassen, betont das Unternehmen.
Eine halbe Million Kunden?
Was kostete N26 dieses Fiasko? Das Unternehmen selbst will darüber keine Auskunft geben. Ein Insider sagt, es habe sich maximal um einen einstelligen Millionenbetrag gehandelt. Die Metal Card kostet in Großbritannien 14,90 Pfund pro Monat. Wie viele Kunden N26 überhaupt auf der Insel hatte – und wie viele davon für Premiumprodukte zahlten – ist allerdings nicht ganz eindeutig. Das Unternehmen spricht auf Anfrage nur von „mehreren hunderttausend Kunden“ in Großbritannien, wovon sich „ein ordentlicher Anteil“ für Premium-Produkte entschieden habe. Die Zahl der Premiumkonten in Großbritannien liege „am oberen Ende dessen, was wir normalerweise in unseren Märkten weltweit sehen“, so der Sprecher.
Doch wie Finance Forward und Sifted aus mehreren Quellen aus dem Unternehmensumfeld erfuhren, hatte N26 Schwierigkeiten, britische Kunden von seinen Premiumangeboten zu überzeugen – vor allem wegen der Konkurrenz durch Revolut, Monzo und Starling. Die anderen Neobanken hatten mehrere Jahre Vorsprung gegenüber N26. Die Quote der Premiumkunden soll demnach in Großbritannien weit unter dem liegen, was das Unternehmen in anderen Märkten kommuniziert – üblicherweise etwa 30 Prozent der Kunden.
Exodus in London
Gleichzeitig war N26 offenbar relativ erfolgreich darin, normale – also nicht-zahlende – Kunden zu akquirieren. Nach Daten des Schätzungstools Priori Data, die Finance Forward und Sifted analysiert haben, hatte die Banking-App 207.000 Downloads, als das Unternehmen vor zehn Monaten 200.000 Kunden verkündete. Damals hieß es auch, N26 gewänne täglich 1.000 neue Kunden. Wenn das Unternehmen die Geschwindigkeit halten konnte, hätte es heute, mehr als 300 Tage später, gut 500.000 Kunden. Laut Priori Data liegt die Zahl der Downloads mittlerweile bei 418.500. „Es waren viel, viel mehr Kunden, als N26 erhofft hatte“, bestätigt ein Unternehmensinsider. „Gleichzeitig war der Markt viel schwieriger zu monetarisieren als geplant.“
Zum Vergleich: Konkurrent Monzo hatte laut dem Analysetool App Annie nach 18 Monaten 401.000 Downloads; die Tandem Bank gibt an, nach zwölf Monaten 500.000 erreicht zu haben. Das zeigt, wie rasant N26 in Großbritannien gewachsen ist.
Die magere Monetarisierungbilanz und der Ärger mit der Finanzaufsicht führten offenbar dazu, dass auch in der Berliner N26-Führung die Zweifel am Erfolg des Großbritanniengeschäfts wuchsen – man hielt die Insel für ein „regulatorisches Minenfeld“, das man erst in den Griff bekommen müsste, bevor man eine Banklizenz beantragen könnte, wie ein ehemaliger N26-Mitarbeiter sagt. Mehrere Londoner Führungskräfte aus einem Team von einem halben Dutzend sollen kurz darauf ihren Rücktritt eingereicht haben. N26 gibt an, dass „die Mehrheit der Mitarbeiter des Londoner Büros in neue Rollen innerhalb des Unternehmens wechseln wird“.
Das Abenteuer in London ist jedoch vorbei. „Die Vereinfachung des Bankwesens macht nicht an Grenzen halt“, schrieb N26-Gründer Valentin Stalf November 2018 noch hoffnungsvoll anläßlich des Launches. Der britische Markt hat ihm diese Grenzen nun offenbar aufgezeigt.
Update 05. März 2020: Der Artikel ist um eine Aussage von N26 ergänzt worden, um zu verdeutlichen, dass die Mehrheit der Premiumkunden nicht betroffen war.