N26 wird gefeiert, die Deutsche Bank bedauert
Die jüngste Finanzspritze für N26 ist ein Fanal für die deutsche Fintech-Szene. Ein Vergleich mit der Deutschen Bank verrät viel über unsere riskanten Wetten auf die Zukunft
Die Zukunft der deutschen Banken liegt 2019 irgendwo zwischen 2,3 Milliarden Euro und 15 Milliarden Euro. Die erste Zahl ist seit dem 10. Januar der Wert des Fintechs N26, nach einer Finanzierungsrunde über 300 Millionen Dollar, die zweite der Börsenwert der Deutschen Bank. Der eine Wert explodiert förmlich, der andere implodiert.
Beide Banken wurden in Berlin gegründet, die erste 2013, letztere 1870. Die eine wird von einem 33-Jährigen geführt, Valentin Stalf, die andere ist das Institut von Hermann Josef Abs, Alfred Herrhausen und Josef Ackermann. Die eine hat einen Chief Data Officer, der Gino heißt, die andere einen Aufsichtsrat, der Paul Achleitner heißt.
Die eine hat 2,3 Millionen Kunden in 24 Ländern, davon sind 60 Prozent unter 35 Jahre, die andere hat rund 20 Millionen Kunden weltweit. N26 hatte 2016 noch 200.000 Kunden, weil sie atemlos wächst, die Deutsche Bank 2016 noch acht Millionen, weil sie inzwischen die Postbank integriert hat. N26 beschäftigt 750 Mitarbeiter, die Deutsche Bank will und muss runter von 97.000.
N26 hat Kundeneinlagen im Wert von einer Milliarde Euro, die Deutsche Bank in Höhe von 483 Milliarden Euro. Die eine hat eine Bilanzsumme von 150 Millionen Euro, die andere von 1.475 Milliarden. Die eine Bilanzsumme soll wachsen, die andere muss schrumpfen. N26 hat auf ihrer Homepage vier Kennzahlen, der Geschäftsbericht der Deutschen Bank 444 Seiten. Die eine berichtet auf ihrer Homepage über ihre #nobullshit-Kampagne und 4 Dinge, die Du über die Schufa wissen solltest. Die andere mit einem Heer von Spezialisten und ihrem ehrenwerten Chefanlage-Strategen Ulrich Stephan über Investmentrends 2019.
Die eine macht Verlust, weil sie die Welt erobern will, die andere, weil sie die Welt erobert hat. N26 weiß noch nicht, wie man Geld verdienen soll, die Deutsche Bank nicht mehr, wie sie genug Geld verdienen soll. N26 ist eine Wette auf eine großartige Zukunft, die Deutsche Bank zehrt von ihrer glorreichen globalen Vergangenheit. Die eine wird gefeiert, die andere verachtet oder bedauert.
Sie sehen, liebe Leser, dieses Spiel mit den teils ungleichen, vielleicht auch unfairen Vergleichen kann man endlos weiterspinnen – denn wir bewegen uns im Bereich der Fantasie: N26 beflügelt, obwohl völlig unklar ist, wie das Fintech einmal Geld verdienen soll. Ein Großteil der Kunden hat ein kostenloses Konto, just jener Teil der Wertschöpfungskette also, auf dem es so wahnsinnig schwierig ist, Geld zu verdienen.
Zusammenprall von Zukunft und Vergangenheit
Und pro Kunde hat N26 gerade mal Einlagen in Höhe von 430 Euro. Aber die Berliner Tech-Banker gewinnen trotzdem 10.000 Kunden pro Tag, und es sind solche Wachstumszahlen, die solche Fantasien anregen und Investoren Milliarden entlocken: Gewinnen wird der, der Ökosysteme und Plattformen baut, wer groß und global denkt. Und das ist ja auch das Gute an N26: Zu oft wird deutschen Start-ups vorgeworfen, dass sie zu klein und nur an den deutschen, allenfalls an den europäischen Markt denken. Denn was sagt nun N26? Dass sie 100 Millionen Kunden haben wollen.
Große Töne, fürwahr, an denen man sie wird messen müssen. Aber die Finanzierungsrunde, die N26 auf einen Schlag zur drittwertvollsten Bank Deutschlands macht, obwohl sie so viel Einlagen hat wie eine mittelgroße Sparkasse, ist bei allen Fantasien ein gutes Signal für die deutsche Fintech-Szene – wo sich mit Finleap, der Solarisbank, Kreditech, Scalable und Sumup immer interessantere Namen tummeln. Rund eine Milliarde Euro konnte die Szene 2018 einsammeln.
Groß und global denken – ironischerweise ist genau das der Deutschen Bank zum Verhängnis geworden, wobei man eher sagen müsste: größenwahnsinnig und global. Und, zweite Ironie, die Lösung liegt nun nicht in der Größe, sondern im Schrumpfen.
Der Vergleich der Zahlen zeigt eine Unwucht, einen Zusammenprall von Zukunft und Vergangenheit – aber auch ein Rennen, das mitnichten gelaufen ist. N26 boomt, solange reichlich frisches Geld fließt, und die Story der Welteroberung intakt bleibt. Die Deutsche Bank hört erst auf zu kriseln, wenn sie wieder mehr und nachhaltig Geld verdient und die Story des Niedergangs sich verflüchtigt.
Dieser Text erschien zuerst im Newsletter „Die Woche“ von Capital-Chefredakteur Horst von Buttlar, der hier abonniert werden kann