500 Prozent Gewinn? Zweifel an Logistik-Startup Livingpackets
Ein gehyptes Logistik-Startup sammelt von Kleinanlegern Millionen ein, dann schreitet die Bafin ein. Anlegerschützer warnen vor einem Investment in Livingpackets.
Wenn es je eine Startup-Idee gegeben hat, die perfekt zu ihrem Zeitgeist gepasst hat, dann die wiederverwendbare, intelligente Versandbox von Livingpackets. Das deutsch-französische Startup will damit eine Lösung für das rasant wachsende Volumen an Verpackungsmüll gefunden haben, den der E-Commerce-Boom mit sich bringt – erst recht seit Corona.
Seit vier Jahren arbeitet das Team um Gründer Alexander Cotté an der Idee, inzwischen ist die Box so weit entwickelt, dass der Einstieg in die Massenproduktion schon kommenden Monat gelingen soll. Ein kostenintensives Unterfangen, zumal offenbar bereits mehr als 100 Mitarbeiter für Livingpackets arbeiten.
Für die Finanzierung setzt das Unternehmen auf einen ungewöhnlichen Weg: Es sucht Sponsoren, die sich mit Beträgen zwischen 50 und 25.000 Euro beteiligen und denen dafür in Aussicht gestellt wird, an zukünftigen Unternehmensgewinnen zu partizipieren – so lange, bis sie das eingesetzte Kapital verfünffacht hätten. Mehr als zehn Millionen Euro sollen so schon von mehreren tausend Kleinanlegern zusammengekommen sein.
20 Millionen von Familie und Mitarbeitern
Es gibt ein beliebtes Vorurteil gegenüber Crowdfunding, nach dem Prinzip der adversen Selektion. Danach wenden sich unterm Strich vor allem jene kapitalsuchenden Unternehmen an die Masse der Kleinanleger, die von professionellen Investoren oder Banken kein Geld bekommen – weil ihre Geschäftsidee nicht überzeugt, das Modell zu optimistisch oder der Markt schwierig ist.
Bei Livingpackets sei das nicht der Fall, betonte Cotté schon im Juli im Gespräch mit Finance Forward und Capital. Er habe von Wagniskapitalgebern „extrem viele Anfragen“ bekommen, ihnen jedoch stets abgesagt – „weil das nicht unserer Philosophie entspricht“.
Auch auf ein Listing auf etablierten Crowdfunding-Plattformen habe man verzichtet, weil diese „aus mehreren Gründen nicht fair und für uns keine sinnvolle Alternative“ seien, heißt es auf der Website. So würden die Portale „oft einen erheblichen Prozentsatz der Finanzierung für sich“ behalten.
Stattdessen wurde Livingpackets zunächst aus Eigenmitteln finanziert, insgesamt 20 Millionen Euro hätten die „Familie Cotté sowie eine Mehrheit der Mitarbeiter“ bislang investiert, so das Unternehmen auf Anfrage. Nach Informationen von Finance Forward kam das Geld vor allem von Cottés Vater, dem Web.de-Mitgründer Pierre-Alain Cotté.
Als zweite Finanzierungsquelle setzte das Startup seit 2017 auf etwas, das Livingpackets „Crowdsharing“ nennt: Sogenannte „Sharing Angels“ sollen die Produktion vorfinanzieren und dabei später an Gewinnen beteiligt werden. „Erfolg ist wie Glück: Er vermehrt sich, wenn wir ihn teilen“, wird Gründer Cotté in einer Präsentation zitiert.
Ein Prospekt aus der Schweiz
Neben der Präsentation stellte Livingpackets sein Investmentangebot in einem Prospekt vor – ein von der Schweizer Muttergesellschaft des Startups, der im Kanton Waadt beheimatete Livingpackets SA, erstelltes und nur wenige Seiten dünnes Papier. Formuliert wurde es nach den Vorgaben des Schweizer Obligationenrechts.
Das war der Bafin zu wenig. Am Freitag vor einer Woche kritisierte sie öffentlich, dass Livingpackets „eine Vermögensanlage in Form von sonstigen Vermögensanlagen“ anbiete, dafür aber keinen Verkaufsprospekt veröffentlicht habe. Wer in Deutschland Vermögensanlagen öffentlich anbietet, muss zuvor einen Prospekt angefertigt haben, der von der Bafin zumindest auf formale Vollständigkeit und Kohärenz geprüft wird.
Gegenüber Finance Forward erklärte das Startup, sein Angebot sei bislang „auf den Schweizer Markt gerichtet“ gewesen – man habe aber nun „in Absprache mit der Bafin das auch deutschen Kunden zugängliche Angebot unserer Sharing-Angel-Kampagne beendet“. Das Unternehmen arbeite nun „mit der Bafin an einem speziell für Deutschland entwickelten Modell“ und hoffe, „dieses in Kürze anbieten zu können“.
Wie viele Kleinanleger aus Deutschland Livingpackets bislang ihr Geld überwiesen haben, wollte das Startup auf Anfrage nicht verraten. Das Ende des Investmentangebots betreffe „aber nicht die existierenden Sharing Angel“.
„Ein Investor tut mir fast nicht mehr leid“
Die müssen sich nun fragen lassen, ob und wie genau sie eigentlich den Prospekt gelesen haben, auf dessen Grundlage sie investiert haben. Die Informationslage sei derart schlimm, „dass mir ein Investor schon fast nicht mehr leid tut“, kritisiert Stefan Loipfinger, Experte für den grauen Kapitalmarkt und Betreiber des Portals Investmentcheck. „Wer auf Basis dieses ‚Prospectus’ Geld überweist, der handelt grob fahrlässig.“
In dem Papier wird potenziellen Investoren in Aussicht gestellt, die Firma werde „ihre Sponsoren belohnen, indem sie 50 Prozent ihrer Gewinne bis zu einem bestimmten Vielfachen ihrer Beiträge mit den Sponsoren teilt“. Viel mehr Bedingungen gibt es nicht, so gibt es keinen Funding-Deckel und es wird auch keine Rückzahlungsfrist für das „Sponsoring“ genannt.
Das Papier habe „nichts mit einem Verkaufsprospekt gemein“, sagt Loipfinger. „Das fängt schon damit an, dass die rechtliche Ausgestaltung völlig offen bleibt. Dann geht es weiter mit der beigefügten Bilanz, die mit Stand 31. Dezember 2018 im Oktober 2020 völlig veraltet ist. Dass das Datum im ‘Prospectus’ mit dem 30. September 2018 davon abweichend angegeben wird, zeigt die Unprofessionalität an einem weiteren kleinen Detail.“
In der Bilanz 2018 werde nicht näher erläutert, woraus die wichtigste Position „Investments“ mit 1,03 Millionen Schweizer Franken bestehe und ob diese werthaltig sei. „Auch die Forderung an ein verbundenes Unternehmen (wer ist das und warum besteht hier seit Jahren eine Forderung?) wird nicht erläutert“, kritisiert Loipfinger. „Kurzum: Die Zahlen sind nicht nur veraltet, sondern auch keinesfalls aussagekräftig.“
Viele Funktionen, teure Box
Dazu kommt, dass Livingpackets mit seiner Idee zwar gut in die Zeit passt, aber sich auch einen extrem schwierigen Markt vorgenommen hat. So muss die Firma nicht nur Endkunden von sich überzeugen, sondern auch Logistiker und E-Commerce-Händler.
Die wichtigsten Argumente für „The Box“: Das Paket kann nach Firmenangaben bis zu 1.000 mal wiederverwendet werden; Sensoren registrieren Erschütterungen und messen die Temperatur im und außerhalb vom Paket; drinnen gibt es eine Kamera, die über eine App angesteuert werden kann, dazu kommen ein Schloss und ein Bildschirm anstatt aufgeklebter Etiketten.
Der Funktionsreichtum führt zu beachtlichen Produktionskosten: Zwischen 100 und 150 Euro koste eine Box in der Herstellung, erklärte Cotté im Juli. Die Miete pro Einsatz soll zwischen einem und drei Euro liegen. Trotzdem sollen in einem ersten Schwung gleich eine sechsstellige Zahl von Boxen produziert werden.
Die Annehmen und Kalkulationen wirken bisweilen abenteuerlich. Um Anlegern das Investment schmackhaft zu machen und mögliche Zweifel auszuräumen, melden sich Livingpackets-Mitarbeiter auch in Internetforen zu Wort. So schreibt Julian Weishaupt, Entrepreneur in Residence bei dem Startup, in einem Mydealz-Thread: „In 6 Jahren, also im Jahr 2026, sollen ca. 60 Millionen Boxen zirkulieren. Wenn [eine Box] in 8 Jahren 2000 Euro erwirtschaftet, dann sind das im Schnitt 250 Euro im Jahr. 60 Millionen Boxen multipliziert mit 250 Euro sind 15 Milliarden Euro.“
Fürs erste will Cotté weiter an dem für November geplanten Produktionsstart festhalten – und an der für das erste Quartal 2021 anvisierten Markteinführung. „Wir sind finanziell sehr gut aufgestellt und können unseren Geschäftsgang (unabhängig vom Sharing-Angel-Modell) wie geplant fortsetzen“, so der Gründer. Das „Crowdsharing“ will Cotté aber auf jeden Fall wieder aufnehmen – dann sogar in Partnerschaft mit einer Bank. Welches Institut sich darauf einlassen soll? Verraten wollte Cotté den Namen noch nicht. Eine der vielen Fragen, die im Zusammenhang mit Livingpackets noch offen bleiben.