(Bild: imago, Collage: FFWD)

Umstrittene Immobilienfinanzierung von Christian Lindner: Compliance ist was für Profis

Christian Lindner sagte einst: „Klimaschutz ist was für Profis!“ Compliance in Deutschland offenbar auch, wie sein Umgang mit einem privaten Immobilienkredit zeigt. Der Finanzminister scheint sich dabei auf dem Niveau eines Dorfbürgermeisters zu bewegen, kommentiert Wirecard-Aufklärer und Finanz-Experte Fabio De Masi.

Finanzminister Christian Lindner steht in der Kritik, weil er beim privaten Kauf einer unsanierten Immobilie im Villenviertel am Nikolassee einen hohen Kredit bei der einstigen Badischen Beamten Bank (BBBank) aufnahm. Für das Geldhaus, für die eine Grundschuld in Millionen-Höhe eingetragen wurden, nahm er regelmäßig PR-Videos auf, die inzwischen gelöscht sind. Zuletzt sprach Lindner als Finanzminister in einer Video-Botschaft zum 100-jährigen Jubiläum der Bank kurz vor einer weiteren Kreditentscheidung. Die Staatsanwaltschaft Berlin prüft deswegen nun Ermittlungen über Vorteilnahme im Amt.

Nachtrag: Am 27. Januar teilte die Staatsanwaltschaft Berlin mit, sie sehe „weder einen ohnehin fernliegenden Anfangsverdacht wegen Abgeordnetenbestechung noch wegen Vorteilsannahme“. Ein Ermittlungsverfahren wurde nicht eingeleitet, es handelte sich um einen bloßen Prüfvorgang.

Seine Anwälte betonen, der Kredit sei zu absolut marktüblichen Konditionen gewährt worden. Das Finanzministerium verweigert jedoch Auskünfte darüber, ob Lindner den Interessenkonflikt seinem Ministerium gegenüber angezeigt hat. Die Information ist relevant, weil sich Lindner laut Financial Times der Compliance-Dienstanweisung des Finanzministeriums unterworfen hat. Nach dieser Anweisung gilt es, bereits den Anschein zu vermeiden, dass dienstliches Handeln von privaten Interessen geleitet sein könnte. Es gibt in der öffentlichen Verwaltung etwa strikte Regeln für die Annahme geringwertiger Geschenke. Die Konditionen des Kredits veröffentlichen jedoch weder der Minister noch die Bank unter Verweis auf das Bankgeheimnis.

Bei Compliance geht es nicht um Strafbarkeit

Man kann die Debatte überspannt finden. Halten Minister nicht ständig irgendwelche Grußworte? Gilt nicht die Unschuldsvermutung? Bisher gibt es keinen Hinweis auf ein strafbares Verhalten des Finanzministers. Und hat Christian Lindner die zweite Finanzierung, die in seine Ministerzeit fiel, nicht daher ebenso bei der BBBank getätigt, weil andere Banken ungern nur die zweite Wahl sind. Bei einem Nachrangdarlehen einer anderen Bank wären also vermutlich höhere Zinsen angefallen. Dies alles ist richtig. Aber es offenbart ein tiefes Missverständnis über Compliance in Deutschland.

Bei Compliance dreht es sich nicht um die Frage, ob strafbares Verhalten vorliegt. Es geht vielmehr darum, die sogenannte „appearance of impropriety“ also bereits den Anschein der Unangemessenheit zu vermeiden. Christian Lindner hätte also auf das Grußwort verzichten müssen, da er bei der Bank erheblich verschuldet ist.

Ein Grußwort adelt eine Bank

Dieses Prinzip soll gerade vermeiden, dass sich für Laien, die über keine genaueren Kenntnisse der Umstände (zum Beispiel der Kreditkonditionen und des Zustandekommens des Grußwortes) verfügen, überhaupt solche Fragen wie in der aktuellen Debatte um den Kredit stellen. Die Alternative wäre nämlich die Aufgabe des Bankgeheimnisses für Minister. Ist das gewünscht?

Compliance in der Politik ist umso wichtiger, da Politiker nicht mit ihrem eigenen Geld arbeiten, sondern durch ihre Amtsgewalt Entscheidungen treffen, die erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben. Ein Grußwort eines Finanzministers adelt eine Bank und schafft Vertrauen in die Institution. Warum ein Grußwort für diese Bank und nicht eine andere, lässt sich fragen. Daher gelten für Politiker wie Christian Lindner besonders strenge Maßstäbe, da sie etwa das Vertrauen in Institutionen oder die Integrität des Finanzmarktes in Deutschland schützen müssen.

Eine kleine Auswahl von Fällen, die die Politik in den vergangenen Jahren und Monaten beschäftigt haben, zeigen, wie aktuell das Thema ist:

Nähe der Politik zu Cum-Ex-Bankern?

Da wären die mehrfachen Treffen des aktuellen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) mit einem Banker zu potenziellen Steuerrückforderungen des Hamburger Finanzamtes für Großunternehmen. Dieser Bankmanager war Beschuldigter wegen krimineller Cum-Ex-Aktiendeals und in dessen Bank hatte bereits eine Razzia stattgefunden.

Hinzu kommen Parteispenden sowie ein Bargeldfund über 200.000 Euro im Schließfach des früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs, der genau für diesen Banker zu den Steuerrückforderungen aktiv wurde und bei dem die Staatsanwaltschaft Köln daher eine Razzia durchführen ließ. Bei diesem Geld-Fund ist nicht belegt, ob er mit der Cum-Ex-Affäre in Verbindung steht. Sie heizten die Debatte über die Nähe der Politik zu Cum-Ex-Bankiers allerdings erneut an.

Lobbyisten für Wirecard

Ein weiteres Thema: Die auffälligen Immobilien-Geschäfte des Vermieters von Christian Lindner und ehemaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU), die sich mit dessen Politiker-Gehalt nicht vernünftig erklären lassen und bei denen die Raiffeisenbank Attersee kurzzeitig eine Rolle spielte. Die Raiffeisenbank unterhält traditionell enge Verbindungen zur konservativen Österreichischen Volkspartei.

Spahn stand bereits wegen Investitionen in eine Steuersoftware in seiner Zeit als parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium in der Kritik oder den Maskendeals während der Corona-Pandemie, mit denen sich seine Parteifreunde bereicherten. Weitere Debatten gab es um ein Dinner mit anonymen Spendern, die einen Betrag exakt unter der gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichungspflicht beisteuerten.

Ehemalige deutsche CDU-Ministerpräsidenten lobbyierten für die Liberalisierung des in Deutschland zuvor außerhalb von Schleswig-Holstein illegalen Online-Glücksspiels. Dieses gilt als besonders anfällig für Geldwäsche der Organisierten Kriminalität und Terrorfinanzierung, weshalb es in den USA streng sanktioniert wird. Die Ex-Ministerpräsidenten setzten sich dafür ein, dass Wirecard zentraler Abwickler für Zahlungen aus dem Bereich Online-Glücksspiel nach der von ihnen angestrebten Liberalisierung durch den Staatsvertrag der Länder wird.

Mit anderen Worten: Der insolvente Zahlungsabwickler aus Aschheim sollte staatlich beauftragter Türsteher zur Spielhölle werden. Einige der Ex-Politiker führten nach ihrem Engagement für Wirecard plötzlich ein Konto bei der Wirecard Bank. Diese führte etwa auf Wunsch des flüchtigen Wirecard-Managers Jan Marsalek unter anderem auch Konten für Firmen des per Haftbefehl des FBI gesuchten ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch. Die Raiffeisenbank International, die auch aktuell wieder wegen Krediten für russische Soldaten in der Kritik steht, hatte die Kundenbeziehung zuvor wegen des Drucks der USA beendet. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Die Debatte ist peinlich für Lindner

Für Lindner ist die Debatte aus einem Grund besonders peinlich: Denn die FDP hat zu Zeiten des Wirecard-Untersuchungsausschusses gemeinsam mit mir strengere Compliance-Regeln im Finanzministerium gefordert und stellte im Oktober 2020 genau zu diesem Thema eine Kleine Anfrage im Bundestag.

Im Wirecard-Skandal wurde unter anderem öffentlich, dass Mitarbeiter der Finanzaufsicht Bafin, der damalige Chef der Wirtschaftsprüferaufsicht APAS sowie ein Leihbeamter des Finanzministeriums an der deutschen Botschaft in Peking, der sich für Wirecards Marktzugang in China engagierte, mit Wirecard-Aktien gehandelt hatten. Die Regeln in der Finanzaufsicht wurden daraufhin nachgeschärft.

Initiative für strengere Regeln

In Ministerien oder im Bundestag gibt es aber bis heute keine hinreichend strengen Regeln, die solche Interessenkonflikte unterbinden beziehungsweise offenlegen. Doch Minister, Beamte und Abgeordnete erhalten ständig marktrelevante Informationen. Ich habe unter anderem daher in meiner Zeit als Europa- und Bundestagsabgeordneter meine Steuerbescheide und Lobbytreffen freiwillig veröffentlicht und keinerlei Finanzanlagen getätigt.

Mein persönlicher Tipp für Lindner lautet daher: Er sollte jetzt, wo der Schaden entstanden ist, die Kreditkonditionen offenlegen und eine Initiative für strengere Regeln gegen Insidergeschäfte in Ministerien starten. Ich bezweifle aber, dass Herr Lindner auf mich hören wird.

Der FDP-Politiker sagte einst: „Klimaschutz ist was für Profis!“ Ich befürchte: Compliance auch! Und mancher Amateur sitzt offenbar auf der Regierungsbank!


Disclaimer: Der Artikel wurde nach Veröffentlichung um ein Statement der Generalstaatsanwaltschaft Berlin ergänzt.