Fintechs arbeiten sich in der KMU-Finanzierung nach oben
Große Banken haben Fintechs und Tech-Konzernen das Kreditgeschäft für kleine und mittelgroße Firmen überlassen. Doch nun müssen sie erkennen, dass die neue Konkurrenz erwachsen wird. Dirk Elsner über die Aufwärtsmobilität der neuen Finanzfirmen
Der leider im Januar verstorbene Clayton M. Christensen ist bekanntlich Vater eines Klassikers der Managementliteratur: „The Innovator‘s Dilemma“. Darin hat der Harvard-Professor die These herausgearbeitet, dass gut geführte Unternehmen sich lieber auf das obere Ende ihrer Märkte konzentrieren. Dort sind die Volumina groß und die Margen hoch. Christensen bezeichnet das als „Einrast-Prinzip“ oder „Aufwärtsmigration“. Demnach forcieren Unternehmen eher den Einstieg in High-End-Märkte, als im Low-End-Bereich zu investieren. Das untere Ende ist eher durch Preiskämpfe und niedrige Margen gekennzeichnet. Manager würden schwerlich plausible Argumente finden für einen Eintritt in neue, schlecht definierte Low-End-Märkte mit zunächst niedrigen Gewinnaussichten und gegebenenfalls sogar hoher Unsicherheit.
Mit Christensens Ansatz lässt sich die Beobachtung in der Finanzbranche erklären, dass viele Finanzhäuser mit den jungen Fintechs nicht um kleine und neue Märkte kämpfen wollen. Das kann nach Christensen zum Nachteil werden, wenn so disruptive Innovationen unterschätzt werden. Kleinteilig, riskant und zunächst mit geringen Gewinnaussichten begannen einst auch die Geschäfte im E-Commerce. Heute haben sich dort relativ junge Finanzdienstleister wie Paypal, Wirecard und Adyen etabliert, deren Bewertungen mittlerweile im zwei- und dreistelligen Milliardenbereich liegen.
Um die 2010er-Jahre starteten kleine Start-ups die Unternehmensfinanzierung mit Crowdfunding und P2P-Lendings. Weil hier nur niedrige Erträge winkten und das Risiko von Fehlinvestitionen hoch war, war es für etablierte Unternehmen nicht attraktiv, in diesem Umfeld Ressourcen und Budgets zu gewinnen. Folgerichtig konzentrierte sich die Energie der Banken auf Kunden und Produkte mit höheren Volumen und Margen, wie insbesondere das Finanzierungsgeschäft mit großen Unternehmen.
Fintechs sind aufwärtsmobil
Die vergangenen Jahre deuten bereits das mit dem Einrastprinzip verbundene Innovators-Dilemma an. Während etablierte Finanzhäuser gemäß der These von Christensen nicht abwärtsmobil sind, sind die Fintechs sehr wohl aufwärtsmobil und arbeiten sich vom unteren Ende ihrer Märkte immer weiter nach oben vor.
Bleiben wir dazu bei der Finanzierung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Als es den Begriff Fintech noch nicht gab, konnte man über das sogenannte Marketplace Lending gerade einmal Kredite bis zu 25.000 Euro erhalten. Über Marketplace Lender, oft auch Peer-to-Peer-Finanzierung (= P2P-Lending) bezeichnet, konnte eine Privatperson einen Kredit über mehrere andere Personen oder institutionelle Anleger aufnehmen. Kleine Unternehmen erhielten so nur Mittel, wenn der Gründer über diesen Weg einen persönlichen Kredit aufnahm.
Das Segment war für viele Banken unattraktiv. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Barkow Consulting weisen KMU-Kredite für Banken eine strukturelle Ertragsschwäche auf, weil die Eigenkapitalrendite durchschnittlich um 2,1 Prozent unter den Eigenkapitalkosten läge. Für Banken waren höhere Kreditvolumina und große Kapitalmarktfinanzierungen interessant. Hier verteilte sich außerdem der hohe manuelle Bearbeitungsaufwand auf große Finanzierungssummen und reduzierte bei niedrigen Durchschnittskosten sogar den Anreiz zur Prozessdigitalisierung.
Im Lauf der nächsten Jahre entdeckten zunächst institutionelle Investoren die kleinen P2P-Kredite als lukrative Anlageklasse. Massenhaft und hoch automatisiert versprachen sie hohe risikogerechte Verzinsungen. Der hohe Mittelzufluss motivierte die Kreditmarktplätze wiederum zur Ausweitung der Kreditvolumina und der Zielgruppen. Immer höhere Darlehenssummen konnte man über durchdigitalisierte Prozesse über die Kredit-Fintechs aufnehmen, die bald auch Unternehmen als Zielgruppe entdeckten.
Die jungen Firmen werden professioneller
Heute werden über Crowdinvesting-Plattformen wie Exporo gewerbliche Immobilien in Höhe mehrere Millionen finanziert. Das mittlerweile börsennotierte Frankfurter Fintech Creditshelf finanziert Unternehmen mit bis zu 5 Mio. Euro. Unternehmen wie Crosslend oder Acatus bündeln Forderungen von kleinen und mittelständischen Unternehmen und macht sie kapitalmarktfähig. Plattformen wie Compeon, Lendico, Fincompare, Finmatch und Auxmoney haben Unternehmen als Kreditnehmer für sich entdeckt, wobei einige davon die Darlehen nicht selbst vergeben, sondern als Vermittler agieren.
Die Beispiele zeigen, wie die Fintech-Unternehmen immer professioneller werden und sich aus einer Nische mit durchdigitalisierten Prozessen in immer höhere Marktsegmente gefräst haben und hier nicht stehen bleiben. Im Beitrag Plattformoffensive bei der Unternehmensfinanzierung habe ich über einige weitere Angebote geschrieben, die sich auch an deutlich größere Kreditnehmer richten.
Parallel dazu entdeckten großen Technologie-Unternehmen (BigTechs), dass man Kleingewerbekunden über hochgradig standardisierte Plattformen, Finanzmittel zur Verfügung stellen konnte. So beteiligte sich Google bereits 2013 an dem US-Fintech-Lender Lending Club. Über dieses Programm sollten sich kleine Firmenpartner von Google leichter finanzieren können.
Entgegen vieler Befürchtungen ist es zwar nicht das primäre Ziel von Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA), Banken ihr Geschäft streitig zu machen. Diese Unternehmen verfolgen andere Ziele. Dazu gehört aber, dass sie ihre Plattformen intensiv genutzt wissen wollen, damit darüber möglichst viele Transaktionen abgewickelt werden. Um Nutzer auf den Plattformen zu halten, werden viele darin Nebenleistungen integrieren. Man denke nur an Landkarten und Navigationsdienstleistungen, deren originäre Anbieter mittlerweile in Vergessenheit geraten sind. Und zu diesen Nebendienstleistungen gehören auch Finanzservices für Unternehmen. Viel weiter fortgeschritten als die GAFAs aus den USA sind hier die chinesischen Technologieunternehmen Alibaba und Tencent.
Der chinesische Handelsriese Alibaba möchte allen auf seinen Plattformen tätigen Unternehmen möglichst viele Tätigkeiten abnehmen und erleichtern, damit sie sich auf ihre kreativen Kernleistungen und den Vertrieb konzentrieren können. Alibaba bietet dazu insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen einen Rundumservice von Beschaffung, Produktion, Absatzförderung, Logistik, IT-Dienstleistungen und Dienstleistungen wie Buchhaltung, Zahlungsabwicklung und natürlich auch Finanzierung.
Allein das Finanzierungsvolumen der zu Alibabas Finanzableger Ant Financial gehörende MYbank hat laut Medienberichten im vergangenen Jahr nach nur vier Jahren umgerechnet 290 Mrd. Dollar erreicht bei 16 Millionen kleinen und mittelständischen Unternehmen. Dabei profitiert die Kreditwürdigkeitsvorhersage solche Technologieriesen vom erleichterten Datenzugang im Konzern.
Goldman Sachs reagiert
Erinnern sie sich an die Eingangsthese von Christensen, dass etablierte Unternehmen angeblich lieber in High-End-Märkte mit größeren Volumen und höheren Margen investieren? Der in der internationalen Champions League des Investmentbankings spielende US-Finanzkonzern Goldman Sachs jedenfalls scheint das Dilemma erkannt zu haben. Er ist bereits mit der 2016 gestarteten Online-Tochter Marcus erfolgreich in das Privatkundengeschäft gestartet. Marcus punktet mit Kleinkrediten und verzinsten Einlagen, die nach Medienberichten in den USA und Großbritannien bereits auf 60 Mrd. Dollar gestiegen sind. Das Geschäft von Marcus erweitert die Bank schrittweise um Zahlungsverkehr und Vermögensanlagen. In der Bank soll bereits kritisiert werden , dass die Retaileinheit überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit vom Top-Management erhält, obwohl sie 2019 nur 2,3 Prozent zu den Erlösen beigetragen hat. Christensen sagte in seinem Buch solche Widerstände voraus.
Goldman Sachs setzt neuerdings nicht nur auf das Privatkundengeschäft, sondern möglicherweise auch bald auf das Finanzierungsgeschäft mit kleinen und mittleren Unternehmen. Nach Medienberichten ist die US-Bank in Gesprächen, um Händlern auf der E-Commerce-Plattform von Amazon automatisiert kleine Geschäftskredite anzubieten. Die Bank soll dazu an einer Software arbeiten, die sich in die bestehende Kreditplattform von Amazon einklinkt. Amazon fördert über diese Kooperation den eigenen Marktplatz und verlagert die mit der der Kreditvergabe verbundenen regulatorischen Anforderungen.
Die Beispiele zeigen, woher im Zuge der Digitalisierung die Finanzierung kleinerer und mittlerer Unternehmen künftig verstärkt kommen kann: Vom Plattformgeschäft und/oder von Dienstleistern, die mehr als einen Service bieten. Und es gibt keinen Grund für die Erwartung, dass die Aufwärtsmobilität der Fintechs nach der 200-fachen Erhöhung der Obergrenze für Einzelkredite zwischen 2009 und heute, ausgerechnet jetzt zum Erliegen kommen sollte. Daher scheint auch die Abwärtsmobilität von Goldman Sachs eine folgerichtige Strategie zu sein.