Das Fintech-Barometer zeigt ein umfassendes Stimmungsbild (Bild: Michel Porro/Unsplash)

Die große Umfrage: Wie geht es der Fintech-Szene in der Krise wirklich?

Was bedeutet die Corona-Krise für die Fintech-Szene? Noch ist unklar, ob die meisten Unternehmen am Ende als Gewinner oder Verlierer dastehen. Wir haben 100 Fintech-Gründer zu ihrer Geschäftsentwicklung, möglicher Kurzarbeit und dem nächsten Fundraising befragt.

Noch ist die Lage diffus. Die vielen deutschen Fintechs mussten sich in den vergangenen Wochen erst einmal sortieren, nachdem die Corona-Pandemie die Wirtschaft lahmgelegt hatte. Noch ist unklar, ob die Fintech-Szene als Gewinner oder Verlierer aus dieser Krise hervorgeht, denn die Fragestellungen, mit denen sich CEOs und Gründer gerade beschäftigen, sind vielschichtig: Was passiert mit meinem Geschäft? Bekomme ich noch Geld von Investoren? Brechen die Umsätze nur kurzfristig ein? Und profitiert mein Startup möglicherweise sogar davon, dass die Menschen künftig ihr Leben stärker per Smartphone organisieren wollen?

In den vergangenen Tagen kamen auf Finance Forward unterschiedliche Fintech-Gründer zu Wort: jene, die ihre Chance als Kreditvermittler wittern, aber auch ein Gründer, der um seine Finanzierung bangt. Doch wie ist das Gesamtbild der Szene? Um das zu ermitteln, haben wir mehr als 100 Fintech-Gründer angeschrieben und gebeten, einen Katalog an grundlegenden Fragen zu beantworten.

Die 70 Gründer und CEOs, die geantwortet haben, bilden die ganze Bandbreite der Fintech-Szene ab: von Krypto über Kreditvergabe bis hin zu Banking. Auch der Reifegrad der Startups ist unterschiedlich, manche sind schon mehrere Jahre am Markt, machen Millionenumsätze mit Hunderten Mitarbeitern, andere sind noch in der Startphase.

Das FFWD-Fintech-Barometer

Bei der Geschäftsentwicklung ist das Bild geteilt – aber die Optimisten überwiegen: Mehr als 40 Prozent gehen von weiter steigenden Umsätzen in den kommenden drei Monaten aus (im Vergleich zu den drei Monaten zuvor). Es ist ein erstaunlich positives Bild vor dem Hintergrund, dass unklar ist, wie lange die Corona-Krise noch andauern wird.

(Die Einflüsse auf die verschiedenen Fintech-Segmente hat Speedinvest-Partner Stefan Klestil im Gespräch mit Finance Forward analysiert.)


Über das Thema Kurzarbeit reden die meisten Gründer nur ungern – die Umfrage zeigt, dass das Instrument längst auch in der Fintech-Szene angekommen ist. Knapp die Hälfte der Unternehmen will die staatliche Unterstützung beantragen oder prüft die Option. Kurzarbeit sieht vor, dass Mitarbeiter ihre Arbeitszeit reduzieren und für das entfallene Gehalt eine Ausgleichszahlung vom Staat erhalten.


Staatshilfen sind für Fintechs insgesamt stärker ein Thema, eine Mehrheit prüft die Option. In dem Rahmen gibt es aktuell ein unbegrenztes Kreditprogramm über die staatliche Förderbank KfW. Seit kurzem lässt die Bundesregierung auch Startups unter den Corona-Schutzschirm, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds WSF, sie müssen jedoch eine Bewertung von mindestens 50 Millionen Euro aufweisen. Der Bundesverband Deutsche Startups setzt sich dafür ein, dass dies auch auf kleinere Firmen ausgeweitet wird.

Außerdem sind Unternehmen des Finanzsektors, also auch Fintechs, bislang weitgehend ausgenommen, weil sie unter die Regulierung der Bafin fallen. Das will der Startup-Verband ändern. „Wir müssen die Fintechs einsammeln, die nicht unter den WSF fallen“, schreibt Verbandschef Christian Miele auf Linkedin. Daneben können Kleinstunternehmen, die es schwer haben, an Kredite zu kommen, schon jetzt für drei Monate 9.000 bis 15.000 Euro erhalten.


Auch wenn das Bild geteilt ist: Von einem Einstellungsstopp kann keine Rede sein. Eine Mehrheit will im kommenden halben Jahr noch neue Mitarbeiter einstellen. Laut einem Job-Report von Finanz-Szene und der Personalberatung Cribb waren kürzlich noch 1.695 Stellen offen.


Es ist allerdings fraglich, ob so viele Mitarbeiter eingestellt werden wie ursprünglich geplant. Denn die Unternehmen werden in der Krise versuchen so zu haushalten, dass ihre Kapitalausstattung möglichst lange hält. In der Startup-Szene spricht man von der sogenannten Runway. Da die meisten Unternehmen noch nicht profitabel arbeiten und sich auf einem Wachstumskurs befinden, müssen sie in absehbarer Zeit noch einmal Geld von Wagniskapitalgebern aufnehmen. Doch noch sind die Fintechs ausreichend finanziert, wie die Analyse zeigt. Nur zwölf Prozent brauchen in den kommenden Monaten Geld.


Vergleichsweise viele Fintech-Gründer befinden sich trotzdem bereits im Fundraising. 45 Prozent schauen sich nach neuen Geldgebern um. „Die Corona-Krise wird auf jeden Fall eine negative Auswirkung auf die Funding-Situation haben – unklar ist nur das Ausmaß“, sagt Fintech-Experte Peter Barkow von der Unternehmensberatung Barkow Consulting. „Es wird jüngere und kleinere Unternehmen viel stärker treffen, da Venture Capitalists in erster Linie ihr bestehendes Portfolio funden.“ Das könne dazu führen, dass US-Wagniskapitalgeber sich mehr auf ihren Heimatmarkt konzentrieren – was wiederum für europäische Fintechs ungünstig wäre.


Dass die Unternehmensbewertungen in den kommenden Monaten sinken sollten, ist eine weitere Krisenweisheit. Denn die Wagniskapitalgeber orientieren sich bei den Bewertungen bei einer Finanzierungsrunde oft an den Aktienmärkten, die gerade stark gefallen sind. Die VCs haben in Krisenzeiten eine größere Macht, weil sie wissen, dass den Unternehmen oft die Zeit davon läuft. Doch die befragten Fintech-Gründer sind zuversichtlich, dass sie keine Abwertung bei der nächsten Finanzierungsrunde erwarten müssen.

Fazit:

Langfristig glaubt eine Mehrheit der Unternehmen, dass sie von der Corona-Krise profitieren sollte. Sie teilen die Ansicht vieler Experten, die glauben, dass sich durch die Krise die Digitalisierung beschleunigen sollte – und die Menschen zum Beispiel ihr Konto, eine Versicherung oder einen Kredit eher über das Smartphone organisieren.

Bei den wichtigen Fragen nach Umsatzprognosen und Kurzarbeit zeigt sich ein relativ klares Bild: Etwa die Hälfte der befragten Unternehmen ist positiv gestimmt; die andere Hälfte rechnet mit Einbußen und muss ihre Mitarbeiter möglicherweise in Kurzarbeit schicken.

„Mir gefällt, dass die deutschen Fintech-CEOs optimistisch sind“, sagt Fintech-Investorin Olga Shikhantsova von Target Global. Das sei eine wichtige Eigenschaft, „um in dem ganzen Wahnsinn eher Chancen als Probleme zu sehen“. Dass eine Pleitewelle droht, weil den Fintechs bald das Geld ausgeht, ist – auf Grundlage der Daten – bislang nicht zu erwarten.