Fabio De Masi: „Notfalls muss Northern Data von der Börse genommen werden“
Schon seit Jahren gibt es Kritik an dem Bitcoin-Miner Northern Data. Nun verpasste die Frankfurter Firma ihre selbst gesteckten Ziele spektakulär – und die Finanzaufsicht Bafin hat Anzeige erstattet. Im Interview spricht Linken-Politiker und Wirecard-Aufklärer Fabio De Masi über die Rolle der Aufsicht und wie derartige Fälle verhindert werden könnten.
Wäre er Finanzberater, dann würde Fabio De Masi den Aktionären von Northern Data raten, in Taschentücher zu investieren. Das schrieb der Finanzpolitiker kürzlich auf Twitter. Northern Data, ein börsennotierter Rechenzentrumsbetreiber und Bitcoin-Miner, steht nämlich derzeit im Kreuzfeuer. Erst ließ es die Anleger auf seinen Geschäftsbericht für das Jahr 2020 warten, dann vermeldete es Umsätze von 16,4 Millionen Euro – statt der prognostizierten 120 Millionen. Eine große Enttäuschung.
Nicht genug: Nach Veröffentlichung der Zahlen berichtete die Wirtschaftswoche, die Bafin habe „Anzeige wegen mutmaßlicher Marktmanipulation“ erstattet und dies schon im Februar. Konkret geht es dabei um eine Ad-hoc-Meldung aus dem Jahr 2019. Darin hatte das Unternehmen, bei dem auch Investor Christian Angermayer beteiligt ist, nach einer Firmenübernahme große Versprechungen gemacht – die nicht aufgingen.
Herr De Masi, schon vor Bekanntwerden der schlechten Zahlen und der Bafin-Anzeige haben Sie vor Northern Data gewarnt. Wie sind Sie auf das Unternehmen gekommen?
Fabio De Masi: Häufig begegnen mir personelle Netzwerke aus dem Wirecard-Umfeld, bei Firmen, die dann später in die Schlagzeilen geraten. Das Muster hat sich mittlerweile etabliert. Ich habe mir den Investor Angermayer und seine Geschäfte genauer angeguckt, da bin ich auf die kritischen Berichte zu Northern Data gestoßen.
Und was sind aus Ihrer Sicht die Warnsignale bei dem Unternehmen?
Wenn man sich anguckt, wie sich die Geschäftszahlen entwickelt haben, welche großen Deals bekannt gegeben wurden, dann scheint da einiges sehr aufgeblasen gewesen zu sein. Mein Informationsstand geht allerdings nicht über das hinaus, was aus der Presse bekannt ist.
Es gibt jetzt schon seit ein paar Jahren kritische Berichte zu Northern Data. Die Bafin hat erst im Februar 2021 Anzeige erstattet. War die Behörde zu langsam?
Ich bin schon froh, dass die Bafin jetzt überhaupt aktiv ist. Die Behörde steht seit Wirecard unter Druck und versucht, dem etwas stärker gerecht zu werden. Eine Finanzaufsicht sollte in der Lage sein, Unstimmigkeiten in den Bilanzen auch schon in Angriff zu nehmen, bevor es in der Zeitung steht. Allerdings kann die Bafin bei Unternehmen, deren Wertpapiere nur im Freiverkehr und nicht am organisierten Markt zugelassen sind, kein Bilanzkontrollverfahren durchführen. Nach dem Wirecard-Skandal hat die Bafin zwar mehr Rechte zu Durchsuchungen, Beschlagnahme und Vernehmungen bekommen. Allerdings gibt es offenbar weiterhin erhebliche Lücken, wie der Fall Northern Data zeigt.
Die Staatsanwaltschaft prüft jetzt, ob sie Ermittlungen aufnimmt, währenddessen handeln Kleinanleger immer wieder mit der Aktie. Gibt es einen Weg, die Abläufe zu beschleunigen?
Die Bafin hat ein Mandat für den finanziellen Verbraucherschutz, das sie in der Vergangenheit nicht ernst genug genommen hat. Deswegen muss sie jetzt nachrüsten, das ist gar keine Frage. Allerdings ist die Bafin auch ein Riesenapparat, den muss man erst mal umsteuern. Ich will dem neuen BaFin-Chef nicht gleich Vorhaltungen machen, der ist noch nicht lange dabei. Klar ist: Die Bafin ist in dem Zeitraum, den ich beobachten konnte, aktiver geworden, als sie das in der Vergangenheit der Fall war. Richtig ist aber auch, dass die Bafin schon sehr lange auf Northern Data hätte schauen müssen.
Es geht in diesem konkreten Fall um eine Ad-hoc-Meldung aus dem Jahr 2019 und damit verbundene große Versprechen des Unternehmens. Dass diese nicht gehalten werden konnten, wurde erst jetzt, zwei Jahre später, klar. Müsste so etwas durch strengere Berichtspflichten verhindert werden?
Absolut. Und wir brauchen da auch strenge Sanktionen. Ich kann nicht einerseits behaupten, ich bin an der Börse in einem schnelllebigen Geschäft unterwegs und kriege es dann als Unternehmen nicht auf die Reihe, einen sinnvollen Geschäftsbericht vorzulegen. Die Bafin muss hier schärfere Sanktionen verhängen dürfen bei Verstößen gegen Informationspflichten. Es muss klare, schmerzhafte Fristen geben. Und wer das nicht liefern kann, der hat an der Börse nichts zu suchen.
Bei Northern Data hätte das einige Anleger eventuell geschützt, aber kann man das von anderen Unternehmen abverlangen, schneller die Berichte liefern zu müssen?
Ja. Ein Unternehmen, das Kapital von Anlegern einsammeln will, hat natürlich die Pflicht zu sagen, was es tut. Das ist kein ungewöhnlicher bürokratischer Aufwand. An der Börse gehört es dazu, dass man zeitnah berichtet, wie sich die Geschäfte entwickeln. Anleger sind nicht da, um Almosen zu verteilen. Außerdem hat ein sauberes Unternehmen auch ein Eigeninteresse, einen solchen Bericht vorzulegen.
Bei der Bafin sind aber auch präventive Maßnahmen gefragt, dass es von vornherein sauberer wird und nicht nur reaktiv …
… In der Vergangenheit war die Bafin häufig nicht einmal reaktiv. Da sehe ich inzwischen eine leichte Verbesserung. Aber von einer schlagkräftigen, präventiven Aufsicht, wie beispielsweise die SEC aus den USA, sind wir noch weit entfernt.
Stellen Sie sich einmal vor, die Behörden würden genau so arbeiten, wie Sie sich das wünschen. Wie hätten die vergangenen zwei Jahre für Northern Data ausgesehen, was wäre nach der Ad-hoc-Meldung von 2019 anders gelaufen?
Vermutlich wären Northern Data jetzt schon Geschichte. Dann wäre hart und transparent öffentlich durchgegriffen worden, nachdem Northern Data Berichte nicht vorgelegt hat. Und das hätte wahrscheinlich allein am Markt für ein solches Erstaunen gesorgt, dass Northern Data irgendwann hätte einpacken können.
Und wenn wir ab heute in einer perfekten Welt leben, wie würden dann die kommenden Monate für Northern Data aussehen, was sollte jetzt passieren?
Eigentlich müsste die Bafin jetzt jemanden in das Unternehmen schicken, der das vom Kopf auf die Füße stellt und durchleuchtet. Notfalls muss Northern Data von der Börse genommen werden.
Bei Northern Data handelt es sich noch um einen Verdachtsfall. Ab wann kann man so einen drastischen Schritt rechtfertigen?
Rechtssicher einen positiven Nachweis zu führen, ist sehr aufwendig. Aber ich finde, wenn ein Unternehmen bestimmte Belege nicht erbringen kann, dann hat eine Beweislastumkehr stattzufinden.